Regulierung statt Wettbewerb
Der KZBV-Vorsitzende Dr. Rolf Löffler brachte es auf den Punkt: „Bürokratie, Regulierung und Strangulierung anstatt Souveränität, Wettbewerb und Liberalisierung“, kommentierte er die Rede von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt am 11. April 2002 vor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Dort hatte die Ministerin ihre Leitlinien für eine sozialdemokratische Gesundheitspolitik vorgetragen. Ihre Vorstellungen für eine Gesundheitsreform der kommenden Legislaturperiode untemauern vom Prinzip her die bisherigen SPD-Positionen.
Herzstück des Sozialstaates für Schmidt ist die gesetzliche Krankenversicherung, die es zu bewahren gelte. Solidarität müsse erhalten und Qualität erhöht werden: „Der Wettbewerb um Solidarität, Qualität und Innovation ist der Motor für kontinuierliche Anpassung des Leistungskataloges an den medizinischen Fortschritt, „ sagte sie. Schmidt will angesichts ständig explodierender Arzneimittelausgaben die Pharmaindustrie strenger kontrollieren. Sie schlug vor, einen Arzneimittelinspektor einzusetzen, der die Vergünstigungen der Industrie für Ärzte und Apotheken überprüfen solle.
Außerdem plant sie, den Wechsel von den gesetzlichen zu den privaten Krankenkassen einzudämmen. Dazu soll die Einkommensgrenze für die Pflichtversicherung angehoben werden. Im Gespräch ist derzeit das Niveau der Rentenversicherungsgrenze von 4500 Euro monatlich.
Schmidt widersprach in mehreren Punkten den Vorschlägen, die eine SPD-nahe Expertengruppe rund um die Professoren Karl Lauterbach, Jürgen Wasem, Gerd Glaeske und anderen einige Tage zuvor veröffentlicht hatten. Die Ministerin lehnt die von den Wissenschaftlern vorgeschlagenen Beiträge auf Miet- und Zinseinkünfte ab wie den Plan, den Kassen statt den Kassenärztlichen Vereinigungen den Sicherstellungsauftrag zu überlassen.
Eine Aufteilung des Leistungskataloges in Grund- und Wahlleistungen will Schmidt ebenso wenig einführen wie die Wissenschaftler. Die Beitragsbemessungsgrenze soll nicht angehoben werden. Zu den weiteren Absichten Schmidts gehört die Stärkung der Prävention und der Patientenrechte. Daneben stehen die Einführung von Qualitätskriterien, Leitlinien und Standards in der Medizin und die Einrichtung eines „Zentrums für Qualität in der Medizin“. So soll ärztliches Handeln besser überprüfbar werden. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung mit Kollektivverträgen soll um Direktverträge erweitert werden.
Schlechte Noten an das deutsche Gesundheitswesen verteilten aber auch die SPD-Experten: Deutschland habe seine Vorbildfunktion in den letzten Jahren eingebüßt, das System leiste nicht mehr das, was es leisten könnte.
Beobachter kritisierten an der Berliner Veranstaltung, dass nach wie vor ungeklärt blieb, wie mit den 70 Prozent aller medizinischen Therapien zu verfahren sei, die nicht durch Leitlinien zu stützen sind. Darauf weist die Bundeszahnärztekammer hin. Auf die Frage, welche kurzfristigen Möglichkeiten es zur Entlastung des Systems gebe, hieß es lapidar, dass die Budgetierung beibehalten werde. Dazu kommentierte die BZÄK: Diese Empfehlung sei nicht neu und bilde wohl weiter den Schlussstein einer dogmatischen Position, die sich auf Sachargumente nicht einlassen wolle.
Scharfer Wahlkampf-Wind
Der scharfe Wind des Wahlkampfes weht bereits mit voller Kraft. Die Union hat sich schon weitestgehend auf eine einheitliche gesundheitspolitische Strategie geeinigt. Grundlage sind Zu- und Abwahlmöglichkeiten aus dem GKV-Katalog. Der Versicherte soll mehr Mitwirkungsrechte und Entscheidungsfreiheiten bekommen. Vor kurzem hatten auch Repräsentanten der CDU/CSUFraktion einen Antrag im Bundestag gestellt, das Gesundheitswesen patientenorientiert, freiheitlich und zukunftssicher zu gestalten.
Gegen die Pläne der Gesundheitsministerin reagierten Vertreter der Opposition und der Pharmaindustrie mit Kritik. Den Patienten werde vorgegaukelt, ein immer ineffizienter werdender Staatsapparat könne die anstehenden Problem lösen, wenn nur genügend geplant werde, erklärte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Jürgen Möllemann.
KZBV-Chef Löffler kritisierte: Noch mehr Gängelung der Patienten und Ärzteschaft und noch mehr staatliche Kontrolle durch die Gründung neuer Behörden wie das von der Ministerin geplante ‘Zentrum für Qualität in der Medizin’ markieren unverändert den Kurs der SPD-Gesundheitspolitik.“ Die Reformvorstellungen der Zahnärzte zeigten in die entgegengesetzte Richtung: eine präventionsorientierte Versorgung mit Freiheit und Eigenverantwortung des Patienten und transparenten Festzuschüssen.
Das offizielle Wahlprogramm der SPD ist noch nicht vollständig festgezurrt. Es soll am 24. April vorgelegt und auf dem Wahlparteitag Anfang Juni in Berlin beschlossen werden.