Juden in Deutschland – gestern, heute und morgen
Professor Dr. Werner Michael Blumenthal, heute Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, widmete sich diesem Thema und reflektierte es vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen als ein in Oranienburg, Deutschland, geborener Jude. Sein Vater, noch im ersten Weltkrieg mit dem eisernen Kreuz geehrt, war einer der wenigen, die das KZ in Buchenwald überlebt haben. Die Familie emigrierte nach Schanghai, und der damals zwölf Jahre alte Werner Michael wuchs in einem Moloch von Stadt auf, die als „Meltingpot“ alle erdenklichen Nationen vereinigte. Diese Jahre prägten ihn nachhaltig. Mit einer Handvoll Dollars und durch die strenge Erziehung daheim geprägt, blickte er wagemutig in die Zukunft und machte eine Karriere, die sonst nur das Filmtheater zulässt. Er übersiedelte in die USA und finanzierte sich mit „Tellerwäscher-Jobs“ sein Studium an den Elite-Universitäten Berkeley und Princeton. Er promovierte als Wirtschaftswissenschaftler, wurde Professor und war als Manager in verschiedenen Unternehmen tätig. John F.
Kennedy holte ihn als Berater für Wirtschaftsfragen ins State Departement und in das Weiße Haus. Unter Kennedy und anschließend Jimmy Carter sowie auch Bill Clinton bekleidete er verschiedene Ämter und Positionen, ohne dabei je seine Unabhängigkeit zu verlieren. Schließlich wurde er unter Carter Finanzminister der USA, und bedeutende US-Konzerne schmückten sich mit ihm in den allerhöchsten Positionen. Diese außergewöhnliche Persönlichkeit Blumenthal trat nun vor über 1 100 Ehrengäste, machte „den Mund auf“ und zeichnete in einem engagierten Vortrag den Weg der Juden in Deutschland nach. Er gab seine ganz persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse wider und skizzierte einen Ausblick für die Zukunft. Ein Thema, das die Erinnerung an eine große Katastrophe wachruft und deswegen jeden angeht.
Vergessene Vergangenheit zwingt zur Wiederholung
Michael Blumenthal zog ein großes Band über die Geschichte der Juden, deren Existenz in Deutschland bereits vor der Geburt Christi nachweisbar ist. Im Mittelalter kam es zu Pogromen in zahlreichen deutschen Städten, worauf die Mehrzahl der Juden in den europäischen Osten auswanderten. Erst im 18. Jahrhundert vollzog sich eine erneute Konsolidierung jüdischer Gemeinschaften in Deutschland. Damals setzten die Juden große Hoffnungen in dieses Land. Die juristische Gleichstellung der jüdischen Mitbürger kam mit der deutschen Reichsgründung erst im Jahr 1871. De facto war den Juden aber der Weg in öffentliche Ämter noch bis in die Zeit der Weimarer Republik versperrt. Es war eine plausible Folge der Politik, dass die Juden ihr berufliches Glück in den freien Berufen, in Banken und als Unternehmer und Händler suchten.
Die tatsächlichen Gründe für die Katastrophe unter der Herrschaft der Nationalsozialisten entziehen sich einfachen Bewertungen. Eine wichtige Rolle, so Blumenthal, könnte gespielt haben, dass es in Deutschland keine demokratischen Traditionen gab und somit auch keine „Kultur des Widerspruchs“. In Frankreich hingegen stand eine Gruppe Intellektueller um Emile Zola gegen die staatliche Willkür auf, als deren Hauptmann Dreyfus zu Unrecht als Verräter abgeurteilt wurde. In Deutschland wäre ein solcher Vorgang unmöglich gewesen. Erstens konnte ein Jude nicht Offizier werden und zweitens gab es keinen Kreis politisch wachsamer Intellektueller, die das Ziel gehabt hätten, politische Willkür abzuwehren.
Die jüdische Gegenwart ist zuversichtlich
Die Gegenwart des jüdischen Lebens in Deutschland hat wesentlich günstigere Vorzeichen zu bieten, als die vergangenen Zeiten. Man ist interessiert, aber doch wenig informiert. So hat Michael Blumenthal die Erfahrung gemacht, dass junge Menschen kaum etwas über Juden und das Judentum in Deutschland wissen. Die Eltern haben kaum darüber gesprochen, weil sie aufgrund der Geschichte ihrer Vorgeneration starke Schuldgefühle entwickelt haben, die Großeltern konnten sich nicht darüber austauschen, weil der Schock der Taten und des Erlebten noch zu tief saß oder auch viele einfach „den Kopf in den Sand“ gesteckt haben. Wenn Blumenthal Schulen besucht und dort seine jungen Diskussionspartner schätzen lässt, wie hoch der jüdische Bevölkerungsanteil heute sein mag, erhält er die abenteuerlichsten Fehleinschätzungen. Kei-ner weiß, so der Referent, dass es bis vor wenigen Jahren noch nicht einmal ein Prozent Juden in Deutschland gab. Derzeit steigen die Zahlen langsam wieder an. Das zeigt ihm, wie wichtig es ist, dass das jüdische Museum in Berlin initiiert wurde. Jeden Tag zieht es große Besucherströme an und hilft, Vorurteile abzubauen und ein Bewusstsein zu schaffen, das die geschichtliche Verantwortung bejaht. Obwohl sich Blumenthal während seines ganzen beruflichen Lebens rein betriebswirtschaftlichen und finanzpolitischen Fragestellungen gewidmet hatte, ist sein historisches Interesse auf Grund seiner Abstammung an der Frage der Juden in Deutschland selbstverständlich.
Er stellt sich dieser Aufgabe mit großer Freude und Überzeugung. Die Aufgabe, das jüdische Museum in Berlin zu leiten, war ihm deswegen eine willkommene Herausforderung.
Schlusswort: Als I-Tüpfelchen
Tradition ist Tradition und das besonders in Karlsruhe. So gibt es keinen Karlsruher Vortrag ohne ein Schlusswort, das ein Referent, der mit Karlsruhe eng und freundschaftlich verbunden ist, als Sahnehäubchen noch ganz oben aufsetzt. Diesmal fiel die Wahl auf Dr. Hans Kurer, ein der Akademie lange verbundener Zahnarzt und Referent aus Manchester. Kurer entstammt einer alten Arzt- und Zahnarztfamilie aus Wien. Diese musste aufgrund ihrer jüdischen Abstammung in den 30er Jahren nach England emigrieren. Kurer machte in seinem Schlusswort deutlich, dass das Lernen und Verstehen ein immerwährender und schwieriger Prozess sei. Auf Englisch sage man: „You must work at relationships!“. „Wir haben alle verschiedene Talente und wir müssen bereit sein, diese Talente zu respektieren und zu schätzen – anstatt ständig zu kritisieren. Wir müssen lernen, unsere Kritik zu beherrschen!“ Kurer dankte Blumenthal dafür, das Bewusstsein in der heutigen deutschen Gesellschaft bezüglich des Judentums und seiner Historie zu fördern und dankte der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe „für die ständige Suche nach dem goldenen Mittelweg“.