Gastkommentar

Zukunft ungewiss

DRG’s und Disease-Management- Programme sind vor den Wahlen nicht mehr zu Stande gekommen. Der Stillstand in der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen ist im Vorfeld von Bundestagswahlen nichts Ungewöhnliches. Sollte er aber jetzt nach der Wahl nicht überwunden werden, wird die Politik reagieren müssen.

Hartwig Broll
Gesundheitspolitischer Fachjournalist in Berlin

Die Situation vor der Bundestagswahl war für das deutsche Gesundheitswesen nicht neu. Bereits Monate vor dem Wahltag beginnen die Protagonisten, die ernsthafte Suche nach Lösungen auf der Selbstverwaltungsebene einzustellen. Bevor man eventuell schwer rückgängig zu machende Verträge abschließt, will man zunächst den Wahlausgang abwarten, um Klarheit über die zu erwartenden politischen Rahmenbedingungen zu erhalten – und eine je nach Ausgang bessere Verhandlungsposition. Vor vier Jahren kamen so Vereinbarungen zu den Regelleistungsvolumina bei der ärztlichen Vergütung oder zu Budget ablösenden Richtgrößen bei Arzneimitteln nicht mehr zu Stande. Diesmal scheiterten die Verhandlungen der Selbstverwaltung um das Optionsmodell bei der DRGEinführung oder Verträge zu Disease-Management-Programmen.

Wer nach der Entscheidung vom 22. September erwartet, dass die Selbstverwaltung nunmehr zum „business as usual“ zurückkehrt, könnte sich allerdings täuschen. Denn in der vergangenen Legislaturperiode hat sich ein tiefgreifender Wandel im Verständnis der Selbstverwaltung gezeigt. Immer weniger erscheinen deren Vertreter auch dem Gemeinwohl und dem Erhalt des Gesamtsystems verpflichtet. Die Zeit, in der Karl Jung oder Franz Josef Oldiges voll Stolz und Selbstbewusstsein von den Institutionen der gemeinsamen Selbstverwaltung als „kleinem Gesetzgeber“ sprechen konnten, geht offensichtlich ihrem Ende entgegen. Jetzt dominieren immer mehr die Partikular-Interessen und deren bedingungslose Vertretung – auch auf Druck der jeweiligen „Basis“. Manifest werden diese Tendenzen etwa bei den Bemühungen um die Reform der Bewertungsmaßstäbe in der ärztlichen und zahnärztlichen Vergütung, aber auch beim Gezerre der Kassen um eine Reform des Risikostrukturausgleichs.

Im Ergebnis muss der Gesetzgeber davon ausgehen, dass er sich auf die Selbstverwaltung zukünftig weniger denn je verlassen kann, wenn es um die Umsetzung von Gesetzen im Verwaltungsalltag geht.

So kommt es nicht von ungefähr, dass die Kritik seitens der Politik an der Selbstverwaltung immer heftiger wird. Sie richtet sich auch nicht allein gegen die Arbeit der Selbstverwalter, vielmehr gegen die Institution selbst – und damit gegen das Element, das für die deutsche Sozialversicherung spezifisch ist. Denjenigen Funktionären, die in der Selbstverwaltung ausschließlich ihr institutionelles Eigeninteresse vertreten, sollte bewusst sein, dass sie so auch konsequent die Einrichtung infrage stellen, der sie bislang ihre berufliche Stellung und nicht selten auch ihr gesellschaftliches Ansehen verdanken.

Sollte das Paradigma der „Steuerung auf der mittleren Ebene“ (Herder-Dorneich) nicht mehr tragen, was könnte an dessen Stelle treten? Die Rolle der Ministerialbürokratie erscheint zumindest ambivalent. Beim jahrelangen Streit um die Ausgestaltung des Festbetragsanpassungsgesetzes zeigte sie wenig Ambitionen, Funktionen der Selbstverwaltung zu übernehmen. Dagegen hat sie die Ersatzvornahme zur Ermöglichung des Optionsmodells bei der Reform der Krankenhausfinanzierung mit Verve betrieben und innerhalb eines engen Zeitrahmens durchsetzen können. Aber es blieb bei einem wahrnehmbaren Widerwillen. Immer wieder wurde versucht, die Selbstverwaltung doch noch zu einer Einigung zu bewegen.

Dass dies letztlich nicht gelang, kann den bevorstehenden Paradigmenwechsel ankündigen. Die Reformdebatte der nächsten Monate und Jahre dürfte die altehrwürdigen Institutionen der Selbstverwaltung kaum weiter verschonen. Was an deren Stelle treten wird, ist auch nach der politischen Entscheidung des 22. September noch höchst ungewiss.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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