Die zahnärztliche Versorgung in Polen

Ein Krankenversicherungssystem im Wandel

Heftarchiv Gesellschaft
Auch im zahnärztlichen Bereich ist Polen bestrebt, sich so rasch wie möglich von seiner kommunistischen Vergangenheit zu lösen. Doch die modernen Zahnkliniken und die steigende Zahl der nagelneuen Zahnarztpraxen, in denen Patienten sich privat behandeln lassen können, reichen nicht aus, die Schatten der Vergangenheit auszulöschen und die komplizierte Situation des Landes zu entschärfen.

Nicht alle Polen können sich Behandlungen in den modernen Zahnkliniken oder brandneuen Zahnarztpraxen leisten, denn die Modernisierung des gesamten Gesundheitssystems wird immer noch durch erhebliche Finanzprobleme belastet. Eigentlich gab es schon zu kommunistischer Zeit einige private Gesundheitseinrichtungen, darunter auch Zahnarztpraxen, die den Patienten offiziell neben den staatlichen Gesundheitsdiensten zur Verfügung standen. Seit 1990 versuchen die polnischen Behörden, vor allem diesen Privatsektor zu fördern, und heute werden die rund 39 Millionen Polen von insgesamt 20300 Zahnärzten behandelt, deren Verteilung im Land aber sehr unterschiedlich ist.

Der zentralisierte Staatsgesundheitsdienst wurde Mitte der 90er Jahre durch ein Krankenkassensystem, das stark vom deutschen Modell beeinflusst wurde, ersetzt. Neben angestellten Ärzten und Zahnärzten arbeiten heute die meisten Mediziner und Zahnärzte in Privatpraxen beziehungsweise Privatgruppenpraxen, und werden je nach Art und Menge ihrer Leistungen von den Kassen honoriert. Wie in Deutschland wird jede Leistung im Rahmen eines Punktwerte-Systems vergütet, dessen Summe das Endhonorar des Zahnarztes bildet. Im „Kassenzahnärztlichen Bereich“ wird eine Extraktion mit 50 Zlotys (12,50 Euro) vergütet, für eine einfache Füllung können zwischen 50 und 80 Zlotys und für eine Wurzelbehandlung 60 Zlotys abgerechnet werden. Die Anzahl und die Art der Kronen und Prothesen, die von den Kassen übernommen werden, sind aber aus Kostengründen begrenzt. Während die einfachsten Modelle in der Regel zu den Kassenleistungen gehören, müssen die Patienten, wenn sie die modernsten Kronen und Brücken wünschen, diese aus eigener Tasche zahlen, und dabei nicht selten mit 500 bis 1 000 Zlotys (125 bis 250 Euro) Eigenanteil rechnen. Dieses „Kassensystem“ wäre fast perfekt, wenn die Zahl der „Kassenzahnärzte“ aus Kostengründen nicht streng begrenzt wäre. Deswegen arbeitet derzeit nur jeder dritte Zahnarzt mit einem solchen Kassenvertrag, während die anderen, die auf einen Vertrag warten, gezwungen sind, nur rein privat abzurechnen. Das bedeutet, dass sie zwar ihre Preise selber festlegen dürfen, sie sind aber auch vollständig von der Zahlungsfähigkeiten ihrer Patienten abhängig: Solange sie die „reicheren“ Patienten in den Großstädten behandeln, werden sie keine Probleme haben, wenn sie jedoch auf dem Land oder in einem der ärmeren Bezirke tätig sind, müssen sie mit viel geringerem Einkommen rechnen. Außerdem haben die ärmsten Patienten immer noch die Möglichkeit, sich umsonst in einer staatlichen Poliklinik behandeln zu lassen. Dort haben sie zwar weder freie Zahnarztwahl noch können sie hoch technische Leistungen erwarten, aber zumindest werden sie nicht in Stich gelassen.

Geringe Löhne

Zahnärzte, die als Angestellte im Staatlichen Dienst tätig sind, müssen wie die meisten angestellten Heilberufler und Ärzte mit besonders geringen Löhnen auskommen: knapp 1 200 Zlotys (300 Euro) im Monat wird ein in Vollzeit angestellter Zahnarzt dort verdienen, während ein Kollege im Privatbereich zwischen 4 000 und 6 000 Zlotys (1 000 bis 1 500 Euro) erwirtschaften kann: Für Polen eine hohe Vergütung, auch wenn der Zahnarzt dafür manchmal zehn Stunden pro Tag arbeiten muss.

Nicht selten arbeiten die Zahnärzte sowohl im klinischen, wie auch im privaten Bereich: Morgens behandeln sie in der Poliklinik, nachmittags in der eigenen Praxis; viele von ihnen arbeiten gleichzeitig als „Kassenzahnärzte“ und als Privatzahnärzte in ihren Praxen, je nach Art der Patienten, die zu ihnen kommen.

Alle Zahnärzte, in Polen „Lekarz Stomatolog“ genannt, sind Pflichtmitglieder der polnischen Zahnärztekammer, die ein Zweig der nationalen Ärztekammer ( Izba Lekarska) ist. Sie entrichten zwei Prozent ihres Einkommens als Kammerbeiträge. Für viele Zahnärzte bleibt die Einrichtung einer Privatpraxis das höchste Ziel, aber nicht alle können sich die hohen Investitionskosten leisten. Zwar sehen heute viele Praxen aus „wie im Westen“, aber die glänzende Fassade des Neuen kann die maroden Einrichtungen vieler kleinerer, veralteter Praxen nicht verstecken.

Langes Warten

Genau wie die Einzelpraxen, sind Kliniken berechtigt, gleichzeitig Privat- und Kassenpatienten zu behandeln. Dies führt manchmal zu grotesken Situationen: In Krakau befindet sich seit kurzem eine der modernsten Universitätszahnkliniken Polens, die aber aus Kostengründen nur eine bestimmte Zahl von Leistungen zum Kassentarif erbringen darf, und die vor allem den Einwohnern der Stadt zugute kommen sollen. Die Menge der dort zum „Kassentarif“ angebotenen Leistungen ist jedoch aus Kostengründen so streng begrenzt, dass die Patienten mit langen Wartezeiten rechnen müssen: Zwischen acht Monaten und drei Jahren kann es dauern, wenn man eine Versorgung mit Kronen oder Brücken wünscht. Wer nicht warten will, oder in dieser Klinik nicht zum Kassentarif behandelt werden darf, hat keine andere Möglichkeit als sich dort privat und zu vollen Kosten behandeln zu lassen. Für die dort tätigen Zahnärzte illustriert diese Situation die etwa ironische Parole des heutigen Zahnärztewesens, die immer öfter „Warten oder Zahlen“ lautet. Trotz unzureichender Geldmittel, langer Wartezeiten und Problemen mit den Kassenverträgen, verfügt Polen über gut ausgebildete Zahnärzte, auch wenn die praktische Ausbildung vielleicht noch unzureichend ist, meint Prof. Stanislaw Majewski, der in der Jagellonischen Universität Krakau Zahnmedizin lehrt und den „zm“ das System beschreibt: Jährlich dürfen 900 Abiturienten, die eine dafür erforderliche Staatsprüfung bestanden haben, ihr zahnmedizinisches Studium in einer der zehn Fakultäten des Landes beginnen. Das Studium dauert sechs Jahre, die zwei ersten Jahre absolvieren sie gemeinsam mit den Medizinern, gefolgt von drei fachzahnärztlichen Ausbildungsjahren und einem Jahr Praktikum in einer Praxis oder Klinik. Danach kann der junge Zahnarzt seinen Beruf als niedergelassener oder angestellter Zahnarzt ausüben, oder sich als Kieferchirurg oder Kieferorthopäde weiterbilden. Diese Weiterbildung dauert je nach Art des gewünschten Faches zwischen drei und fünf Jahren.

Prophylaxe unzureichend

Zu den größten Problemen des polnischen Zahnärztewesen gehört heute die völlig unzureichende Zahnprophylaxe. Vor der Wende verfügte jede Schule über einen Schulzahnarzt, der auch für Prävention zuständig war. Inzwischen wurde die Schulzahnmedizin aus Kostengründen fast völlig eingestellt und keine neue Struktur oder Einrichtung hat sie bis jetzt ersetzt. Auch niedergelassene Zahnärzte und Kliniken verfügen nicht über ausreichende Mittel, um diese Aktionen wieder aufzunehmen und fortzuführen. Dr. Zbigniew Zak, Leiter der Krakauer Kreispoliklinik, warnt vor der sogenannten „sieben mal sieben“-Regel: „In sieben Jahren wird der Betrag, den wir für Zahngesundheit ausgeben müssen, sieben mal höher sein, als die Summe, die wir zu investieren hätten, wenn wir jetzt eine korrekte Präventionspolitik durchführten“. Problematisch ist auch die oft unklare Verteilung der Kassenverträge unter den Kollegen, sowie die genaue Auswirkung dieser Verträge auf die Behandlungsqualität. Zwar können Kassenverträge die wirtschaftliche Existenz der Zahnärzte beziehungsweise Privatkliniken sichern, aber viele Zahnärzte fürchten, dass die dafür verfügbaren Budgets ihre Therapiefreiheit begrenzen könnten. Da es ohne Vertrag jedoch oft noch schwieriger zu arbeiten ist, als mit einem Vertrag, fordern die Zahnärzteorganisationen die Kassen auf, die Zahl der Kassenverträge ohne Wenn und Aber zu erhöhen und erinnern daran, dass alle Patienten gleichen Zugang zu allen Zahnärzten haben sollten. Die Zahnärzte fordern daher die Regierung auf, ihre strenge Sparpolitik zu lockern und hoffen, dass das gesamte Gesundheitswesen dann auch die Früchte des Wirtschaftswachstums ernten kann.

Denis Durand de Bousingen5, rue Saint IgnaceF-67100 Strasbourg

Andrzej Geber6, rue du MaquisF-67100 Strasbourg

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