Bipolare Störungen - manisch depressiv
Bei bipolaren Störungen wechseln manische und depressive Stimmungslagen miteinander ab und das in meist unregelmäßiger Folge. Das Krankheitsbild ist sehr vielgestaltig und wird nach Expertenangaben in seiner Häufigkeit noch weitgehend unterschätzt. Das liegt vor allem daran, dass die Stimmungswechsel oft nicht als krankhaft angesehen werden und die Betroffenen selbst zum Teil froh sind, wenn die depressive Phase vorbei ist. Sie fühlen sich außerdem in der manischen Phase ausgesprochen leistungsstark, und es fehlt dann oft jegliche Krankheitseinsicht. Nach aktuellen Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. sind von der Erkrankung rund fünf Prozent der Bevölkerung betroffenen. Die WHO ordnet die Störung als eines der gravierendsten Leiden ein. Und das für die Betroffenen selbst wie auch aus volkswirtschaftlicher Sicht.
Bekannt schon bei den alten Griechen
Manisch depressive Störungen waren offensichtlich schon im griechischen Altertum bekannt. Denn schon damals wurden Erkrankungen mit unvorhersehbarem und zum Teil dramatischem Stimmungswechsel beschrieben, und man machte eine Unausgewogenheit der Körpersäfte für die Störung verantwortlich.
Obwohl bis in die moderne Neuzeit viel im Hinblick auf bipolare Störungen geforscht wird, ist die Erkrankung immer noch ein medizinisches Problem. Sie wird oft nicht richtig diagnostiziert, und nur rund zehn bis 15 Prozent der Patienten befinden sich nach Angaben der Gesellschaft für Bipolare Störungen in der notwendigen fachärztlichen Behandlung. Die Symptome werden vielmehr häufig als Probleme des täglichen Lebens bagatellisiert. Viele Betroffene (und auch deren Angehörige) scheuen zudem den Weg zum Arzt, da sie nicht als „verrückt“ gelten wollen. Doch auch viele Ärzte erkennen die Erkrankung bei entsprechender Schilderung der Symptomatik nach Angaben der Gesellschaft nicht. Sie behandeln die Betroffenen dann unter Umständen wegen ihrer unspezifischen körperlichen Beschwerden, also zum Beispiel wegen der depressiven Verstimmung oder wegen Schlafstörungen.
Schwierigkeiten bei der Diagnosestellung
Allerdings ist die Diagnosestellung tatsächlich oft nicht einfach, wie Privatdozent Dr. Andreas Erfurth aus Münster bei einem Ärztekongress in Düsseldorf darlegte. So müssen die manisch-depressiven Syndrome genau gegen eine Schizophrenie und auch gegen eine unipolare Depression abgegrenzt werden. Das ist zum Teil schwierig, weil der Verlauf der Erkrankung in aller Regel episodenhaft ist, aber auch relativ gleichförmig und unberechenbar verlaufen kann.
Die Betroffenen erscheinen außerdem oft nicht im klassischen Sinne als „krank“, es gibt nach Erfurth durchaus Verläufe, die anhaltende, geringgradige Beeinträchtigungen aufweisen. Diese erschweren dann ein volles soziales, berufliches und familiäres Funktionieren deutlich.
Stimmungsschwankungen gehören zudem zu unserem normalen Verhaltensrepertoire und praktisch jedermann kennt dies aus seinem eigenen Erleben. Die Stimmungsveränderungen sind eine normale Reaktion auf unterschiedliche Lebenssituationen, was es naturgemäß erschwert, „normale“ und „krankhafte“ Stimmungsschwankungen voneinander abzugrenzen. Doch bei den bipolaren Störungen handelt es sich keineswegs nur um „Launen“ oder eine „Launenhaftigkeit“, sondern um ernst zu nehmende Erkrankungen, die die Lebensqualität und auch die Lebenserwartung der Betroffenen beeinträchtigen. So ist unter anderem bekannt, dass Patienten mit bipolarer Störung ein höheres Risiko als ansonsten Gesunde haben, Erkrankungen des Herz- und Gefäßsystems zu entwickeln und an kardiovaskulären Komplikationen zu versterben.
Erschwert werden kann die richtige Diagnosestellung zudem durch Komorbiditäten. Rund fünf Prozent der Patienten mit Panikattacken erfüllen auch die Kriterien für eine bipolare Erkrankung. Das gilt ferner für gut 20 Prozent der Patienten mit Sozialphobie. Die bipolare Störung manifestiert sich üblicherweise in der späten Jugend oder im frühen Erwachsenenalter. Sie kann jedoch auch schon bei Kindern auftreten und wird dann nicht selten als so genanntes Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom oder als Hyperaktivität fehlgedeutet.
Unangepasste Stimmungsschwankungen
Auffällig bei Patienten mit bipolaren Störungen sind vor allem unangepasste und übersteigerte Stimmungsschwankungen, die nicht durch normale Lebensereignisse zu erklären sind. Dabei kann es durchaus sein, dass die erste Episode der Erkrankung durch eine starke emotionale Belastung ausgelöst wird. Die Störung entwickelt dann eine Eigendynamik und die Betroffenen reagieren in der Folge völlig unangemessen, wobei die Ursache ihrer Stimmungsschwankungen oft nicht mehr nachvollziehbar ist.
Während man, so heißt es in einer Informationsschrift der Gesellschaft, „unter bipolaren Störungen früher allein den Wechsel zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt verstanden hat, wird der Begriff heute weiter gefasst und kann sämtliche Nuancen menschlicher Stimmungszustände widerspiegeln“.
Die Symptome der Manie und der Depression können außerdem nebeneinander vorliegen, was für die Betroffenen besonders belastend ist und als „Mischzustand“ bezeichnet wird. Sind die Stimmungsumschwünge nicht so ausgeprägt, dass man von einer Manie oder einer Depression sprechen könnte, so wird dies als Zyklothymie oder zyklothyme Störung bezeichnet. Diese Begriffe charakterisieren Menschen mit ausgesprochener Stimmungslabilität, die dadurch in ihrer Lebensführung beeinträchtigt sind.
Unspezifische Symptome
So mancher Betroffene klagt zudem nicht über depressive Verstimmungen, sondern kommt wegen somatischer Beschwerden zum Arzt oder gibt als führendes Symptom einen allgemeinen Energieverlust oder eine ungewohnte Müdigkeit an.
Schwieriger noch als die depressive Phase ist dabei meist die Manie zu erfassen. Sie wird allgemein über positive Symptome, wie Euphorie und Hochgefühl, der Patienten beschrieben. Diese fühlen sich ungewöhnlich leistungsstark, schöpferisch und kreativ und haben offensichtlich ein geringes Schlaf- und Erholungsbedürfnis.
Doch man muss auch bei der Manie negative Symptome beachten und behandeln, betonte Dr. Stephanie Krüger aus Dresden bei der internationalen Tagung „Clinical Effectiveness in Bipolar Disorder“ in München. So kommt es in der Phase der Manie zu einem übersteigerten Selbstwertgefühl, aber auch zur erhöhten Reizbarkeit, zu Gedankensprüngen und Ideenflucht, einer Beschleunigung des Denkens sowie einer allgemein gesteigerten Betriebsamkeit und übermäßigen Beschäftigung mit angenehmen Tätigkeiten. Außenstehende können Gesprächen mit Betroffenen oft nur schwer folgen und es kommt zu sprunghaften Handlungen, wobei vieles begonnen und weniges zu Ende geführt wird. Häufig ist zudem eine Enthemmung zu beobachten, die verschiedene Bereiche betreffen kann, vom exzessiven Kaufrausch, der die finanziellen Möglichkeiten weit übersteigt, bis hin zu sexuell unangepasstem Verhalten, das oft im krassen Widerspruch zu der normalen Persönlichkeit des Erkrankten steht.
Die Manie ist nicht nur von der Euphorie geprägt
Doch die Manie ist keineswegs nur von der Antriebssteigerung und der Euphorie geprägt. Vielmehr reagieren viele Patienten in dieser Krankheitsphase dysphorisch. Sie sind gereizt und teilweise auch ängstlich. Gleichzeitig sind die Betroffenen in aller Regel kognitiv beeinträchtigt. Sie reagieren oft desorganisiert und konfus, leiden unter sprunghaften oder „rasenden“ Gedanken, haben mit Konzentrationsschwierigkeiten zu kämpfen, aber auch mit einer fehlenden Krankheitseinsicht.
Die Symptome können bis hin zu psychotischen Merkmalen gehen, mit Gedankeneingebungen, Wahn und Halluzinationen, ein Phänomen, das auch als „Überkochen der Manie“ bezeichnet wird. „Man muss sich in solchen Fällen davor hüten, den Patienten als schizophren zu klassifizieren“, sagte Erfurth in Düsseldorf.
Depressive Phase
Deutlich einfacher als die Manie ist die Depression zu fassen, was schon daran liegt, dass deren Symptomatik allgemein besser bekannt ist. Die Patienten leiden unter dem Verlust ihrer Gefühlswelt und sind weder in der Lage zu trauern noch sich zu freuen. Sie reagieren antriebslos und verlieren das Interesse an Dingen, die ihnen normalerweise Freude bereiten. Auch das sexuelle Interesse geht im Allgemeinen verloren.
Die Erkrankten neigen hingegen zum Grübeln, leiden unter einer pessimistischen Zukunftseinstellung, haben Schlafstörungen und sind zunehmend unfähig Entscheidungen zu treffen. Sie empfinden sich selbst als wertlos und unnütz, und es entwickeln sich Todeswünsche, die nicht selten in einem Suizidversuch münden.
Verschiedene Krankheitsformen
Als charakteristisch für bipolare Störungen gilt ein Verlauf mit länger andauernden Phasen von Depressionen und Manien, die durch einen gewissen Zeitraum normalen Befindens unterbrochen sind. Man spricht bei einem solchen, quasi klassischen Verlauf von einer Bipolar I Störung. Diese liegt bei rund ein bis zwei Prozent der Bevölkerung vor.
Sie wird abgegrenzt von der Bipolar II Störung, bei der schwere Depressionen im Vordergrund stehen, die nur von kurzen Phasen einer gehobenen Stimmung, einer so genannten Hypomanie, unterbrochen sind. Die Hypomanie stellt quasi eine abgeschwächte Form der Manie dar und dauert per definitionem nicht länger als vier Tage. Die Bipolar II Störung ist weit häufiger als das klassische Pendant und betrifft den Schätzungen zufolge rund vier Prozent der Bevölkerung. Zählt man die zyklothymen Störungen hinzu, so könnten sogar bis zu acht Prozent der Menschen betroffen sein, wobei etwa doppelt so viele Frauen wie Männer erkranken.
Variieren kann zudem generell die Dauer der einzelnen Krankheitsepisoden, und zwar von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten oder sogar noch längeren Zeiträumen. Meist dauert die depressive Phase dabei länger als die manische Phase, die beiden Phasen können direkt ineinander übergehen oder sie können durch Zeiten ausgeglichener Stimmung voneinander getrennt sein. Eine große Varianz besteht bei den Patienten außerdem hinsichtlich der Häufigkeit der Episoden. So kann es sein, dass die Betroffenen nur eine manische Phase erleben, das ist jedoch selten, wenn keine adäquate Therapie erfolgt. Vielmehr liegt nach Angaben der Gesellschaft für bipolare Störungen die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer zweiten Episode unbehandelt bei über 90 Prozent und steigt ohne prophylaktische Langzeittherapie mit jeder abgelaufenen Episode noch weiter an.
Hohe Suizidgefahr
Die Therapie der Bipolaren Erkrankung muss nach Krüger mehreren Zielen folgen. Primär muss es darum gehen, die potenziell gefährdenden Symptome rasch unter Kontrolle zu bekommen. Dabei geht es nicht nur um das Wohlbefinden der Patienten, vielmehr muss unbedingt auch die Suizidgefahr abgewendet werden. Denn Patienten mit bipolarer Störung sind nicht nur in der depressiven, sondern fast mehr noch in der manischen Phase suizidgefährdet, da sie dann die Kraft und den Antrieb besitzen, den Todeswunsch zu realisieren. „Wir wissen, dass jeder vierte Patient bereits einen Suizidversuch hinter sich hat“, erklärte Sabine Krüger in München
Es muss nach ihren Worten ferner darum gehen, die Stimmungslage des Patienten zu stabilisieren und die Manie zu kontrollieren, ohne jedoch gleichzeitig eine depressive Phase zu provozieren.
Behandlung bipolarer Störungen
Bei der Therapie sind nach Dr. Heinz Grunze aus München grundsätzlich beide Phasen, also die Depression wie auch die Manie, zu berücksichtigen. Die Patienten brauchen eine Akut- wie auch eine Langzeittherapie, wobei jedoch die gleichen Wirkstoffe eingesetzt werden, und zwar in erster Linie ein Stimmungsstabilisator, beispielsweise Lithium, Valproat, Carbamazepin, Lamotrigin oder auch ein Neuroleptikum. Gleichzeitig muss die depressive Krankheitskomponente behandelt werden, wobei nach Grunze moderne Antidepressiva, wie die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), wegen ihrer guten Wirksamkeit und auch wegen ihrer guten Verträglichkeit zu bevorzugen sind. Ziel der Akutbehandlung ist dabei, den Patienten aus der depressiven oder der manischen Phase zu befreien und für eine stabile Stimmungslage zu sorgen.
Ist dies gelungen, so muss langfristig erneuten Episoden vorgebeugt werden. Das A und O der Behandlung ist nach Grunze deshalb eine effektive Langzeittherapie. Diese ist unbedingt indiziert nach einer schweren Krankheitsepisode oder bei entsprechender familiärer Anamnese. Liegt keiner dieser Faktoren vor, so muss eine Langzeittherapie in jedem Fall nach der dritten Krankheitsepisode begonnen werden, wobei eine lebenslange Rezidivprophylaxe anzustreben ist. Behandelt werden sollte nach Grunze mit dem Medikament, das auch in der akuten Phase der Erkrankung wirksam war, und das gilt nach seinen Worten auch für die Kombinationstherapie.
Die Autorin der Rubrik „Repetitorium“ ist gerne bereit, Fragen zu ihren Beiträgen zu beantworten
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