Abschied von gestern
Ein Jahr lang haben deutsche Steuerflüchtlinge noch Zeit, mit ihrem durch Steuerverweigerung schwarz gefärbten Geld aus einem sicher geglaubten Steuerparadies zu flüchten. Dann nämlich, im Juni 2003, tritt ein neues, deutsch-schweizerisches Doppelbesteuerungsabkommen in Kraft. Festgeschrieben ist darin eine Amtshilfe zwischen den Finanzbehörden beider Länder. Diese gewährt deutschen Steuerfahndern erstmals Einblick in verdächtige Schweiz-Konten deutscher Bundesbürger.
Diese neu zugestandene Amtshilfe ist viel schneller und unkomplizierter als die bereits jetzt mögliche Rechtshilfe bei Strafermittlungsverfahren. Und in diesem Zusammenhang war Steuerhinterziehung für die Schweizer keine Straftat. Deshalb mussten Steuerhinterzieher nichts befürchten, es sei denn, einem Steuerbetrug lagen gefälschte Dokumente zu Grunde, wie das beispielsweise bei der Hinterziehung von Mehrwertsteuern nahezu die Regel ist.
Steuerflucht
Für nicht gerade wenige Bundesbürger steht jetzt die zweite Steuerflucht in kurzem Abstand an. Wer nämlich den deutschen Steuerfahndern in Luxemburg entkommen war, flüchtete mit Vorliebe in die Schweiz. Denn die Schweiz zählt (noch) nicht zur Europäischen Union. Und die Schweiz bietet im Vergleich zum Euro – dessen Stabilität im Zuge der kommenden Ost-Erweiterung womöglich zur Disposition steht – eine weltweit geachtete und relativ stabile Währung.
Doch der Traum vom letzten und zudem noch vortrefflich organisierten Steuerparadies Europas ist ab Sommer 2003 wohl ausgeträumt. Dann wird die Alpenrepublik höchst wahrscheinlich auch für Ausländer eine Quellensteuer einführen. Sie wird vermutlich 15 Prozent betragen – wie auch in Luxemburg, Österreich und Belgien, die sich der ab Januar 2003 geltenden EU-Zinsrichtlinie beugen müssen. Die Quellensteuer soll ab dem Jahr 2006 sogar auf 20 Prozent steigen. Drei Viertel der Zinsabschlagsteuer, die an der schweizerischen Einnahmequelle erhoben wird, gehen an das Finanzamt des ausländischen Geldanlegers. Damit bekommen viele Steuerbehörden die Möglichkeit, hinterzogenen Steuern auf Kapitalerträge auf die Spur zu kommen.
Aber es kommt noch viel schlimmer: Spätestens ab dem Jahr 2011 verpflichtet sich die Schweiz zu so genannten Kontrollmitteilungen. Diese bedeuten in der Praxis, die in bereits vielen Staaten der Welt gang und gäbe ist (so etwa in den USA), dass die Schweizer Banken dem deutschen Fiskus melden, wie viel Zinsen ein deutscher Bundesbürger bei ihnen eingenommen hat. Meldestelle dürfte wohl, wie bereits üblich, das Bundesamt für Finanzen in Bonn werden. Von hier aus wandern die Kontrollmitteilungen an die örtlich zuständigen Finanzämter.
Verjährung
Hinter der Wahl des Jahres 2011 steht wohl eine beabsichtigte Gemeinheit. Steuerhinterziehung verjährt nach zehn Jahren, wenn sie unentdeckt bleibt und nicht Jahr für Jahr fortgesetzt wurde. Nach fünf Jahren bereits ist sie als Straftat verjährt. Das heißt: Es dürfen keine Geld- und Haftstrafen mehr verhängt werden. Aber an Steuernachzahlungen mit Zins (Zinssatz sechs Prozent) und Zinseszinsen führt beim Auffliegen einer Steuerhinterziehung innerhalb von zehn Jahren kein Weg vorbei. Im Jahr 2011 aber sind, von heute an gerechnet, nur um die neun Jahre ins Land gegangen, bis die ersten Zinsmeldungen in Deutschland eintreffen. Zeit genug für den Fiskus, gnadenlos zuzuschlagen.
Nicht nur dem Bundesfinanzminister gelang durch das neu ausgehandelte Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz ein wichtiger Schritt, das wohl effizienteste Steuerparadies an seiner Staatsgrenze zu entwerten. Auch die Europäische Union, die Regierung Europas mit Sitz in Brüssel, nimmt die EU-freie Enklave Schweiz in die Zange, um auch hier die in der EU neu einzuführenden Steuergesetze zur Verhinderung von Steuerhinterziehung durchzusetzen. Ebenso ist das Schweizer Bankgeheimnis ein Dorn im Auge der Weltorganisation der Industriestaaten (OECD).
Ist die Blockade der Schweiz bei der Enttarnung von Steuerflüchtlingen gefallen, wollen auch so beliebte und belebte Steuerparadiese wie Barbados, die Malediven oder die Virgin-Islands ihren Widerstand aufgeben. Nicht zuletzt auch deshalb, um nicht länger von der zivilisierten Weltgemeinschaft als Helfershelfer von schmutzigen Geldwäschern geächtet zu werden.
Doch Brüssel ist nicht blauäugig. Gerade diese Behörde versteht es, durch Geben und Nehmen ihre Ziele zu erreichen. So weiß die EU-Regierung selbstverständlich, dass die Schweiz 14 Prozent ihres Bruttoinlandproduktes (der Betrag, den das ganze Volk in einem Jahr erwirtschaftet) aus dem Finanzsektor generiert. Hier werden sogar 15 Prozent des gesamten Steueraufkommens verdient. Als Ausgleich für die Preisgabe aller Steuerprivilegien für Ausländer und als Lohn für steuerliche Angleichung an die EU bekommen die Eidgenossen Zugang zum großen, liberalisierten Finanzdienstleistungsmarkt der EUTeilnehmerstaaten mit ihren über 300 Millionen Einwohnern. Dadurch hätten auch Schweizer Finanzdienstleister Zugang zu den künftig europaweit einzuführenden Pensionsfonds für die betriebliche Altersvorsorge. Damit wäre ein neuer und keineswegs mehr Image schädigender Geschäftsbereich erschlossen, der Arbeitsplätze sichern und Steuern einbringen würde.
Der langjährige Autor unserer Rubrik „Finanzen“ ist gerne bereit, unter der Telefon-Nr. 089/64 28 91 50Fragen zu seinen Berichten zubeantworten.Dr. Joachim KirchmannHarthauser Straße 2581545 München