Gemeinsam für eine bessere Reform
Das Düsseldorfer Ärzteorchester sorgte für den musikalischen Rahmen, bevor die politischen Töne sich auf der Bühne der Kölner Philharmonie Raum verschafften. Eine festliche Atmosphäre, die auch von einem hochkarätigen Publikum geprägt wurde. Neben Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und der nordrhein-westfälischen Landesgesundheitsministerin Birgit Fischer war auch die Zahnärzteschaft bestens repräsentiert: Bundeszahnärztekammerpräsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp war in Begleitung des Consiliums-Vorsitzenden Prof. Dr. Burkhard Tiemann und BZÄK-Hauptgeschäftsführer Dipl.-VW. Klaus Schlechtweg zur Eröffnung des 106. Deutschen Ärztetages in die Rheinmetropole gekommen.
Und dort wurde sehr schnell klar, worum es gehen würde. Für Bundesärztekammerpräsident Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe steckt das Gesundheitswesen nicht nur in einer Finanzkrise. „Anstelle des Vertrauens in die handelnden Personen hat sich eine defätistische Misstrauenskultur breit gemacht“, so Hoppe. „Probleme muss man offen und ehrlich angehen, nicht nur in der Medizin, auch in der Politik.“
Einem Gesundheitswesen, dem die Menschen nicht vertrauen, können auch die Ärzte nicht vertrauen, erklärte Hoppe. Schuldzuweisungen und Unterstellungen seitens der Politik hinsichtlich qualitativ schlechter medizinischer Behandlung würden die derzeitigen Probleme nicht lösen. Genau das versuche aber das Bundesgesundheitsministerium mit seinem Entwurf zum Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz (GMG). „Alle wichtigen Regelungen, die der Gesetzentwurf vorsieht, sind dem Ziel der geplanten Rationierung untergeordnet“, so Hoppe. „Die Versuche, mit den Vorwürfen der Über-, Unter- und Fehlversorgung dieses Problem einseitig auf die Ärzte abzuwälzen, sind schlicht unmoralisch.“
Inakzeptable Überwachung
Durch das geplante Gesetz würde eine „Prüf- und Überwachungsbürokratie“ etabliert, die nicht akzeptabel sei. So würde die Einrichtung des im GMG vorgesehenen „Beauftragten zur Bekämpfung von Missbrauch und Korruption im Gesundheitswesen“ eine „ideologisch begründete Anprangerung“ einzelner Mediziner begünstigen. Hoppe: „Wie sollen sich Betroffene gegen solche Angriffe auf der Basis gesellschaftspolitischer Wertungen wehren können?“
Trotz aller Kritik an den Plänen von Ulla Schmidt zeigte sich der Ärztepräsident bereit zu einer konstruktiven Zusammenarbeit. „Wir wollen auch jetzt noch unsere Erfahrung einbringen“, so Hoppe, „damit es nicht zu einer Vertrauenskrise im Gesundheitswesen kommt.“ Tatsächlich gebe es ja einige gemeinsame Ansatzpunkte von Ministerium und Medizinern: Ausbau der hausärztlichen Versorgung, mehr Transparenz im Gesundheitswesen, Stärkung der Prävention. Und ein weiterer Punkt findet Hoppes Zustimmung: „Die geplante Erhöhung der Tabaksteuer ist konsequent und richtig.“ In diesem Zusammenhang habe Schmidt die „volle Unterstützung“ der deutschen Ärzteschaft. Ebenso werde begrüßt, dass versicherungsfremde Leistungen aus Steuermitteln finanziert, Hausarzttarife eingeführt und Bonussysteme zur Präventionsförderung entwickelt werden sollen.
Nichtsdestotrotz: Der GMG-Entwurf sei generell ein „Weg in die falsche Richtung“. Er sei, so der Tenor beim Ärztetag, nicht in der Lage, das Gesundheitssystem zukünftig zu sichern, weil er „das Problem der Einnahmeerosion der gesetzlichen Krankenversicherung“ in keiner Weise löse. Es sei nicht mehr damit zu rechnen, dass die GKV-Beiträge reichen werden, „um den medizinischen Fortschritt und die Folgen der demographischen Entwicklung“ zu finanzieren. Rationierungen seien die logische Konsequenz. „Eine medizinische Unterversorgung der betroffenen Patienten wird die Folge sein“, fassten die Delegierten die Situation in einem Beschlusspapier zusammen.
Das GMG zeige keine Lösungen für die „Verschiebebahnhöfe“, welche vom Ärztetag als „Ausplünderung der Krankenkassen zur Sanierung anderer Sozialversicherungszweige“ kritisiert wurden. Zukünftig werde es entscheidend sein, die GKV-Mittel gerecht aufzubringen – und entsprechend zu verteilen. „Die Verantwortung hierfür ist eine politische und muss deshalb vom Gesetzgeber übernommen werden.“ Es sei unbedingt notwendig, im Gesundheitswesen eine „solide Versorgungsforschung“ zu betreiben. Und hieran müsse die Ärzteschaft beteiligt sein. Auch das vom GMG-Entwurf vorgesehene „Nebeneinander unterschiedlich organisierter Versorgungssysteme mit konkurrierenden Kassen-, Leistungserbringer- und Vergütungsstrukturen“ wurde vom Ärztetag scharf kritisiert.
Heimliche Rationierung
Es wird ein „unüberschaubares Durcheinander“ befürchtet, welches sich in einem ausufernden Verwaltungsapparat und einem immensen Kostenaufwand für die Patienten auswirken wird. Bereits heute gebe es eine „heimliche Rationierung“ bei der medizinischen Versorgung. „Die Erfahrungen bei der Einführung der Disease-Management- Programme lehren“, so die Ärztevertreter, „dass aus rein ökonomischen Erwägungen die Versorgungsleistungen schleichend abgesenkt werden.“ Transparenz und ein offener gesellschaftlicher Diskurs zur GKV-Mittelknappheit seien unabdingbar: „Die barmherzige Lüge ist keine Lösung.“
Mehr als alles andere sei der GMG-Entwurf von einer „Misstrauenskultur“ geprägt. Er setze auf „Reglementierung, Überwachung und Entmündigung der Berufe im Gesundheitswesen“. Deutliches Indiz hierfür sei, dass das Gesundheitsministerium die Einsetzung eines „Beauftragten zur Bekämpfung von Korruption und Missbrauch im Gesundheitswesen“ plane. „Eine solche Einrichtung ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht mehr vereinbar“, so der Tenor. Weitere Schritte zur Fremdbestimmung der Ärzteschaft seien das geplante „Deutsche Zentrum für Qualität in der Medizin“ und die gesetzlich geregelte Fortbildungspflicht: „Ein solches Maß an Standardisierung und Schematisierung ärztlicher Heilkunst hat es bisher in Deutschland nicht gegeben.“
Der Kritik der Ärzte folgten Forderungen – nämlich die nach einer Neudefinition des Leistungskataloges der Krankenkassen. Das „Grundleistungsvolumen“ – also jede tatsächlich medizinisch indizierte und notwendige Leistung – sei nach wie vor solidarisch zu finanzieren. Was jedoch Leistungen betreffe, die „individuellen Bedürfnissen und Präferenzen“ oder einem „erhöhten Sicherheitsbedürfnis“ des Patienten entspringen, so müssten diese als „kollektive Wahlleistungen“ angesehen werden. Sie sollten von den Krankenkassen optional nach dem Sachleistungs- oder Kostenerstattungsprinzip angeboten werden und dürften nicht solidarisch finanziert werden. Ebenso seien „individuelle Wahlleistungen“ abzugrenzen, welche „aus ärztlicher Sicht zwar als noch empfehlenswert, aber nicht medizinisch notwendig“ eingestuft werden. Hier müsse privat und nach dem Kostenerstattungsprinzip finanziert werden.
Zwangsfortbildung
Zu den beherrschenden Themen des Ärztetages zählte die vom Bundesministerium geplante Einführung einer gesetzlichen Fortbildungspflicht für Ärzte, die mit dem drohenden Verlust der Kassenzulassung verknüpft ist. Die Ärzteschaft will sich, dass wurde klar, dagegen wehren, dass ihre Selbstbestimmung durch Zwangsregulierung ersetzt werden soll. „Statt unsere Bemühungen um Qualität zu fördern“, so Prof. Dr. Heyo Eckel, Vorsitzender des Deutschen Senats für ärztliche Fortbildung, „wird ohne einen Nachweis der erwünschten Wirkungen ein System völlig unangemessener Repressionen installiert.“
Als bewusste Abgrenzung gegen die Pläne der Bundesregierung hat der Ärztetag das Zertifikat der Landesärztekammer zum freiwilligen Fortbildungsnachweis zur flächendeckenden Einführung empfohlen. Das Zertifikat wurde während der vergangenen drei Jahre entwickelt und soll „ein Angebot der Kammern zur Würdigung der freiwilligen Fortbildungsbemühungen ihrer Mitglieder“ darstellen. Außerdem berücksichtige das Zertifikat die „Besonderheiten einer individuellen Patientenversorgung auf wissenschaftlicher Basis“.
Zertifikat für Fortbildungen
Von Fortbildungsmüdigkeit der Ärzte könne nicht die Rede sein, so Eckel. Das würde allein schon durch die Teilnehmerzahlen der ärztlichen Fortbildungsakademien belegt. Außerdem seien Ärzte nach ihrem Berufsrecht schon jetzt verpflichtet, sich in einem Umfang fortzubilden, der für die Erhaltung und Entwicklung ihrer erforderlichen Fachkenntnisse nötig ist. Und: Sie müssen laut Berufsordnung ihre Fortbildung nachweisen.
Die flächendeckende Einführung des Fortbildungs- Zertifikats schaffe, so der Ärztetag, die Möglichkeit, dass Ärzte ihre Fortbildung „als Bestandteil einer Qualitätssicherungsmaßnahme gegenüber den Patienten dokumentieren“. Ausgestellt wird das Zertifikat, wenn ein Arzt innerhalb von drei Jahren 150 Fortbildungspunkte erworben, also rund 110 Stunden Fortbildung absolviert hat.
Für Eckel ist es „nicht sinnvoll“, Ärzte in Sachen Fortbildung „in ein Korsett zu zwingen“. Individuell unterschiedliche Formen des Lernverhaltens und der Tätigkeitsbereiche hätten einen ebenso großen Einfluss wie „die kritische Reflexion des eigenen Handelns“, welche, so Eckel, dem Arzt erst ermöglicht, „solche Maßnahmen zu identifizieren, die ihm im ärztlichen Alltag helfen.“ Deutlicher in seiner Kritik wird Bundesärztekammerpräsident Hoppe: Zur Freiberuflichkeit des Arztes gehöre es auch, die Art und Weise der Fortbildung selbst wählen zu können. „Wer hier die Selbstbestimmung des Arztes durch Zwangsregulierung ersetzt, zerstört die außerordentlich hohe Eigenmotivation und Lernbereitschaft unserer Ärztinnen und Ärzte.“
Neben aller Kritik an den aktuellen ministerialen Plänen konnte der Ärztetag auch eigene konstruktive Neuerungen auf den Weg bringen. Dazu gehörte beispielsweise der Beschluss über die Novellierung der Weiterbildungsordnung. Nach mehrjähriger Vorbereitung lag den Delegierten eine entsprechende Neufassung vor: Die Anzahl der Weiterbildungsbezeichnungen wird von bislang rund 160 auf 100 reduziert. Auch sind nur noch drei so genannte Qualifikationsebenen vorgesehen.
Zu den wesentlichen Neuerungen zählt die Differenzierung zwischen Gebietsdefinition und Kompetenzen, die innerhalb der Gebietsgrenzen durch Weiterbildung zu erwerben sind. Nach Ansicht des Ärztetages ist es „nicht mehr realistisch“, dass sämtliche Inhalte eines Fachgebietes in einer fünf- bis sechsjährigen Weiterbildung vermittelt werden können. Deshalb soll sich die Weiterbildung zum Facharzt künftig „auf die wesentlichen Kernelemente eines Gebietes beschränken“. In diesem Zusammenhang ratifizierte der Ärztetag auch den Rostocker Beschluss zur Qualifikation für hausärztliche und internistische Versorgung. Künftig wird der Hausarzt als „Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin“ auftreten.
Explizit hat sich der Ärztetag dafür ausgesprochen, die ambulante Versorgung durch Fachärzte zu erhalten. Sie müssten „ihre berufliche und medizinisch fachliche Unabhängigkeit zum Nutzen ihrer Patienten durch eine eigenständige Selbstverwaltung in kassenärztlichen Verbindungen behalten“. Abermals lehnten die Delegierten den GMG-Entwurf ab, der nach ihrer Ansicht darauf abziele, „die Praxen niedergelassener Fachärzte zu beseitigen“. Dieser Systemwechsel wurde als Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung angekündigt, würde aber genau das Gegenteil bewirken.
Unverantwortliches Experiment
Ihre Ablehnung der GMG-Pläne verbanden die Delegierten mit der Warnung davor, fachärztliche Tätigkeiten ausschließlich in Kliniken anzusiedeln und die entsprechenden Vertragsgestaltungen in die Hände der Krankenkassen zu geben. In anderen europäischen Ländern hätten solche Strukturen bereits zu einer „Zwei-Klassen- Medizin“ geführt. „Der Patient wird im Krankheitsfall nicht mehr die freie Arztwahl haben“, so die Befürchtung des Ärztetages. Die Arzt-Patienten-Beziehung sei zudem gefährdet, wenn Fachärzte darauf angewiesen sind, dass Krankenkassen ihre individuell abgeschlossenen Verträge verlängern – ein „unverantwortliches gesetzgeberisches Experiment“, so die Ärztevertreter, welches „Patienten und Ärzte entmündigt“. Eine Ablösung der öffentlich-rechtlichen Zulassung von Fachärzten durch Kassen-Einzelverträge könne schlimmstenfalls dazu führen, „dass nicht die besten, sondern die willfährigsten Ärzte stufenweise herausgefiltert würden“.