Pathologische Unterkieferfraktur nach Zahnentfernung
Kasuistik
Es handelte sich um einen Patienten, bei dem im Vorfeld ein retinierter Zahn 45 erst nach atrophiebedingter Exposition zur Mundhöhle (Abbildung 1) im Alter von 65 Jahren entfernt wurde. Eine protrahierte Sekundärheilung und mehrfache Wundrevisionen führten zu einer kritischen Schwächung des Knochens (Abbildung 2) mit nachfolgender pathologischer Fraktur. Zum Beginn der klinischen Behandlung bestand diese Fraktur bereits seit mehreren Monaten, es war zur Bruchspaltinfektion mit lokaler Osteomyelitis gekommen. Abbildung 3 zeigt die radiologische Fraktursituation im rechten Unterkiefer mit ausgedehnten Kallusformationen ( ▲ ) im Sinne einer hypertrophen Pseudarthrosenbildung. Der intraoperative Situs (Abbildung 4) nach Sequestrotomie zeigt die Situation vor Spongiosaplastik. Nach Stabilisierung der Fraktur mittels Plattenosteosynthese unter Erhalt der basalen Kallusformationen war der weitere Verlauf komplikationslos.
Diskussion
Die pathologische Unterkieferfraktur stellt eine seltene, gleichwohl aber ausgesprochen schwerwiegende Komplikation nach Zahn- oder Implantatentfernungen dar, die immer eine qualifizierte Nachbehandlung erfordert. Neben der möglichst atraumatischen Vorgehensweise bei radiologisch erwartbar kritischen Stabilitätsverhältnissen ergibt sich für die zahnärztliche Praxis vor allem die Problematik der rechtzeitigen Erkennung des Frakturereignisses. Iatrogene pathologische Frakturen im Zusammenhang mit Zahnentfernungen treten vor allem an zwei Zeitpunkten auf. Zum einen unmittelbar unter der Zahnentfernung als Folge der Hebel- oder Luxationskräfte, zum anderen etwa drei Wochen nach der Zahnentfernung in der Demineralisationsphase der Knochenregeneration. Ein besonders hohes Risiko besteht bei protrahierten Verläufen entzündlicher Komplikationen, die einerseits Ursache aber auch Folge eines Frakturgeschehens sein können. Der Patient berichtet regelmäßig über ein deutliches Knacken, meist mit nachfolgender Schmerzsymptomatik. Liegen anamnestische Hinweise auf ein Frakturereignis vor, erfordert die Sorgfaltspflicht des Behandlers zwingend eine unverzügliche radiologische Diagnostik, die den betroffenen Kieferabschnitt vollständig in zwei Ebenen abbildet. Die klinische Überprüfung der Beweglichkeit allein genügt hier nicht [Handschel et al., 2001]. Der Fall weist im Übrigen auf eine Spätkomplikation des Belassens retinierter Zähne hin, die in der aktuellen, wissenschaftlichen Diskussion um die Frage der prophylaktischen Entfernung retinierter Weisheitszähne wenig Beachtung findet [DGZMK 2001, SIGN 1999].
PD Dr. Dr. Martin KunkelPD Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieJohannes-Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 2, 55131 Mainz