Denken nicht erwünscht
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit beispiellosem Auftritt hat Europas größte Einzelgewerkschaft ver.di aufgezeigt, wie man in diesem Staat – bar jeglicher Vernunft, trotz leerer Kassen und wirtschaftlichem Niedergang – egoistische Einzelinteressen rigoros umsetzt. Selbst aus ausgequetschten Zitronen, so könnte man unbedarft schlussfolgern, lässt sich also noch Saures herauswürgen. Dass Länderund Kommunen, Krankenhäuser und – durch mittelbar herbeigeführte Arbeitslosigkeit – auch die ver.di-Mitglieder selbst diese rigorose machtpolitische Tour kaum verschmerzen werden, spielt in dem von Rot-Grün akzeptierten Spektakel keine Rolle.
Ganz anders bei uns Heilberuflern. Wollen unsere Berufszweige – so wie das Bündnis Gesundheit 2000 es initiiert hat – auf systemimmanenteUnzulänglichkeiten hinweisen, bekommen wir die kommunikationstechnischen Breitseiten bereits im Vorfeld zu spüren. Die so gut wie noch nie positionierte Phalanx aus Regierungsparteien, Gewerkschaften und Krankenkassen spart nicht an Angriffen gegen Ärzte- und Zahnärzteschaft, die vom Vorwurf der Wahrnehmung egoistischer Einzelinteressen – gemeinhin auch „Abzocke“ genannt – über das „Austragen auf dem Rücken der Patienten“ bis zum öffentlich geschürten Vorurteil reichen, Ärzte wie Zahnärzte legten kriminelle Energie größeren Ausmaßes an den Tag.
„In den kommenden Monaten haben wir es auch selbst in der Hand, ob die Ministerin ihre Vorhaben tatsächlich eins zu eins umgesetzt bekommt.“
Auf diese Weise hofft man, diejenigen, die sich noch mit Argumenten gegen die hoffnungslosen Zustände wehren, endlich mundtot zu bekommen. Es reicht augenscheinlich nicht, dass man das Modell befundorientierter Festzuschüsse, das die Zahnärzteschaft immer wieder in die Diskussion einbringt, ignoriert. Denn immer mehr Betroffene, sei es die interessierte Öffentlichkeit oder auch der unabhängig denkende Experte, öffnen sich für den Vorschlag, das System zu hinterfragen statt weiter an der Kostenschraube zu drehen.
Dabei wachsen die Probleme immer schneller. Noch ist das neue Sozialgesetzbuch V mit dem Gesetz zur Beitragssicherung nicht gedruckt, schon spricht man über die nächsten Maßnahmen, zum Beispiel die Heraufsetzung der Beitragsbemessungsgrenze auf die der Renten. Eine Maßnahme, die noch vor wenigen Wochen verworfen wurde. Befürchtet wurde – so der Anlass für die Zurücknahme – das auf diesem Weg der privaten Krankenversicherung die jungen und gesunden Beitragszahler entzogen würden, damit der Systemsäule PKV die notwendige Basis geraubt würde. Ein weiterer Schritt Richtung Einheitskrankenkasse, gewollt vom DGB.
Und während die Gesundheits- und Sozialministerin trotz eines ganzen Kanons durchaus anders lautender Ansätze aus Kanzleramt wie auch extra eingesetzter Rürup-Kommission ihre eigenen Vorstellungen selbstherrlich zum x-ten Mal als Ausweg ankündigt und eine gedankliche Auseinandersetzung zum Thema augenscheinlich nicht mehr wünscht, errechnen die Sozialstatistiker schon wieder den nächsten Stand weiterhin steigender Beitragssätze. „Nullrunden“ bei Ärzten und Zahnärzten, die effektiv deutliche Minusrunden sind, erweisen sich nur als kurze Verzögerung der wachsenden Beitragssatzspirale.
Wenn jetzt Ärzte und Zahnärzte, die gerade im Sinne ihrer schutzbefohlenen Patienten auch zu anderen Mitteln – letztlich nicht weniger als ärztliche Praxis ausschließlich nach Maßgaben des Gesetzgebers – greifen wollen, wird das als Ärztestreik deklariert und sofort mit Entzug der Kassenzulassung gedroht. Dass Deutschlands Heilberufler dabei ausdrücklich betonen, sie werden ihren Patienten akut notwendige Behandlungen nicht verwehren, zählt nicht. Ein Zeichen, wie viel Respekt man vor einer übergreifenden Aufklärungsaktion für Deutschlands Patienten hat.
Eines ist klar: In den kommenden Monaten haben wir – jeder Einzelne von uns – es auch selbst in der Hand, ob die Ministerin ihre Vorhaben tatsächlich eins zu eins umgesetzt bekommt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rolf-Jürgen LöfflerVorsitzender der KZBV