Coaching für den Teamchef
„Coaching“ – das bedeutet, Selbstreflexion und -wahrnehmung auf Basis gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Akzeptanz zu fördern. Ein Coach bietet einem Zahnarzt Hilfe zur Selbsthilfe – in einer entspannten, frei gewählten Beratungssituation. Dabei liefert der Coach keine direkten Lösungsvorschläge, sondern regt durch individuelle Beratung auf Prozessebene den Zahnarzt an, eigene Lösungen zu entwickeln.
Für einige Zahnärzte wird es ungewohnt sein, sich helfen zu lassen. Denn eigentlich sind doch sie diejenigen, die helfen – nämlich ihren Patienten. Aber eine Begleitung auf Zeit macht durchaus Sinn für Praxischefs, die ständig unter Zeitdruck arbeiten, alle Entscheidungen alleine treffen müssen und die Führung der Mitarbeiter deshalb oft vernachlässigen.
Der wirtschaftliche Druck durch Kostendämpfung und Budgetdeckelung lenkt die Aufmerksamkeit des niedergelassenen Mediziners neben den fachlichen Aspekten auf die finanziellen Notwendigkeiten. Ein Praxisinhaber ist heute nicht nur Medizin-Profi, sondern auch Unternehmer, Verwaltungsexperte und vor allem Führungskraft. Interne Kommunikation, ein gemeinsames Erscheinungsbild von Zahnarzt, zahnmedizinischer Fachangestellter und Praxis sowie viele andere „weiche Faktoren“ treten hinter den „harten Fakten“ zurück.
Problemfaktor Zeit
Das Einzige, was sich nicht verändert hat, ist die zur Verfügung stehende Zeit. Deshalb ist die Situation vieler Zahnärzte in den Praxen geprägt von Zeitmangel. Hieraus resultieren Defizite in der Kommunikation, mangelnde Wahrnehmung von Führungsaufgaben sowie fehlende Zielorientierung. Ein diskreter persönlicher Austausch mit dem Coach hilft, Entwicklungsprozesse zu initiieren, eigenes Verhalten zu reflektieren, Problemstellungen aufzudecken und gemeinsam deren Lösungen zu erarbeiten.
Im nicht-medizinischen Bereich treten Coaches oft in Erscheinung, wenn sich Führungskräfte bewusst für eine neue berufliche Situation entscheiden. Dass ein Coaching des niedergelassenen Mediziners zur Zufriedenheit des gesamten Praxisteams führen kann, soll ein Beispiel aus einer Allgemeinarztpraxis deutlich machen.
Ein Arzt, nennen wir ihn Dr. G., zuletzt in der Klinik tätig, hat seine Facharztprüfung für Allgemeinmedizin erfolgreich abgelegt und vor kurzem eine Praxis in einem Wohnviertel einer größeren Stadt übernommen. Sein Vorgänger war 25 Jahre lang als Hausarzt tätig. Dr. G. übernimmt drei Arzthelferinnen – eine Vollzeit- und zwei Teilzeitkräfte sowie eine Auszubildende. Schnell wird die Praxis modernisiert. Mit Sonografiegerät, Kurzwelle und Computer wird der technische Stand erhöht, und mit hellen, freundlichen Möbeln sowie Farbe und Bildern an den Wänden werden die Räume umgestaltet. Da die Patienten zunächst weiterhin zur Behandlung kommen, läuft alles wie erwartet.
Aber nach und nach werden die Helferinnen unzufriedener. Die Patienten müssen nun nicht mehr wie früher etwa 30 Minuten warten, sondern immer häufiger 45 Minuten, eine Stunde oder sogar länger – ohne dass Notfälle dafür verantwortlich wären. An der Anmeldung sind nach und nach unkoordiniertes Arbeiten, Missverständnisse, Unsicherheit, Hektik und mürrische Gesichter zu bemerken. Die Helferinnen fühlen sich überlastet. Der Arzt stellt fest, dass seine Anordnungen nicht umgesetzt werden und fühlt sich ausgebrannt, weil er immer mehr und länger arbeitet. Obwohl er alles, was er anordnet, nochmals kontrolliert, steigt die Fehlerquote. Plötzlich bleiben einige „Stammpatienten“ weg.
Oft wird der Rückgang an Patienten durch neue ausgeglichen, doch irgendetwas stimmt nicht mehr. Kein Wir-Gefühl, keine Motivation, kein Dienstleistungsgedanke – und unter den Helferinnen steigen die Fehlzeiten durch Krankheit. Ein Austausch der Helferinnen würde vielleicht kurzzeitig einen Erfolg bringen, aber das Problem liegt woanders – Dr. G., Chef der Praxis, hat seine Führungsaufgaben vernachlässigt.
Wieder Freude am Beruf
Nachdem er seine inneren Widerstände und Bedenken überwunden hat, wendet sich Dr. G. an einen Coach. Leicht fiel es ihm nicht, aber die Bereitschaft, sein eigenes Verhalten zu ändern, brachte ihm am Ende wieder die Freude an seinem Beruf zurück.
Die Grundlage für einen effizienten Coachingprozess ist die gründliche Analyse. Der Coach begleitet hierzu seinen Klienten an repräsentativen Tagen in der Praxis. Das hat einerseits den Vorteil, dass es den Arzt keine zusätzliche Zeit kostet, auf der anderen Seite kann der Coach sich ein eigenes Bild machen. Ergänzend werden kurz gehaltene Fragebögen bearbeitet. Das eigentliche Coaching erfolgt dann diskret, themenzentriert und stundenweise, auch außerhalb der Praxis. Weiterentwicklung des persönlichen Rollenverständnisses, Optimierung des Führungsverhaltens, Konfliktbearbeitung, Kommunikationsoptimierung, Zeitorganisation, Selbstbild-Fremdbild-Abgleich und Begleitung von Entscheidungsprozessen sind Themen, die höchste Sensibilität und Individualität erfordern.
Die Analyse ergibt, dass die Praxis von Dr. G. zwar hell und modern ist. Im Wartezimmer stehen jedoch mehr Stühle als früher und das auch noch enger beieinander. Signal für die Patienten: Hier muss ich länger warten. Im Sprechzimmer hat Dr. G. den PC-Bildschirm so ungünstig auf dem Schreibtisch, dass er während des Gesprächs mit den Patienten ständig hineinschaut, statt ihnen die volle Aufmerksamkeit zu widmen. Außerdem sitzt er immer hinter dem Schreibtisch, der Patient davor – Signal der Abgrenzung. Früher saßen Arzt und Patient in einem offenen Verhältnis über Eck, ohne störende Barriere. Weiter ergab die Analyse, dass Dr. G. mit seinen Helferinnen Erwartungen und Zuständigkeiten nicht geklärt hatte, dass er sich in deren Aufgaben zu stark einmischt und Verantwortung zu wenig delegiert. „Irgendwie“ will er, dass jede ihren Verantwortungsbereich wahrnimmt, gleichzeitig will er aber der Auszubildenden „zeigen wie der Job geht“. Schließlich arbeiten Coach und Klient gemeinsam heraus, dass Dr. G. mit den Patienten weniger spricht, aber dafür länger untersucht.
Nach der Analyse wird zunächst ein gemeinsames Gespräch mit dem Team geführt, moderiert vom Coach. Dabei können angst- und hierarchiefrei Meinungen und Fragen geäußert werden. So stellt sich zum Beispiel heraus, dass die Helferinnen nicht wissen, was der Chef bei bestimmten Eingriffen angereicht bekommen möchte, und dass sie sich mehr Zeit für fachliche Kommunikation mit ihrem Chef wünschen. Ferner wollen sie gerne wissen, welche Ziele Dr. G. mittel- bis langfristig mit der Praxis verfolgt. Also werden regelmäßige Besprechungen vereinbart, einmal pro Woche eine halbe bis eine Stunde. Es wird ein Fortbildungsplan aufgestellt, Entwicklungsperspektiven aufgezeigt, Zuständigkeiten geklärt, Erwartungen geäußert und Verantwortlichkeiten festgelegt.
Nach anfänglicher intensiver Beratung treffen sich Dr. G. und sein Coach nun noch einmal im Quartal, um in einem ein- bis zweistündigen Gespräch die gesetzten Ziele zu überprüfen, die Maßnahmen zu beleuchten und deren Umsetzung mit Problemen und Chancen zu besprechen.
Die Kosten für den Coachingprozess haben sich für Dr. G. bezahlt gemacht. Die Helferinnen arbeiten verantwortungsbewusst, das Team ist zusammengewachsen, die Wartezeiten für die Patienten haben sich verkürzt und die Stimmung ist besser. Dr. G. spricht mehr mit seinen Patienten, obwohl nicht alles abgerechnet werden kann. Trotzdem arbeitet er plötzlich nicht mehr so lange. Und als dann auch noch frühere Patienten zurückkehren, merkt er, dass ihm sein Beruf wieder Spaß macht.
Dr. med. Evelyne FürstStuttgarter Straße 3070736 Fellbach