Har(t)ziges
Blicken wir bis Ende 1998 zurück. Damals sagte Gerhard Schröder nach seiner Wahl zum Bundeskanzler, dass er sich am Ende der Legislaturperiode an der Arbeitslosigkeit messen lassen wolle. Sein Ziel, die Arbeitslosenzahl unter 3,5 Millionen zu drücken, ist jedoch in weite Ferne gerückt. Zu sehr hatte sich Rot-Grün auf die Konjunktur und die Entlastung des Arbeitsmarktes durch die wachsende Zahl der in den Ruhestand drängenden älteren Arbeitnehmer verlassen. Notwendige Reformen wurden vertagt. Seit Dezember 2000 steigt die Arbeitslosigkeit wieder an. Schröder steht fast wieder da, wo er 1998 angefangen hatte.
Er versucht jedoch, sich aus seiner Not mit taktischen Winkelzügen zu befreien. Als im Januar die Arbeitslosenzahl zum ersten Mal wieder über die Vier-Millionen-Marke anstieg, wurde der „Skandal“ über die Vermittlungsstatistiken der Arbeitsämter hochgespielt und die Führungsstruktur der Bundesanstalt für Arbeit umgekrempelt. Statt des Beamten Jagoda (CDU) „regiert“ jetzt der Politik-Profi Gerster (SPD) in Nürnberg. Aber Veränderungen brauchen Zeit. Für Schröder war zunächst nur wichtig, dass nicht mehr über die hohe Arbeitslosigkeit, sondern über die „Reform“ der Bundesanstalt geredet wurde.
Dies konnte den Kanzler freilich nicht bis zum Wahltag tragen. So berief er eine Kommission unter Leitung des mit ihm befreundeten VW-Managers Peter Hartz (SPD), die noch vor der Wahl Vorschläge für die Reform des Arbeitsmarktes unterbreiten sollte. Als Termin wurde der 16. August vorgegeben. Als sich sogar im Juni die Lage am Arbeitsmarkt weiter verschlechterte und für Juli und August eine Arbeitslosenzahl von mehr als vier Millionen erwartet wurde, preschte Hartz vor, ließ sich vom „Spiegel“ interviewen und die von ihm formulierten „13 Module“ für die Arbeitsmarktpolitik publizieren, obwohl diese von der Kommission noch gar nicht abgesegnet waren. Dass Hartz sein Vorgehen mit dem Kanzler abgesprochen hat, ist anzunehmen. Schröders Zustimmung kam jedenfalls prompt. Er will nicht, dass in der Sommerpause über die Arbeitslosigkeit, sondern über die Reform des Arbeitsmarktes diskutiert wird.
Hartz behauptet, die Arbeitslosenzahl bis Ende 2005 halbieren zu können. Es wird so getan, als wenn schon tatsächlich etwas getan würde. Die Gewerkschaften werden vor der Wahl vom Kanzler politisch eingebunden; sie wollen Schröder und nicht Stoiber. Die Wirtschaft hofft, dass etwas in Bewegung kommt, was zu mehr Flexibilität und Mobilität am Arbeitsmarkt führen könnte. Die Gewerkschaften lehnen jedoch Leistungskürzungen strikt ab. Der Industriepräsident fordert, die Kommissions-Vorschläge unverzüglich in Kraft zu setzen, obwohl diese im Einzelnen noch gar nicht vorliegen. Inzwischen liefern sich Hartz und Lothar Späth einen Wettlauf um das bessere Konzept zum Abbau der Arbeitslosigkeit.
Taktik beherrscht die politische Diskussion. Das kann der überfälligen Reform nur schaden. Dabei geht es um schwierige Fragen: Muss man Leistungen kürzen? Kann man Arbeitslosengeld zeitweise pauschalieren, wenn Beiträge einkommensbezogen bleiben? Ist es richtig, neue Wege zur Frühverrentung zu erschließen? Was bedeutet und kostet es, wenn die Arbeitslosen künftig bei Agenturen der Arbeitsämter angestellt und von diesen auf Zeit an Unternehmen ausgeliehen werden? Hartz bietet das Modell der „Ich-AG“ an, während Rot-Grün Scheinselbständige und Geringverdiener zur Kasse bittet. Ist es vernünftig, die Schwarzarbeit mit einer Steuervergünstigung zu bekämpfen?
Hartz bietet eine Reihe diskussionswürdiger, insgesamt aber noch unausgereifter Vorschläge. Was sie wirklich wert sind, wird man erst nach dem Wahltag wissen.
Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.
Walter Kannengießer
Sozialpolitik-Journalist