Prädiabetes hat Krankheitswert
In einem interdisziplinären Symposium unter Leitung des Kardiologen Prof. Georg Ertl, Würzburg, und des Diabetologen Prof. Eberhard Standl, München, wurde Ende Januar dieses Jahres die Verleihung des Robert-Koch-Awards für innovative, bewährte und wissenschaftlich noch immer ergiebige Medikamente an das acarbosehaltige Glucobay begründet.
91 Prozent weniger Infarkte
Patienten mit gestörter Glukosetoleranz (IGT) fallen in der Regel nicht auf. Vor Veröffentlichung der Daten aus der STOP-NIDDM-Studie (J.L. Chiasson et al.: Diabetologia, 45. Jg. 2002, Suppl.2, S. A 104) wäre auch kein Arzt auf den Gedanken gekommen, solche Patienten zu behandeln. Das Kürzel steht für „Study to prevent Non Insulin Dependent Diabetes Mellitus“. An der Studie nahmen mehr als 1 400 Patienten über vier Jahre teil.
Der Prädiabetes wurde als Zeichen einer leichten Störung im Glukosestoffwechsel betrachtet. Einen Krankheitswert wollte man darin nicht erkennen.
Nun zeigt aber die Studie, dass nicht nur mehr als ein Drittel der Probanden, die im Laufe von vier Beobachtungsjahren unter Plazebo zu manifesten Diabetikern werden, durch Acarbose davor bewahrt werden können, sondern dass durch die Einnahme dieses Medikamentes auch die Entstehung des Bluthochdrucks und das Risiko von kardiovaskulären Komplikationen generell und speziell des Herzinfarktes deutlich gesenkt werden (Abb. 2).
Die Mechanismen dieser Wirkung einer simplen Verminderung des Glukosetransports durch die Darmwand – das ist die Wirkung von Acarbose – werden noch nicht vollständig verstanden. Hilfreich ist allerdings die Erkenntnis, dass die Gefäßwand durch hohe Serumglukosewerte angegriffen wird, was zur Arteriosklerose führt, die wiederum eine der Hauptursachen von Hypertonie, KHK und Herzinfarkt sowie Schlaganfall ist. Außerdem ist die diabetische Hyperglykämie auch eine der wichtigsten Ursachen von Erblindung und Nierenversagen. Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall, periphere Verschlusskrankheit und Nierenversagen werden folgerichtig auch im so genannten Metabolischen Syndrom als ein grundlegendes Krankheitsbild zusammengefasst.
Neu ist jedoch, dass bereits die Erhöhung des Blutzuckers nach Mahlzeiten, die so genannte postprandiale Hyperglykämie, die sich mit einem Glukosebelastungstest nachweisen lässt, derart gefährlich ist. Hochgerechnet lassen sich die relativen Risikozahlen füllen, indem sich allein die Zahl der Herzinfarkt- Todesfälle durch Prädiabetes in Deutschland pro Jahr um mehr als 30 000 vermindern ließe, würde man alle Prädiabetiker erfassen und mit Acarbose behandeln. Diese Zahl ist natürlich ein theoretisches Konstrukt, denn man wird in der Realität kaum alle Patienten mit IGT finden. Doch sollte es möglich sein, bei Patienten mit familiärer Belastung einen Test auf Glukoseintoleranz zu machen und bei positiven Werten die Allgemeinmaßnahmen (Aktivierung, Gewichtsabnahme und Ernährungsberatung) sowie die Gabe von Acarbose zu beginnen.
Prävention ernst nehmen
Die Gesundheitspolitiker können für die Humanmedizin viel aus der Zahnheilkunde lernen. Sie als Zahnarzt wissen, dass etwa eine gute Kariesprophylaxe später viele Kosten erspart. Dies ist offenbar auch den Gesundheitspolitikern und Kassenfunktionären gut erklärt worden. In der Humanmedizin ist man davon noch Welten entfernt.
Am Beispiel des Metabolischen Syndroms lässt sich das gut beschreiben: Acarbose ist zwar zur Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 zugelassen, weil es den postprandialen Blutzucker senkt. Man hat sich aber nicht die Mühe gemacht, es in den Entwurf der Positivliste oder die Medikamentenliste des DMP für Diabetes aufzunehmen. Begründet wird dies mit der Entbehrlichkeit von Acarbose: Ein Medikament lediglich für die Kontrolle des postprandialen Blutzuckers anzuwenden wäre doch viel zu teuer und der gleiche Effekt durch vernünftige Ernährung und mehr zu erreichen ... Wer jedoch weiß, wie schwierig in der Praxis gerade diese übergewichtigen Menschen zu einer Veränderung ihres Lebensstils zu bewegen sind, wird beim Versagen der Allgemeinmaßnahmen nicht lange zögern, um die Belastung durch die nunmehr offenkundigen Risiken möglichst rasch zu vermindern.
Dr. Till U. Keil