Sozialgerichtliche Verfahren werden teurer
Gerichtskosten steigen deutlich an
Ein wesentliches Ziel des Gesetzgebers war eine deutliche Anhebung der seit mehr als 30 Jahren unveränderten Gerichtsgebühren. Die bisher geltenden Pauschalgebühren wurden grundsätzlich beibehalten, aber auf das Dreifache erhöht. Die ansonsten grundsätzliche Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens wurde zudem auf sozial besonders schutzwürdige Personengruppen (Versicherte, Leistungsempfänger, Behinderte oder deren Rechtsnachfolger) begrenzt.
Soweit in einem Verfahren – etwa bei vertragszahnarztrechtlichen Fragestellungen – weder Kläger noch Beklagter zum besonders sozialschutzwürdigen Personenkreis zählen, sind darüber hinaus die Pauschalgebühren nicht anwendbar. In diesem Fall sind die Gerichtskosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes zu berechnen, also nach dem jeweiligen Streitwert. Damit sind nochmals deutlich höhere Gerichtskosten verbunden, wobei lediglich eine Begrenzung des Streitwertes auf 2,5 Millionen Euro erfolgt ist.
Werden alle Instanzen vom Sozialgericht über das Landessozialgericht bis zum Bundessozialgericht durchlaufen, liegt somit das gesamte Prozesskostenrisiko für die Gerichtsgebühren bei zurzeit knapp maximal 120 000 Euro. Hinzu kommen gegebenenfalls Rechtsanwaltsgebühren, die ebenfalls auf der Grundlage eines Streitwertes bis zu 2,5 Millionen Euro zu berechnen sind. Bei Durchlaufen des Instanzenzuges betragen diese Gebühren zurzeit maximal etwa 65 000 Euro.
Wird das Verfahren verloren, sind nicht nur Gerichtsgebühren und eigene Anwaltskosten, sondern auch die Kosten der prozessualen Vertretung aller anderen Beteiligten zu tragen; zum Beispiel der beigeladenen Landesverbände oder Bundesverbände der Krankenkassen. In einem derartigen Verfahren summiert sich das gesamte Prozesskostenrisiko auf bis zu 700 000 Euro.
Dass es sich nicht um eine theoretische Summe handelt, hat das Verfahren der KZBV gegen einen Schiedsspruch des Bundesschiedsamtes gezeigt. Hier wurden alleine Anwaltsgebühren in Höhe von rund einer Million Mark festgesetzt. Dabei ist deutlich geworden, dass Sozialgerichte dazu neigen, auch bei nicht vermögens rechtlichen Streitigkeiten hohe Streitwerte anzunehmen.
Diese Tendenz ist nun auch vom Gesetzgeber aufgegriffen worden. Er hat die Höchstgrenze für den Streitwert mit zweieinhalb Millionen Euro wesentlich höher angesetzt, als es noch im Gesetzgebungsverfahren mit einer Million Mark erwogen wurde. Damit sollte ein gewisser Abschreckungseffekt erreicht werden, was auch in der Begründung des Gesetzentwurfes deutlich wird. Demnach sollen die neuen Gebührenregelungen die Anzahl offensichtlich unbegründeter Klagen, Anträge oder Rechtsmittel spürbar verringern.
Angesichts der erheblich gestiegenen Prozesskostenrisiken dürfte nicht nur dieses Ziel erreicht werden. Auch dürfte die Erlangung von Rechtsschutz in aussichtsreichen Fallgestaltungen wesentlich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht werden. Das gilt auch für den einzelnen Vertragszahnarzt, denn selbst mit Verfahren, die zum Beispiel in Zulassungsangelegenheiten einen Streitwert von rund 100 000 Euro erreichen können, ist jetzt ein Prozesskostenrisiko in Höhe von zirka 20 000 Euro verbunden – und das alleine für die Gerichtskosten und den eigenen Rechtsanwalt.
Im Gesetzgebungsverfahren ist für die KZBV mehrfach darauf hingewiesen worden, dass es sich bei diesen (nicht seltenen) Fallgestaltungen um die Existenzgründung eines Berufsanfängers im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung handelt. Daher sei durchaus von einer sozialen Schutzbedürftigkeit auszugehen. Dieser Hinweis hat sich jedoch gegenüber dem vorrangigen Ziel einer Verbesserung der Kostenbilanz der Sozialgerichtsbarkeit ebenso wenig durchsetzen können, wie der Hinweis darauf, dass es sich dabei um eine Einbruchstelle in die bisherige Kostenfreiheit des Verfahrens handelt, die den Keim weiterer Einschränkungen in sich trägt.
Wie dominant diese Zielrichtung ist, wird auch dadurch deutlich, dass die Möglichkeit zur Auflegung so genannter Mutwillenskosten durch das Gericht im SGG wesentlich ausgeweitet worden ist. Einem Verfahrensbeteiligten können (gemäß § 192 SGG) nun Gerichtskosten mindestens in Höhe einer Pauschalgebühr auch dann auferlegt werden, wenn durch sein Verschulden die Verhandlung verzögert wird oder er den Rechtsstreit fortführt, obwohl er durch das Gericht auf die offensichtliche Aussichtslosigkeit hingewiesen worden ist.
Aufschiebende Wirkung neu geregelt
Ein weiteres zentrales Anliegen des Gesetzgebers war es, den bisher im SGG nur rudimentär geregelten einstweiligen Rechtschutz speziell für das sozialgerichtliche Verfahren näher auszugestalten. Daher finden sich jetzt in den §§ 86 a und b SGG allgemeine Bestimmungen zur
• aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage;
• Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung;
• Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes durch das Gericht.
Die grundsätzlich aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Anfechtungsklage entfällt danach unter anderem, wenn die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet worden ist. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen oder die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen. Ferner besteht auch die Möglichkeit, im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufigen Rechtschutz zu erhalten.
Diese allgemeinen Bestimmungen des SGG werden jedoch für den Bereich des Vertragszahnarztrechtes weitgehend ausgeschlossen – und zwar durch § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG und die darauf aufbauenden Sonderbestimmungen im SGB V. Keine aufschiebende Wirkung haben somit
• Widerspruch und Klage gegen die Honorarfestsetzung sowie ihre Änderung oder Aufhebung gemäß dem neu angefügten § 85 Abs. 4 Satz 9 SGB V;
• Klage gegen die Festsetzung des Schiedsamtes (§ 89 Abs. 1 Satz 5, Abs. 1 a Satz 3 SGB V);
• Klage gegen eine vom Beschwerdeausschuss festgesetzte Honorarkürzung (§ 106 Abs. 5 Satz 7 SGB V).
In derartigen Verfahren sind Kläger somit darauf verwiesen, gegebenenfalls neben dem Hauptsacheverfahren eine einstweilige Anordnung (§ 86 b SGG) zu erwirken.
Weitere Neuregelungen
Durch verschiedene Einzelmaßnahmen soll das sozialgerichtliche Verfahren darüber hinaus beschleunigt und gestrafft werden. Insbesondere ist in so genannten Massenverfahren, in denen die Beiladung von mehr als 20 Personen in Betracht kommt, die Beiladung vereinfacht worden. Diese erfolgt nach einem entsprechenden Beschluss des Gerichtes nur dann, wenn solche Personen die Beiladung innerhalb einer bestimmten Frist beantragen (§ 75 Abs. 2 a SGG).
Die Möglichkeit einer Vorabentscheidung über entscheidungserhebliche Sach- und Rechtsfragen durch Zwischenurteil ist in § 130 Abs. 2 SGG eingeführt worden. Der Vorsitzende ist durch die Neufassung des § 155 Abs. 2 SGG ermächtigt worden, in dringenden Fällen im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes alleine zu entscheiden.
Fazit
Die verfahrensrechtlichen Änderungen dürften für den einzelnen Vertragszahnarzt regelmäßig ohne weitere Konsequenzen bleiben. Vor Einleitung eines sozialgerichtlichen Verfahrens wird er jedoch gründlicher als schon bisher die regelmäßig deutlich gestiegenen Prozesskostenrisiken ermitteln und bewerten müssen.
Dr. Thomas MuschallikUniversitätsstr. 7350931 Köln