Leitartikel

Kernfrage Alterszahnheilkunde

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

alle Strategien, die sich zurzeit mit der Reform im Gesundheitswesen beschäftigen, müssen sich einer Kardinalfrage stellen: Wie bekommt man die gesundheitspolitischen Probleme einer ständig wachsenden Alterspyramide in den Griff? Echte Lösungsansätze müssen ans Eingemachte gehen. Sie tangieren die Systemfrage und reichen weit in Bereiche der Finanzierung, Versorgung oder Weiterentwicklung des Gesundheitswesens hinein.

Heruntergebrochen auf die Zahn-, Mundund Kieferheilkunde stellt sich die Kernfrage ganz konkret in der Alterszahnheilkunde (siehe Beitrag Seite 100 in diesem Heft). Sie ist der Dreh- und Angelpunkt, um den herum gesundheits- und sozialpolitische Problemstellungen im Bereich Zahnmedizin gelöst werden müssen. Berufspolitik und Fachlichkeit müssen ineinander greifen.

Der Kollege in der Praxis bekommt die Herausforderungen einer immer älter werdenden Bevölkerung bereits jetzt hautnah zu spüren. Ältere Patienten weisen multimorbide Krankheitsbilder auf. Neben zahnmedizinischem sind medizinisches Wissen und soziale Kompetenz gefragt. Um es auf den Punkt zu bringen: In der Alterszahnheilkunde sind alle Erkrankungsbilder der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde kumuliert. Daraus ergibt sich einerseits ein großer Bedarf, andererseits auch ein enormes präventives Potential.

Eine ganz besondere Herausforderung für die zahnärztliche Versorgung stellen sozioökonomische Risikogruppen dar. Altersarmut, soziale Schieflage, Pflegebedürftigkeit und multikausale Krankheitsbilder fordern den Blick aufs Ganze. Verstärkt stellt sich die Frage der Zugangswege zu diesen Gruppen. Der Zahnarzt allein ist damit überfordert. Vielmehr geht es darum, interdisziplinär zusammenzuarbeiten.

“Alterszahnheilkunde ist der Dreh- und Angelpunkt, um den herum gesundheitspolitische Probleme im Bereich der Zahnmedizin gelöst werden müssen.

Deshalb hat die Bundeszahnärztekammer in ihren Konzepten zur Alterszahnheilkunde im Rahmen von „Prophylaxe ein Leben lang“ die Frage des Zugangs neu definiert und entsprechende Instrumentarien entwickelt. Der Leitfaden „Präventionsorientierte ZahnMedizin unter den besonderen Aspekten des Alterns“ ruft die zahnärztliche Kollegenschaft auf, sich verstärkt mit diesem Thema in der Praxis auseinanderzusetzen und sich für künftige Entwicklungen fit zu machen. Das „Handbuch der Mundhygiene“ dient als Ratgeber für Pflegepersonal in Heimen, um für die Wichtigkeit von präventiven Maßnahmen gerade bei alten und chronisch kranken Menschen zu sensibilisieren.

Eine zentrale Rolle bei der Versorgung älterer Menschen spielt das Praxisteam. Deshalb sollten die Mitarbeiterinnen zum Beispiel im Rahmen von Fortbildungen auf diese Herausforderungen vorbereitet werden. Es stellt sich auch die Frage, inwieweit der Zahnarzt beziehungsweise seine Mitarbeiter präventive Hausbesuche machen soll. Denn für immobile Patienten ist es oft die einzige Lösung, eine zahnärztliche Behandlung wahrzunehmen. Gerade bei dieser Patientengruppe ist es enorm wichtig, mit Fingerspitzengefühl vorzugehen, einen vertrauensvollen Bezug zu schaffen, um durch rechtzeitiges Eingreifen schwerwiegendere orale Erkrankungen im Vorfeld einzudämmen oder zu vermeiden. All das verlangt nach einer Stärkung der sozialen Kompetenz des Zahnarztes. Nicht nur der Therapeut ist gefragt, sondern vielmehr der lebenslange Partner des Patienten in allen Fragen rund um die Zahnmedizin. Das greift tief in Fragen der Lebensqualität hinein und erfordert eine ganzheitliche Betrachtungsweise.

Deshalb muss der Blick von der Alterszahnheilkunde aus zu Systemfragen in der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion gehen. So ist dringend zu fordern, eine geplante Ausgliederung von zahnmedizinischen Leistungen aus der GKV unter präventionspolitischen Gesichtspunkten zu betrachten. Das gilt vor allem für das Vermeidbarkeitsprinzip. Hier muss man differenziert vorgehen. Alleinige fiskalische Betrachtung könnte sich medizinisch gesehen als Bumerang entpuppen. Es besteht die große Gefahr, dass aus ökonomischen Gesichtspunkten heraus das Ärztliche, das Medizinische, zu kurz kommt.

Seitens der Standespolitik und der Wissenschaft werden wir uns deshalb vehement dafür einsetzen, einer Trivialisierung und Deprofessionalisierung des Berufsstandes entgegenzuwirken. Für Gespräche mit der Gesundheitspolitik muss deshalb unser Konzept der befundorientierten Festzuschüsse mit Kostenerstattung die argumentative Grundlage sein.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Dietmar OesterreichVizepräsident der Bundeszahnärztekammer

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