Psychosomatische Medizin

Depressive Patienten sind stärker vom Herztod bedroht

Eine kranke Seele bedeutet Stress für das Herz. Patienten, die an langjährigen mittelschweren bis schweren Depressionen leiden, sind doppelt bis vierfach stärker von einem tödlichen kardiovaskulären Ereignis bedroht als nicht depressive Menschen. Die Depression ist offensichtlich ein unabhängiger Risikofaktor für einen plötzlichen Herztod, der mit den bekannten Risikofaktoren vergleichbar ist.

Die Psychosomatische Medizin ist wiederum einem drastischen Wandel unterworfen. Hatte sie in ihrer Anfangszeit Schwierigkeiten, auch nur einige der schulmedizinisch erfassten Leiden als „psychisch bedingt“ eingestuft zu bekommen, so zeigt sich heute, dass auch ganz normale somatische Krankheitsbilder, wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder plötzlicher Herztod, durch psychische Prozesse ausgelöst oder doch zumindest mitbedingt werden können. Die Psyche, oder wie es in der deutschen Sprache heißt, die Seele, avanciert zu einem beachtenswerten Risikofaktor – falls sie krank ist .

Stresshormone als Mediatoren

Die psychosomatische Forschung hat zwei zentrale Stresshormone, Cortisol und Adrenalin als verknüpfende Faktoren, als Mediatoren zwischen der seelischen und der körperlichen Ebene identifiziert. In verschiedenen Messungen lagen die Serumwerte beider Hormone bei Patienten in akuten depressiven Krisen drastisch über den Normalwerten. Beide Hormone vermindern in kritischen Situationen offensichtlich die Anpassungsfähigkeit des kardiovaskulären Systems, vor allem, wenn bei älteren Patienten schon ein arteriosklerotisch vorgeschädigtes Gefäßbett zu einer rigiden Blutdruckregulation zwingt.

Allerdings nimmt der Münchner Psychiater Prof. Matthias Rothermund an, dass eine Depression – auf welchem Weg auch immer – auch ein nicht vorgeschädigtes Gefäßsystem zu schädigen vermag. Diese Annahme leitet er aus der Beobachtung ab, dass bei schwer depressiven Patienten wesentlich früher Herz-Kreislauf-Erkrankungen auftreten als bei einer ansonsten gleich belasteten Vergleichsgruppe.

Cave das erste Halbjahr nach Herzinfarkt

Eine besonders große ärztliche Aufmerksamkeit erfordern Patienten, die gerade eine nicht-tödliche kardiovaskuläre Komplikation, wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, überstanden haben.

Ein tödlicher Verlauf während des ersten Halbjahres ist bei ihnen viermal so wahrscheinlich wie bei depressiv unbelasteten Vergleichspatienten. Dies konnte in verschiedenen Beobachtungsstudien belegt werden. Allerdings ist dies nicht die einzige bedrohliche Botschaft für Depressive und ihre Angehörigen. Denn auch somatisch völlig gesunde, aber depressive Patienten sterben deutlich häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen als unbelastete Patienten. Eine Ende des vergangenen Jahres publizierte Arbeit aus den Niederlanden zeigt, dass ein übermäßig hoher Anteil an depressiven Patienten während der vierjährigen Beobachtungszeit an Herz-Erkrankungen verstarb. Die Studie umfasste 3 000 zufällig ausgewählte ältere Menschen, die auf ihre psychische und körperliche Gesundheit untersucht und dokumentiert worden waren. Von ihnen verstarben in den vier Jahren der Studie 47 Patienten an einem Herztod – eine Rate, die weit über dem altersgemäßen Durchschnitt lag.

In dieser Studie war die Depressivität als eigener Risikofaktor für ein überdurchschnittlich hohes Risiko für einen vorzeitigen Herztod abgrenzbar. Er war von den etablierten Risikofaktoren Rauchen, Übergewicht und Bluthochdruck unabhängig. Die Belastung durch diesen eigenen Risikofaktor „Depressivität“ war nach den statistischen Berechnungen mit den genannten etablierten Risikofaktoren vergleichbar, was die Fachleute überraschte. Allerdings wird speziell von Kardiologen noch die Eigenständigkeit dieses Risikofaktors diskutiert. Ein Beispiel dafür ist der Basler Kardiologe Prof. Matthias Pfisterer, der der Depressivität noch nicht den Status eines etablierten Risikofaktors einräumen will.

Schädlichkeit der Depressivität

Wir haben an dieser Stelle bereits mehrfach die Klagsamkeit von der echten Depression abgegrenzt. Ein klagsamer, depressiv verstimmter Mensch vermag sich über seinen Zustand zu äußern und ist in der Lage, ein geregeltes Leben zu führen. Er ist nach bisherigen Erkenntnissen nicht in erhöhtem Maße von kardiovaskulären Erkrankungen bedroht. Depressive hingegen verschließen sich, grenzen sich selbst von sozialen Kontakten aus und verfallen nicht selten auch in eine körperliche Unbeweglichkeit. Hier könnte, so die Fachleute, eine Verbindung zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen gesehen werden, denn körperliche Aktivität schützt genauso das Herz wie ausgeglichene soziale Kontakte.

Neben diesen Erklärungen ist wenig zu erfahren, auf welchem Wege die Seele schädigend auf das Herz einwirken könnte. Der Volksmund weist hier mit Redensarten wie ein „vor Gram gebrochenes Herz“ oder jemand sei „zu Tode betrübt“ zwar auf diesen Zusammenhang hin, schuldet allerdings auch jegliche Erklärung.

Unklar ist ebenfalls, wie es denn geschehen kann, dass trotz eines vielleicht Glück verheißenden Umfeldes ein Mensch „endogen“, das heißt ohne erkennbaren Grund, depressiv werden kann. Ein genetischer Zusammenhang lässt sich nur vage erkennen. Gebracht hat auch das heute weitgehend entschlüsselte Genom des Menschen kaum etwas, wenn es um die Identifikation einzelner Gene für Depressivität geht.

Offensichtlich muss von einer multifaktoriell bedingten Erkrankung ausgegangen werden, was auch für die genetische Ebene gilt. Sozialforscher ziehen daher heute zur Erklärung familiärer Häufungen das Modell einer „sozialen Vererbung“ heran, deren Übertragungswege allerdings ebenfalls noch im Dunklen liegen.

Die in letzter Zeit nicht zuletzt durch die empirische Arbeit von Bert Hellinger die Psychotherapie revolutionierende Methode des „Familienstellens“ hat zwar über die Generationen hinweg Zusammenhänge zwischen ausgegrenzten Mitgliedern der Sippe und den erkrankten Patienten aufgedeckt, die schulmedizinische Wertigkeit dieser Methode wird allerdings erst in den letzten Jahren vermehrt gewürdigt. Auch diese Methode vermag keine genaue Aussage darüber zu machen, wie die Identifikation eines Patienten mit einem Angehörigen einer anderen Generation wirksam werden kann. Das Modell eines morphogenetischen Feldes könnte hierbei hilfreich sein, müsste aber noch experimentell geklärt werden.

Eindeutig scheint allerdings festzustehen, dass das kardiovaskuläre Risiko mit seelischen Vorgängen zusammenhängt, dass – verallgemeinernd gesprochen – ein trauriges Herz auch ein krankes Herz ist.

Till Uwe Keil

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