Ein moderner Wirkstoff: 40 Jahre Kariesschutz mit Aminfluorid
„Es ist heute möglich, Kinder praktisch kariesfrei aufzuziehen. Jeder Zahnarzt kann dieses Ziel erreichen durch eine moderne Aufklärung der Eltern über Fluoridierung, Mundhygiene und Ernährungslenkung“, stellten Mühlemann, König und Marthaler bereits 1966 in dieser Zeitschrift fest [18]. Die Autoren wiesen in ihrem Artikel insbesondere auf die Bedeutung der Lokalfluoridierung hin und konstatierten im Hinblick auf die damals gebräuchliche zweiprozentige Natriumfluoridlösung: „Die moderneren Aminfluoride reichern den Schmelz allerdings zwei bis drei Mal intensiver mit Fluor an“. Nunmehr seit 40 Jahren in der Kariesprävention bewährt, haben die Aminfluoride bis zum heutigen Tag nichts von ihrer Modernität eingebüßt.
Wie alles anfing
Schon ab Mitte der 50er Jahre arbeitete die GABA in Zusammenarbeit mit dem Zahnärztlichen Institut der Universität Zürich an der Entwicklung neuartiger Fluoridverbindungen mit besserer Verfügbarkeit und Aktivität als die bis dahin gebräuchlichen. Zentrales Ziel war die Suche nach chemischen Verbindungen, welche die Fluoridwirkung unterstützen sollten. Über die Aminfluoride wurde im Zusammenhang mit der Kariesprävention erstmals 1957 von Mühlemann, Schmid und König berichtet [19]. Vorher schon hatte Wainwright gezeigt, dass organische Moleküle, zum Beispiel Harnstoff, durch intakten Schmelz diffundieren können [29]. Diese Beobachtung, die 1959 von Marthaler bestätigt werden konnte [15], führte Mühlemann zur Frage, ob es nicht möglich wäre, gut diffundierende organische Moleküle als „Fluoridschlepper“ zur Fluoridanreicherung des Schmelzes zu benutzen, indem ihnen Fluorid chemisch „angehängt“ würde. Zusammen mit Schmid wurden daraufhin in den Laboratorien der GABA AG in Basel eine Reihe von Fluoridsalzen organischer Verbindungen synthetisiert. Doch die zunächst untersuchten Hydrofluoride von Aminosäuren zeigten nur eine geringe Tendenz, den Schmelz mit Fluorid anzureichern. Schmid, der als Chemiker vor seiner Tätigkeit bei der GABA bereits Erfahrungen in der Entwicklung von Detergentien sammeln konnte, begann daraufhin mit der Synthese von Hydrofluoriden langkettiger aliphatischer Amine. Es wurde vermutet, dass diese tensidartigen Moleküle aufgrund ihrer Oberflächenaktivität eine hohe Affinität zum polaren Zahnschmelz entwickeln und dadurch das Fluorid an der Schmelzoberfläche festhalten könnten. In der Folge zahlreicher experimenteller, toxikologischer und Karies hemmender Untersuchungen sowie nach zusätzlichen klinischen Studien stellte sich die Verbindung Nr. 297-Olaflur – als für die Kariesprophylaxe besonders geeignet heraus. Bereits 1962 lagen Ergebnisse der ersten klinischen Kariesstudie mit der auf der Basis dieses Wirkstoffes neu entwickelten elmex Zahnpasta vor und bildeten die Grundlage für die Markteinführung dieses Produktes, die 1963 in der Schweiz und 1964 in Deutschland erfolgte. Diese erste Kariesstudie wurde über einen Zeitraum von sieben Jahren fortgeführt [16]. Sie ist damit die bis heute längste klinisch kontrollierte Zahnpasta-Studie überhaupt.
Moderne Moleküle
Die Aminfluoride zeichnen sich durch eine zweigeteilte Struktur aus, die einen ungeladenen, wasserabweisenden (hydrophoben) Anteil mit einem polaren, wasserfreundlichen (hydrophilen) Anteil verknüpft (Abb. 1). Diese tensidartigen Moleküle reichern sich gezielt an Oberflächen an und bilden dort monomolekulare Schichten [3]. In den Aminfluoriden ist das Fluoridion an einen Träger – den protonierten Aminteil – gebunden, der durch seine Affinität zum polaren Zahnschmelz das Fluorid an die Zahnoberfläche transportiert und dort festhält (Abb. 2). Obwohl sich die Auffassung über den kariesprophylaktischen Wirkungsmechanismus von Fluorid im Lauf der letzten 20 Jahre stark erweitert hat, macht die Idee, die hinter der Entwicklung der Aminfluoride steht, sie bis heute zu optimalen Wirkstoffen. Das Fluorid wird an der Zahnoberfläche – dort, wo es gebraucht wird – in idealer Weise konzentriert [10,11,13]. Die besondere Wirksamkeit der Aminfluoride beruht dabei vor allem auf der Kombination ihrer chemischen Eigenschaften: Der Oberflächenaktivität, die verantwortlich ist für den Transport zur Zahnoberfläche und die Konzentration des Fluorids am Ort des Geschehens, und der schwach saure pH-Wert, der für die Bildung einer besonders gut haftenden Fluorid-Deckschicht sorgt (Abb. 3). Diese Deckschicht fungiert bei Säureangriffen als Fluoriddepot. Neben seiner kariesprotektiven Wirkung übt der Hauptwirkstoff Olaflur in den Rezepturen der elmex Produkte weitere wichtige, zusätzliche Funktionen aus, die auf seine Molekülstruktur zurückzuführen sind: Er hilft mit, die Aromaöle zu dispergieren, er wirkt als Konservierungsmittel und dient nicht zuletzt als Schäumer, so dass bei ausreichender Aminfluoridkonzentration den Produkten keine weiteren Zusatzsstoffe beigefügt werden müssen.
Schwache Säure, starke Wirkung
Während man früher davon ausging, dass Fluorid in das Mineral des Zahnschmelzes eingebaut wird und ihn so dauerhaft vor Karies verursachenden Säureangriffen schützt, hat die Forschung der letzten Jahrzehnte gezeigt, dass der Einfluss des Fluorids auf die dynamischen Vorgänge von Deund Remineralisation Hauptfaktor für die kariesprophylaktische Wirksamkeit ist [22]. Bei jedem Säureangriff werden Kalzium und Phosphat aus dem Schmelz herausgelöst (Demineralisation), in den Ruhephasen zwischen Säureangriffen werden diese Defekte durch Mineralieneinlagerung aus dem Speichel wieder remineralisiert. Bereits geringe Konzentrationen von Fluoridionen hemmen die Demineralisation und beschleunigen die Remineralisation. Sie verschieben also das dynamische Gleichgewicht weg von der Kariesentstehung. Hierfür muss Fluorid allerdings ständig an der Zahnoberfläche verfügbar sein.
Durch die Hydrofluoridierung besitzen die aminfluoridhaltigen Produkte einen schwach sauren pH-Wert zwischen 4,5 und 5,0, dessen Bedeutung für die kariesprophylaktische Wirksamkeit lange Zeit nicht beachtet oder missverstanden wurde. Dabei hat der pH-Wert der verwendeten Fluoridverbindung einen wesentlichen Einfluss auf die Menge des aufgenommenen Fluorids [4-6,26,27]: Bei einem pH oberhalb von 5,5 wird Fluorid zunächst unspezifisch an der Schmelzoberfläche adsorbiert und bildet zusammen mit Kalziumionen aus Speichel und Zahnplaque schlecht haftende, auswaschbare, Kalziumfluorid-ähnliche Auflagerungen, die wenig Schutz vor Säureangriffen bieten [7].
Bei saureren pH-Werten (unterhalb 5,5) wird dagegen die Schmelzoberfläche leicht angelöst; bei gleichzeitiger Anwesenheit einer ausreichenden Fluoridkonzentration in der Grenzschicht wird sofort schwerlösliches Kalziumfluorid ausgefällt, das sich als dünne, festhaftende homogene Schicht niederschlägt und den darunter liegenden Schmelz gegen Säuren resistenter macht (Abb. 4) [8].
Der schwach saure pH-Wert und die schon beschriebene Oberflächenaktivität der Aminfluoride führen also zu einer erhöhten Fluoridaufnahme durch den Zahnschmelz und zur Bildung eines dauerhaften Fluoriddepots (Abb. 5).
Antiglykolytisch aktiv
Mutans-Streptokokken und Lactobazillen setzen mit Hilfe von Enzymen niedermolekulare Kohlenhydrate in Energie um. Als Abfallprodukte dieses glykolytischen Prozesses entstehen organische Säuren, die den Zahnschmelz demineralisieren und schädigen. Fluorid kann die bakteriellen Enzyme hemmen, so dass weniger Säure produziert und das Bakterienwachstum eingeschränkt wird. Diese Hemmung wirkt sich jedoch bei Natriumfluorid und Natriummonofluorphosphat erst bei hohen Fluoridkonzentrationen aus, die nach Anwendung fluoridhaltiger Zahnpasten und Mundspülungen in der Plaque nicht erreicht werden. Aufgrund ihres unpolaren Anteils können dagegen die Aminfluoride die bakterielle Zellmembran leichter durchdringen und im Zellinneren ihre antibakteriellen Eigenschaften entfalten. Dadurch hemmen sie die Stoffwechselaktivität der Bakterien, reduzieren ihre Säurebildung und behindern ihr Wachstum. Die antiglykolytische Eigenschaft der Aminfluoride unterstützt dadurch die Karies hemmende Wirkung des Fluoridions (Abb. 6) [9,24].
In den aktuellen Rezepturen sind die besonderen Moleküleigenschaften der Aminfluoride weiter optimiert worden. Auch auf freiliegendem Dentin entsteht bei der Anwendung von Aminfluorid eine Kalziumfluorid- Deckschicht. Diese schützt nicht nur vor Wurzelkaries, sondern hilft auch mit, freiliegende Dentinkanälchen zu verschließen. Aminfluorid wirkt also in Kombination mit einem sanften Putzkörper, der die entstehende Schutzschicht und das Dentin vor mechanischem Abrieb beim Zähneputzen schützt, zusätzlich desensibilisierend [20,21].
Kombination und Spezialisierung
aronal Zahnpasta mit Vitamin A wie auch die aminfluoridhaltige elmex Zahnpasta haben ihre eigene Indikation. Bei regelmäßiger Anwendung ergänzen sie sich in ihrer Wirkung optimal. So konnte 1993 gezeigt werden, dass die alternierende Anwendung dieser beiden Zahnpasten („morgens aronal, abends elmex“) zu einer Kariesreduktion führt, die der bei mehrfach täglicher Anwendung anorganischer Fluoride entspricht. Darüber hinaus wiesen die Anwender des Doppelschutzkonzeptes signifikant verbesserte Plaque- und Gingivitiswerte auf [23]. Die Ausrichtung der GABA Forschung nach den Bedürfnissen von Patienten und Zahnärzten führte im Laufe der Jahre zu weiteren Produkten, in denen Aminfluoride als zentrale Wirkstoffe fungieren: Das Schutz- und Putzsystem von elmex sensitive schützt schmerzempfindliche Zähne und freiliegende Zahnhälse, die elmex mentholfrei Zahnpasta wurde speziell für Patienten in homöopathischer Behandlung entwickelt.
In der elmex Kinder-Zahnpasta sorgt der reduzierte Aminfluoridgehalt von 500 ppm für den Kariesschutz der Milchzähne und führt zu einer effektiven Remineralisation beginnender Karies [12]. Doch nicht nur in Zahnpasten kommen Aminfluoride zum Einsatz: Als Wirkstoffe der elmex Kariesschutz Zahnspülung und der elmex sensitive Zahnspülung leisten sie ebenso wie in den elmex Zahnseiden und elmex Zahnhölzern ihren Beitrag zur Gesunderhaltung der Zähne [28].
Erfolgreiche Intensivfluoridierung
Die Anwendung medizinisch wirksamer Zahnpasten wird optimal ergänzt durch die lokale Intensivfluoridierung mit Hilfe von aminfluoridhaltigen Gelees und Fluids (Abb. 7). So konnte in einer kariesepidemiologischen Untersuchung an Berliner Schulkindern gezeigt werden, dass eine intensive Fluoridanwendung durch regelmäßiges Einbürsten des aminfluoridhaltigen Arzneimittels elmex gelée die Zahngesundheit erheblich verbesserte [1]. Die Kombination von elmex Zahnpasta mit dem wöchentlichen Einbürsten von elmex gelée wurde in einer Zweijahres-Kariesstudie an über 400 Jugendlichen im Alter von 14 bis 16 Jahren gegen die alleinige Anwendung von elmex Zahnpasta beziehungsweise gegen eine unveränderte Mundhygiene verglichen [14]. Die tägliche Verwendung von elmex Zahnpasta in Kombination mit der einmal wöchentlichen Anwendung von elmex gelée reduzierte dabei den Karieszuwachs (DMF-S) um 38 Prozent. Das im Vergleich zur Zahnpasta höher konzentrierte Fluoridgelee steigert durch eine intensive Remineralisation bereits vorgeschädigter Zahnflächen den Kariesschutz und erhöht die Säureresistenz des Zahnschmelzes. Auch die Plaquemenge sank in der Kombinationsgruppe stärker als in den beiden anderen Gruppen.
Die kariesprophylaktische Wirkung der Aminfluoride ist auch noch Jahre nach der Anwendung deutlich messbar: 161 Schüler bürsteten ihre Zähne drei Jahre lang mit elmex gelée beziehungsweise einem fluoridfreien Kontrollgel. In diesen drei Jahren wurden zirka 60 Anwendungen durchgeführt. In den folgenden vier Jahren bürsteten alle Schüler ihre Zähne sechsmal jährlich mit einer einprozentigen Natriumfluoridlösung.
Der Effekt von elmex gelée war noch nach diesen vier Jahren ohne Aminfluoridanwendung deutlich: In den insgesamt sieben Jahren der Studie war die Karieszunahme bei den Kindern der elmex gelée-Gruppe um 35 Prozent reduziert [17].
Fazit
Der in den letzten 50 Jahren erarbeitete hohe Wissenstand der experimentellen und klinischen Kariesforschung bildet heute die Grundlage effizienter und praktisch erprobter Prophylaxemodelle. Nur das Zusammenspiel mehrerer präventiv wirksamer Faktoren war für den großen Erfolg, die Karies zurückzudrängen und zu kontrollieren, verantwortlich.
Nicht zuletzt die seit nunmehr 40 Jahren auf breiter Basis und in verschiedenen Applikationsformen in der Prävention eingesetzten Aminfluoride haben ihren Beitrag dazu geleistet. Seit der ersten Publikation Ende der 50er Jahre haben bis heute mehr als 500 wissenschaftliche Arbeiten die hervorragende kariesprophylaktische Wirksamkeit der Aminfluoride bestätigt. Ihre Vielseitigkeit macht sie auch nach 40 Jahren zum modernen Wirkstoff in der Kariesprävention.
Prof. Dr. Hans-Jürgen GülzowUniversitätskrankenhaus EppendorfKlinik für ZMK-HeilkundeMartinistr. 5220246 Hamburg
Dipl.-Chem. Claas SudbrakeKapfrain 479588 Efringen-Kirchen