KZBV-Vertreterversammlung 2002 in Wiesbaden

Dringende Mahnung zu echten Reformen

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Eigentlich sei es ja gar kein Heimspiel für ihn, bemerkte Dr. Jürgen Fedderwitz, stellvertretender Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), zu Beginn der Veranstaltung. Denn obwohl er als Vorsitzender der KZV Hessen der Gastgeber der Vertreterversammlung 2002 im Wiesbadener Hotel Dorint war – das Publikum im Saal war alles andere als einheimisch. Rund 130 Delegierte aus ganz Deutschland kamen am 18. und 19. Oktober in die hessische Landeshauptstadt, um über die Belange der Zahnärzteschaft und ihre Forderungen an die neue, alte Bundesregierung zu diskutieren.

Bevor es aber in die politische Debatte ging, wurde es erst einmal festlich im Saal. Prof. Dr. Burkhard Tiemann, Geschäftsführender Direktor des Institutes der Deutschen Zahnärzte und Koordinator des BZÄK-Consiliums, wurde aus seiner Position als Bevollmächtigter des KZBV-Vorstandes verabschiedet. KZBV-Chef Löffler ehrte ihn für seine langjährigen Verdienste – stilecht, wie es sich für Wiesbaden gehört, mit Wein aus dem Rheingau.

Die Vertreterversammlung – souverän geleitet vom Vorsitzenden Dr. Gunther Lichtblau – stand in weiten Teilen unter dem Eindruck der jüngsten Bundestagswahlen und der Aussicht auf weitere vier Jahre rot-grüner Regierung. Für Dr. Rolf-Jürgen Löffler, Vorsitzender der KZBV, war das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen gerade im Bereich Gesundheitspolitik in keiner Weise zufrieden stellend: „Ein erster zaghafter Maßnahmenkatalog“ sei hier aufgestellt worden, „statt das Problem an den Wurzeln zu packen“. Von einer Reform seitens der politisch Verantwortlichen könne hier nicht gesprochen werden. Die Diskussion um eine Anhebung der Pflichtversicherungsgrenze hätte aufgezeigt, was für die Zukunft zu befürchten sei: „eine staatliche Einheitsversicherung, so wie wir sie aus DDR-Zeiten kennen.“

Auch die Einführung eines „Ärzte-TÜV“ wurde vom KZBV-Vorsitzenden in seinem Bericht zur Vertreterversammlung skeptisch gesehen. „Was sich dahinter verbirgt, ist schon jetzt klar“, so Löffler. „Eine ständig wiederkehrende, vermutlich kostenpflichtige Bestätigung medizinischer Kenntnisse, von der die Lieferberechtigung für die GKV abhängig gemacht wird.“ Die zunehmende Bürokratisierung und die sich stets verschlechternde Vergütung würden über kurz oder lang dafür sorgen, dass das zahnmedizinische Studium „für den Nachwuchs uninteressant wird“. Ähnliche Tendenzen seien heute bereits bei den Humanmedizinern zu beobachten; Ärzte würden mittlerweile fast überall händeringend gesucht.

Nein zur Patientenquittung

Der „Patientenquittung“, welche von der rot-grünen Regierungskoalition ins Gespräch gebracht wurde, erteilte Löffler eine klare Abfuhr. „Dies macht doch nur Sinn, wenn außer der Leistung auch der Preis in Euro draufsteht.“ Auch würde ein Patientenbeauftragter sicherlich nicht das Gesundheitswesen retten, so der KZBV-Vorsitzende. „Wir haben als Zahnärzte die Verpflichtung, gewonnene Selbstverantwortung an und mit unserem Patienten zu leben.“ Dazu zählte Löffler die Bereitschaft, sich der Kritik von Patientenberatungsstellen anzunehmen, wenn Versicherte oder Kassen das wünschen. Ebenso wie die Einführung der Patientenkarte auf freiwilliger Basis bedeuteten diese Maßnahmen aber nicht mehr als zögerliche und halbherzige Schritte, die lediglich für einen bürokratischen Mehraufwand sorgen, sonst aber nichts bringen.

„Wir mahnen dringend eine Reform in der GKV an“, so Löffler. „Sie ist bitter nötig.“ Die deutsche Zahnärzteschaft hätte die gesellschaftliche und ethische Verpflichtung, Verantwortung zu übernehmen, wenn „ein permanenter, verschleierter Angriff auf die Grundrechte des Bürgers in dieser Republik erfolgt“. Mehr Geld ins System zu pumpen würde die Strukturprobleme in der GKV

 nicht lösen, sondern eine Reform nur hinauszögern. Stattdessen müsse die Selbstverantwortung der Beteiligten erhöht und das Kosten- und Gesundheitsbewusstsein gestärkt werden. Das bedeute nicht nur, Verantwortung zu übernehmen und Eigeninitiative zu ergreifen, sondern auch, dass soziale Errungenschaften abzubauen sind und auf Annehmlichkeiten verzichtet werden muss. Löffler: „Dies würde gar das Leitbild des roten Weihnachtsmannes zerstören, der nur soziale Geschenke zu verteilen hat.“ Die Zahnärzte hielten dennoch daran fest, dass Selbstverantwortung der Schlüssel zur GKV-Reform ist.

Löffler bekräftigte die Forderung nach Festzuschüssen in allen Leistungsbereichen. Als Angebot an die Bundesregierung formulierte er ein Modell, wonach die Kostenerstattung wahlweise zumindest für eine Übergangszeit angeboten wird. „Die Festzuschüsse sollten so strukturiert sein, dass die unverzichtbaren Leistungen, die alle Behandlungsfelder abdecken sollten, voll erstattungsfähig sind.“ Hierzu müsste der GKV-Leistungskatalog auf ein europäisches Niveau ausgerichtet werden.

Enttäuschende Koalition

Für Karl-Winfried Seif (CDU), Staatssekretär im Hessischen Sozialministerium, der als Gast vor der Vertreterversammlung sprach, hat die Bundesregierung ihre Chance zu einer Strukturreform im Gesundheitswesen vertan. „Von der groß angekündigten Gesundheitsreform, die nach der Bundestagswahl auf den Weg gebracht werden sollte und die dringend erforderlich ist, ist im Koalitionsvertrag keine Rede mehr.“ Die Zeche hierfür müssten die Versicherten bezahlen, da ein weiterer Anstieg der Kassenbeiträge bereits absehbar sei. Ausgangspunkt für eine umfassende Gesundheitsreform sei, so Seif, dass in der GKV wettbewerbs- und leistungsorientierte Rahmenbedingungen im Sinne eines sozial gerechten und fortschrittlichen Gesundheitswesens geschaffen würden.

Am Rande der Vertreterversammlung hatte KZBV-Vorsitzender Löffler vor der Presse die Forderungen der Zahnärzteschaft an die Bundesregierung formuliert. „Das bürokratische Erbe früherer Gesundheitsreformgesetze wollen wir loswerden und fordern endlich eine echte Strukturreform“, so sein Statement. Mit den befundorientierten Festzuschüssen habe die KZBV ein zukunftsweisendes Konzept in die politische Diskussion eingebracht. Für die nötige Transparenz im System sei es erforderlich, die Kostenerstattung einzuführen. „Wir müssen die über viele Jahre gepflegte Vollkasko-Mentalität zurückfahren und endlich Kostenbewusstsein schaffen.“ Das ginge aber nur, wenn ein Patient für seine Behandlung auch eine Rechnung erhält. Hierbei könne es sich jedoch nicht um die von der Politik ins Spiel gebrachte „Patientenquittung“ handeln, so der KZBV-Vorstandsreferent für PR und Öffentlichkeitsarbeit Dieter Krenkel. Er stellte in Frage, ob es sich hierbei vielleicht um nichts weiter handele als eine Art Behandlungsschein.

Auch SPD sieht den Bedarf

Was die Umsetzbarkeit von Gesundheitsreformen betrifft, so stellte der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz fest, dass dies im zahnärztlichen Bereich viel leichter sei als in anderen medizinischen Bereichen. Er zeigte sich zuversichtlich: „Es gibt auch in der SPD Leute, die den Reformbedarf sehen; es ist ja nicht so, dass die Regierung alle Türen zugemacht hat.“

Im Mittelpunkt der Vertreterversammlung stand die Diskussion der insgesamt zwölf eingebrachten Leitanträge. Das Plenum debattierte, korrigierte, ergänzte – und beschloss daraufhin weitestgehend einstimmig.

• Mit ihrer Resolution über„Sofortmaßnahmen zur Wiederherstellung des Vertrauens“und die„Streichung von Versatzstücken früherer Reformen“forderte die Vertreterversammlung den Gesetzgeber auf, jene Bestim-mungen des SGB V zu streichen, die zu keiner Verbesserung der zahnmedizinischen Versorgung führen, „aber die Freiheit der Patienten und Zahnärzte unerträglich einschränken“. Insbesondere müssten dabei Regelungen abgeschafft werden, die für eine Begrenzung der Mittel bei unbegrenzten Leistungen, für Budgetierung und Degression verantwortlich sind. Auch die Einschränkung von freier Arztwahl und Berufsfreiheit sowie die wettbewerbsfeindliche Vergütung zahntechnischer Arbeiten und die Beschränkung der Kostenerstattung nur für freiwillig Versicherte der Krankenkassen gehören zu den gesetzlichen Regelungen, die dem Beschluss zufolge abgeschafft werden müssen.

• DieEinführung befundorientierter Festzuschüsse mit Kostenerstattungwar ein zentrales Thema der Vertreterversammlung. In der beginnenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestags, so die Forderung, müssten die politisch Verantwortlichen eine grundlegende Reform des GKVSystems im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung einleiten. Das von der Zahnärzteschaft beschriebene Festzuschussmodell würde wirksam die GKV-Ausgaben begrenzen und gleichzeitig präventionsorientiertes Verhalten der Versicherten fördern. Zudem könne so der hohe Qualitätsstandard zahnmedizinischer Versorgung in der Bundesrepublik auch für die Zukunft gesichert werden.

• Die Forderung nach einerDeregulierung der Gesetzlichen Krankenversicherungwurde von der Vertreterversammlung mit dem Ziel gestellt, „das bisherige aufwändige System der Leistungsbeschreibung, Vergütungsvereinbarung und -abrechnung zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts und die von ihnen durchgeführten Überwachungs- und Prüfungsverfahren nach einer Übergangszeit ersatzlos zu streichen“. Bei einer vollständigen Umsetzung des Festzuschuss-Konzeptes würden erhebliche Verwaltungsausgaben entfallen, die dann als zusätzliche Leistungen für die GKV-Versicherten eingesetzt werden könnten. Würde das Monopol der Krankenkassen aufgelöst, so der Leitantrag, wären die Zahnärzte bereit, auf die Schutzfunktion der KZVen zu verzichten und Behandlungsverträge gemeinsam mit den Patienten auf der Grundlage freien Wettbewerbs zu gestalten.

• Mit einem weiteren Antrag sprach sich die Vertreterversammlung„für die Stärkung des Patienten-Zahnarzt-Verhältnisses – gegen die Einkaufsmodelle der Krankenkassen“aus. Einzel- oder Gruppenverträge werden solange abgelehnt, wie kein Wettbewerb existiert, der den Zahnärzten gleiche Marktbedingungen zusichert wie den Krankenkassen: „Einem einseitig durch Krankenkassen dominierten Gesundheitssystem wird sich die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung mit aller Kraft entgegensetzen.“

• Der Beschluss überFortbildung in freiwilliger Verantwortungwar von der Vertreterversammlung als klare Aussage an den Gesetzgeber gerichtet, dass jegliche Eingriffe abgelehnt werden, welche die vertragszahnärztliche Versorgung an die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen binden.

• EineGleichstellung der Rechte von freiwillig GKV-Versicherten und Pflichtversichertenist nach Ansicht der Vertreterversammlung zwingend notwendig. Jedem Patienten müsse das Recht auf Wahl der Kostenerstattung und -transparenz zustehen.

• DieTeilnahme im Koordinierungsausschussund der damit bestehenden Strukturen soll vom Vorstand kritisch überprüft werden.

• Unter der Überschrift„Dialog und Widerstand“forderte die Vertreterversammlung, dass die Verhandlungen im Erweiterten Bewertungsausschuss „ein fachlich angemessenes, wissenschaftlich korrekt relationiertes Leistungsverzeichnis mit wirtschaftlich stimmigen Honoraren“ erbringen sollen. Der Vorstand müsse eine außerordentliche Vertretersammlung einberufen, um geschlossene Gegenmaßnahmen einzuleiten, „wenn Elemente einer präventionsorientierten Zahnheilkunde, die nur in einem befundorientierten Festzuschusssystem mit Kostenerstattung realisierbar sind, Eingang in den Bema finden sollten oder die betriebswirtschaftliche Situation der freiberuflichen Praxis nicht hinreichend berücksichtigt wird“.

• Für eine„transparente Rechnungslegung“und gegen„fiktive Quittungen“sprach sich die Vertreterversammlung mit der Begründung aus, dass letztere „ökonomisch und ökologisch fragwürdig und ungenügend nachhaltig“ seien. Nur ein befundorientiertes Festzuschusssystem könne dem Patienten durch reale Rechnungen inhaltlich und wirtschaftlich volle Transparenz geben.

• Die„unerträgliche Situation im Bereich der Ersatzkassen“verurteilte die Vertreterversammlung mit der Begründung, dass der Verband der Angestellten-Krankenkassen unter Missbrauch des Bundesversicherungsamtes Schiedsamtsentscheidungen aushebele.

• Einegemeinsame Kommunikationsplattform der Zahnärzteschaftwurde von der Vertreterversammlung befürwortet. Ziel müsse sein, eine deutschlandweite und zeitnahe elektronische Kommunikation auf der Grundlage eines gemeinsamen Sicherheitsstandards einzurichten.

• Mit ihrerErklärung zu Qualitätklagte die Vertreterversammlung an, dass „der politische Wille des Gesetzgebers zu Budgets und Kontrollen“ eine qualitative Versorgung gefährde und das Patient-Arzt-Verhältnis untergrabe. „Qualität hat ihren Preis“, so der Wortlaut. Würden die nötigen Rahmenbedingungen nicht umgehend geschaffen, würden „die Leistungen nicht mehr erbracht werden, die qualitätsgerecht nicht mehr zu erbringen sind“.

Erfolgreiche PR-Arbeit

Um weiterhin die erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit für die deutsche Zahnärzteschaft betreiben zu können, hat die Vertreterversammlung außerdem beschlossen, im Rahmen der „Kampagne 2003“ eine Rücklage aus Sonderbeiträgen zu bilden. Monatlich werden durch die jeweiligen KZVen von jedem beitragspflichtigen Zahnarzt sechs Euro erhoben; die so gesammelten Gelder werden ausschließlich für die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt.

Was den Haushalt für das Jahr 2003 betrifft, so hatte der KZBV-Vorstand seine Hausaufgaben gemacht. Nachdem bei der Vertreterversammlung im vergangenen Jahr eine Erhöhung der monatlichen Beiträge keine Zustimmung fand, mussten Einsparpotenziale gefunden werden. Insgesamt, so sieht es der Etatansatz vor, sollen 2003 im Vergleich zu 2002 rund 3,2 Millionen Euro eingespart werden.

Mit den Beratungen zum Thema Haushalt endete die diesjährige Vertreterversammlung. Und am Schluss fühlte sich neben Dr. Jürgen Fedderwitz bestimmt auch das Plenum in Wiesbaden ein wenig heimisch.

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