Intelligente Lösungen für die Zukunft
Die Probleme in der deutschen Gesundheitspolitik drängen nach Lösungen. Doch in einer sich ständig erweiternden und harmonisierten Europäischen Union machen die Probleme nicht an den Grenzen halt. Auch diesen Fragen wollten die Initiatoren des 1. Europäischen Gesundheitskongresses in München nachgehen.
„Die Osterweiterung der Europäischen Union wird unser Krankenversicherungssystem vor große Herausforderungen stellen. Das Angebot an Gesundheitsdienstleistungen in Ungarn und Polen für ausländische Patienten zeigt bereits jetzt, dass sich diese Länder auf dem Gesundheitsmarkt positionieren werden.“ Dies sagte Christa Stewens, bayerische Sozialministerin, am Eröffnungstag des Kongresses. Gerade für Deutschland sei es – aufgrund geographischer Lage und intensiver Wirtschaftsbeziehungen zu den osteuropäischen Ländern – sehr wichtig, dass die Weichen bei der Integration dieser Länder richtig gestellt würden. „Der Gesundheitsmarkt gehört zu den wichtigsten und am stärksten expandierenden Dienstleistungsmärkten Europas“, betonte Stewens die besondere Bedeutung dieses Sektors. In ihm seien etwa sieben Prozent aller Arbeitskräfte der EU beschäftigt. Ein solcher Markt stehe natürlich nicht außerhalb des Gemeinschaftsrechts. Marktabschottungen und Kartellbildungen müssten auch vor dem EU-Recht bestehen. „Kern der Problematik ist die Frage, welche Schranken das nationale Sozialrecht seinen Bürgern setzen darf, die grenzüberschreitend in einem anderen Land Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch nehmen wollen.“ Der EuGH habe klar gestellt, dass in solchen Fällen grundsätzlich europäisches Recht anzuwenden sei, so Stewens weiter. Zur Sorge bestünde aber kein Anlass, vielmehr eröffne diese Entwicklung neue wirtschaftliche Chancen: „Mit dem hervorragenden Potential unseres Gesundheitswesens können wir auf einem internationaler werdendem Gesundheitsmarkt gut bestehen.“
Seehofer selbstkritisch
„Das deutsche Gesundheitswesen kommt einfach nicht zur Ruhe. Eine sinnlose Reform folgt der Nächsten.“ Mit diesen Worten begann der CSU-Sozialpolitiker Horst Seehofer vor den 450 Kongressteilnehmern seine Auseinandersetzung mit dem deutschen Gesundheitswesen. Alle bisherigen Eingriffe seien nicht geeignet gewesen, das System dauerhaft zu stabilisieren. Fast immer seien die Reformen verbunden gewesen mit Reglementierung und planwirtschaftlichen Eingriffen. Durchaus selbstkritisch bezog Seehofer dabei auch seine eigene Regierungszeit als Gesundheitsminister in der Regierung Kohl mit ein. „Die langfristige Erfolglosigkeit dieser Reformen spricht gegen solche Eingriffe – egal von welcher Regierung.“ Politik sei eben ein Lernprozess und Fehler müsse man sich auch eingestehen können, so Seehofer.
Aktuelles Kernproblem der Gesundheitspolitik laut Seehofer: das Einnahmenproblem in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Kostendämpfungsversuche bei den verschiedenen Beteiligten im Gesundheitssystem brächten keinen Erfolg, so der ehemalige Gesundheitsminister. „Das Skalpell muss in der Politik angesetzt werden.“ Die so oft zitierte Kosten-Explosion im Gesundheitswesen gebe es nicht. Der Anteil für Gesundheitsausgaben entwickele sich seit vielen Jahren parallel zum Bruttosozialprodukt. Durch die anhaltende wirtschaftliche Schwäche und zunehmende Arbeitslosigkeit sinke allerdings die Grundlohnsumme – also die Summe der beitragspflichtigen Einkommen in der GKV – von Jahr zu Jahr. „Wir können gar nicht so viel einsparen und reformieren, wie uns auf der Einnahmeseite wegbricht“, brachte Seehofer das Problem auf den Punkt. Deshalb brauche man als erstes wirtschaftliche Reformen, um die Einnahmenseite wieder in Ordnung zu bringen, betonte der CSU-Sozialexperte. Davon abgesehen sei die bisherige einnahmenbetonte Gesundheitspolitik ein falscher Zukunftsansatz. „Wir werden in Zukunft einen höheren Anteil am Bruttosozialprodukt auf-
wenden müssen, um eine erstklassige Versorgung aufrecht zu erhalten.“ Alles andere sei ein Krank-Sparen des Gesundheitswesens, so Seehofer. In der Union denke man daher auch über alternative solidarische Finanzierungsmöglichkeiten nach: „Es gibt viele andere Möglichkeiten als nur den Weg über die Lohnnebenkosten.“
Um das Gesundheitssystem grundlegend zu reformieren seien natürlich auch strukturelle Veränderungen nötig, betonte Seehofer. Das deutsche Gesundheitswesen brauche mehr Transparenz und mehr Wettbewerb. Patienten müssten stärker – etwa durch Patientenselbsthilfegruppen – in das System eingebunden werden. Seehofer forderte aber vor allem anderen eine neue Balance aus gemeinschaftlicher Solidarität und Eigenverantwortung des Patienten. Zu lange sei der Anteil an Solidarität überbewertet und durch wuchernde Bürokratisierung aufrechterhalten worden.
„Die Versicherten brauchen mehr Mitbestimmungsrechte im Leistungskatalog. Gesundheitsvorsorge muss in Zukunft mit finanziellen Anreizen gekoppelt werden“, sagte der Unions-Politiker. In den nächsten zwei Jahren müssten viele Reformen auf den Weg gebracht werden, „da sonst in spätestens zehn Jahren die Probleme in ihrer vollen Härte zuschlagen.“ Auf die Frage, wie denn die Union gedenke, trotz verlorener Wahl ihre Politik in die Tat umzusetzen, sagte Seehofer: „Glauben Sie nicht, wir wären in der Opposition ein zahnloser Tiger. Wir können auch hier viel beeinflussen.“ Seehofer kündigte an, dass es von Seiten der Union keine Blockadepolitik geben werde, wenn die Regierung vernünftige Vorschläge unterbreite.
Musealer Charakter
„Die Bedarfsentwicklung in der Medizin steigt schneller als die Möglichkeit, dies zu finanzieren.“ Als grundsätzliches, weltweites Problem skizzierte Prof. Dr. Günter Neubauer, Dozent an der Bundeswehruniversität in München, diese Entwicklung in seinem Kongress-Statement. „Die alte Tante GKV ist ein verdienstvolles System – aber sie zeigt heute ihren musealen Charakter“, witzelte der Volkswirtschaftler. Man müsse darüber nachdenken, was man aus diesem System noch retten kann und was über Bord geschmissen werden muss. Das Hauptproblem aus seiner Sicht: Die Lohnnebenkosten. Neubauer pflichtete Seehofer bei, dass durch steigende Lohnnebenkosten die wirtschaftliche Entwicklung abgewürgt werde. Dies wiederum verschlechtere die Einnahmeseite der GKV und führe nur zu weiter steigenden Lohnnebenkosten. Neubauer forderte Seehofer auf, diese Entwicklung zu stoppen: „Da müssen Sie voranmarschieren, Herr Seehofer. Sie wissen ja: die Freunde kommen dann nach.“ Koppelt man die Finanzierung der GKV vom Arbeitgeberbeitrag ab, ließe sich auch ein weiteres Problem lösen: die einnahmenorientierte Ausgabepolitik. „Wir müssen dem Gesundheitswesen die Chance geben weiter zu wachsen“, forderte Neubauer. Es sei ein Fehler, dass die Medizin in ihrem Potential gebremst werde, weil es der GKV an Einnahmen fehle. Die derzeitigen Versuche, die Einahmen-Basis zu reformieren, sei nur Flickschusterei, kritisierte Neubauer die aktuellen Versucher der Regierung. Als Beispiel benannte er die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze: „Das ist doch nichts anderes als eine neue, virtuelle Berliner Mauer. Man kann nicht die Leistungsstarken – die ja wegen Ausbeutung aus dem System raus wollen – durch zwang im System behalten. Das geht auf Dauer schief.“