Gastkommentar

Parteien gefragt

Das soziale Krankenversicherungssystem Deutschlands kann die demografische Entwicklung und den medizinischen Fortschritt zugleich nicht mehr bewältigen. Alle Bundestagsparteien sprechen davon, dass nur eine tiefer greifende Reform Abhilfe schaffen kann. Der wünschenswerte gesellschaftspolitische Konsens über deren Details liegt aber in weiter Ferne.

Die unterschiedlichen Auffassungen über eine Reform sind noch nicht wahlprogammatisch fixiert. Parteitagsbeschlüsse und Arbeitspapiere lassen aber schon Konturen erkennen. Alle Parteien wollen mehr Transparenz ins System bringen, auf neudeutsch „Controlling“. Dies fordert jedem Anbieter von Gesundheitsleistungen weitere Leistungen ab. Wer zahlt das Honorar dafür? Kein Parteipolitiker kann so naiv sein, angemessene Leistungen nicht auch angemessen honorieren zu wollen, ohne den Protest der Leistungserbringer zu provozieren. Ob sich Transparenz durch Ersparnisse selbst finanziert, ist noch zu beweisen.

Übereinstimmend fordern die Parteien mehr Prävention, aber mit unterschiedlichen Finanzierungsvorstellungen. So hat die CDU-Vorsitzende Angela Merkel vorgeschlagen, präventive Maßnahmen verstärkt zu fördern und im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren. Fast zeitgleich hat der ehemalige Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) angeregt, Präventionsmaßnahmen aus der Alkoholund Tabaksteuer zu finanzieren. Der CDUGesundheitspolitiker Ulf Fink rät zu einem „ressortübergreifenden Aktionsprogramm Prävention“. Ähnlich der Parteitag der CDU Anfang Dezember: Prävention sei als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu vermitteln. Nach Finks Auffassung sollte ein Präventionsgesetz verstreute Ansätze zur Prävention zusammenführen.

In diesem Zusammenhang erscheint es bemerkenswert, dass die deutschen Zahnärzteverbände die Prävention nicht nur programmatisch vertreten, sondern bereits in die Praxis getragen haben. Der Erfolg gibt ihnen Recht, beispielsweise bei verbesserter Mundgesundheit unter Jugendlichen. Die amtierende Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat dies lobend hervorgehoben. In diesem Fall hat mittelständisches Unternehmertum auch ohne gesetzliche Vorgabe funktioniert.

Während wettbewerbsorientierte Transparenz und Eigenverantwortung der Patienten mehr oder weniger bei allen Parteien eine Rolle spielen, liegen die Vorstellungen zu differenzierten solidarisch finanzierten Vertrags- und individuell finanzierten Wahlleistungen, wie sie die Zahnärzte seit langem fordern, kontrovers bis zu den teilweise unterschiedlichen Begriffen, die dafür verwandt werden. Frau Schmidt lehnt eine Aufteilung des Leistungskatalogs in Grundund Wahlleistungen ab. Es gibt andere SPDPolitiker, die solche Vorschläge erwägen. Sie hängen eng mit dem Wunsch nach mehr Kostenbewusstsein zusammen. Dass nicht nur die Leistungsanbieterseite, sondern auch die Versorgungsmentalität mancher Patienten das Sozialsystem mitunter überbeanspruchen, wird im Wahlkampf aber kaum ein Politiker mit der erforderlichen Deutlichkeit in die Debatte werfen mögen. Das könnte Stimmen kosten. Die Grünen betonen einen Katalog mit allen notwendigen Leistungen. Wünschenswert wären dazu präzise Angaben, was nicht notwendige Leistungen sind. Die CDU fordert einen Leistungskatalog mit Kern- und Wahlleistungen sowie Selbstbehalttarife. Die CSU hält dies nur für umsetzbar, wenn der Leistungsbereich klar abzugrenzen sei, beispielsweise beim Zahnersatz. Die FDP will die Kostenerstattung statt der Sachleistung sowie Selbstbeteiligungen. Die Liberalen wollen feste Preise für ärztliche und zahnärztliche Leistungen bei leistungsgerechter Vergütung sowie Anreize zum wirtschaftlichen Verhalten von Patienten, verbunden mit Boni.

Diese Beispiele zeigen Richtungen an. Freilich hat bisher noch keine Parteienkonstellation, solange sie in der Regierung war, die Kraft für wirklich umfassende Reformen bewiesen. Nur die PDS bietet in dieser Hinsicht keine Angriffsfläche ... aus Mangel an Gelegenheit. Überdies kommt sie in diesen Zeilen nicht zur Sache vor, weil mehrfache Bitten des Autors um Material oder informierenden Rückruf aus der PDS-Bundestagsfraktion unberücksichtigt blieben. Alle Parteien haben sich aber jetzt einem gesellschaftspolitischen Druck zu stellen. Er ist nicht mehr beiseite zu schieben, und Reformansätze sind nicht nochmals zu verplempern wie in der laufenden Legislaturperiode. Allein die erneut steigenden Krankenkassenbeiträge sind dafür ein ausreichendes Argument.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.