Die Ausbildung braucht ganz neue Wege
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Der medizinische Fortschritt, ein zusammenwachsendes Europa, länderübergreifende Wissensintegration, eine wissenschaftlich neu ausgerichtete präventionsorientierte Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde – dies sind nur einige der Anforderungen, mit denen der Zahnarzt heute konfrontiert ist. Eine qualitativ hochwertige Ausbildung der Zahnmedizin-Studenten bildet den Grundstock für eine fundierte und dem derzeitigen Stand der Wissenschaft entsprechende zahnmedizinische Versorgung.
Doch hier liegt vieles im Argen. Eine heute völlig antiquierte Approbationsordnung für Zahnärzte (AO-Z), die aus dem Jahre 1955 stammt, entspricht schon längst nicht mehr dem jetzigen Stand der Wissenschaft. Die heutige Zahnmedizin ist den in der AO-Z festgehaltenen Anforderungen weit voraus. Es mangelt in dem veralteten Regelwerk vor allem an Ausbildungsinhalten, der Praxis-Charakter fehlt vollkommen. Es gilt, die Gesamtbetreuung des Patienten ins Auge zu fassen und seine Mitverantwortung zu wecken. Neue Inhalte wie präventive, sozialpsychologische, sozioökonomische oder evidenzbasierte Aspekte sollten integriert werden. Ein mit der Medizin verzahnter fächerübergreifender Unterricht ist gefragt und muss eine stärkere und praxisbezogenere Ausrichtung erfahren. Hier ist die Politik schon lange aufgefordert, aktiv zu handeln, vor allem, seit die neue Approbationsordnung für Mediziner verabschiedet wurde.
Unser Fachgebiet ist Teil der Medizin. Deshalb muss in der ZahnMedizin vor allem eine Gewichtung ärztlicher Grundlagen im Hinblick auf die Wechselwirkungen zwischen Gesamtorganismus und Mundhöhle erfolgen. Auch die Lehr- und Praxisvermittlung muss auf eine neue Basis gestellt werden. Der Frontalunterricht muss zugunsten gruppenund praxisorientierter Lernstrukturen weichen. Es geht um den Ausgleich von Defiziten. Deswegen tut es Not, neue Wege in der Ausbildung einzuführen.
Ich stelle zur Diskussion ein System mit Graduate- und Postgraduate-Strukturen, wobei letztere mit der eigentlichen Approbationsordnung nichts zu tun haben. Dabei bliebe es im Rahmen des Graduate-Curriculums bei einer fünfjährigen universitären Ausbildungszeit. Dies entspreche auch der europäischen Zahnärzterichtlinie. Ziel dieser Ausbildung sollte es sein, den praxisfertigen Zahnarzt in allen Teilgebieten und Tätigkeitsbereichen der ZahnMedizin auszubilden.
Vor allem dem an der Hochschullaufbahn interessierten Nachwuchs sollte die Möglichkeit der vertiefenden Weiterbildung in Form eines klassichen Postgraduate-Curriculums eingeräumt werden. Hierfür böte sich eine – selbstverständlich selbstfinanzierte – ergänzende Postgraduiertenqualifizierung an.
Wichtig ist es, die Aufsplitterung des Berufsstandes zu verhindern und die Patientenversorgung auf hohem Niveau bereit zu stellen. Ein innovativ ausgerichtetes Postgraduate-Studium wird dem weitgefächerten Fachgebiet mit seinen zahlreichen Teildisziplinen gerecht. Es fördert den Wettbewerb zwischen den Hochschulen, ohne den Weiterbildungsordnungen der Kammern zu widersprechen. Es wirkt dem Bestreben des Wissenschaftsrates, die ZahnMedizin an die Fachhochschulen zu verlagern, entschieden entgegen. Ganz besonders gewährleistet es den Anschluss an die dringend notwendige internationale wissenschaftliche Entwicklung. Die Weiterentwicklung unseres Fachgebietes sollte auch im Hinblick auf die immer bedeutender werdende Freizügigkeit in Europa möglich sein.
Der Berufsstand ist gut beraten, sich in Eigenregie dieser Problematik zu stellen und mit eigenen Entwürfen in die Diskussion zu gehen: Ein Koordinierungsausschuss AO-Z, geleitet von BZÄK-Vorstandsmitglied Dr. Michael Frank, dem Mitglieder der BZÄK, der DGZMK, der Hochschullehrer und des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte angehören, erarbeitet derzeit gemeinsam Lösungsansätze. Anfang 2003 soll ein erster Vorschlag für eine novellierte AO-Z vorliegen.
Wir Zahnärzte werden mit Nachdruck von der neuen Regierungskoalition die Novellierung unserer Approbationsordnung einfordern. Die bisherige Hinhalte-Politik ist nun, nachdem die neue Approbationsordnung der Mediziner verabschiedet wurde, endgültig hinfällig. Jede weitere Verzögerung untergräbt die Glaubwürdigkeit der verantwortlichen Gesundheitspolitiker.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Dr. Jürgen WeitkampPräsident der Bundeszahnärztekammer