Sensibilitätsstörungen der Unterlippe durch ein Plasmozytom im Bereich des Unterkiefers
Kasuistik
Ein 66-jähriger Patient klagte seit mehreren Wochen über ein Taubheitsgefühl im Bereich der linken Unterlippe. Die Zähne 34 und 35 waren nicht sensibel, und Zahn 33 reagierte im Kältetest verzögert. Auf dem Röntgenbild war eine unscharf begrenzte Osteolyse im Bereich des linken Unterkiefers mit Ausdehnung bis zur Unterkieferbasis erkennbar (Abb.1 und 2). Auffallend war die durch den osteolytischen Bezirk verlaufende Struktur des Nervus alveolaris inferior, die darauf hinwies, dass der Nerv durch den pathologischen Prozess nicht verdrängt wurde.
Zur Abklärung des Befundes wurde von enoral eine Gewebeprobe entnommen. Der intraoperative Situs zeigte ein bräunlichrotes Gewebe, das die äußere Kompakta distal des Foramen mentale durchbrochen hatte (Abb. 3). Die histologische Untersuchung ergab die Diagnose eines Plasmozytoms.
Diskussion
Das Plasmozytom ist der häufigste primäre maligne Tumor des Skelettsystems und tritt in den meisten Fällen disseminiert (multiples Myelom) auf [Jundt und Prein, 2000]. Männer sind häufiger als Frauen (m:w = 3:2) betroffen und der Altersgipfel der Erkrankung liegt bei 55 Jahren [Jundt et al., 1997; Neville et al., 2002].
In fast einem Drittel aller Fälle ist der Tumor auch im Kieferbereich lokalisiert, wobei der Unterkiefer häufiger als der Oberkiefer betroffen ist [Pisano et al., 1997].
Die klinische Symptomatik des Plasmozytoms besteht häufig aus Schwellung und Schmerzen im Bereich des betroffenen Knochenabschnitts [Neville et al., 2002]. Bei Befall des Unterkiefers sind aber auch Parästhesien oder Anästhesien im Bereich der Unterlippe, wie bei dem hier beschriebenen Fall, typische klinische Symptome. Bei Befall des Unterkiefers zeigen sich radiologisch in der Regel scharf begrenzte Osteolyseherde, wobei die Tumorgrenzen charakteristischerweise unscharf werden, wenn der Tumor, wie im vorliegenden Fall, die Kortikalis durchbrochen hat [Jundt et al., 1997]. Auch Zahnwurzelresorptionen wurden beobachtet.
Insgesamt ist die Prognose dieses Tumors schlecht, wobei sie vor allem vom Stadium der Erkrankung abhängt.
Dieser Fall soll als wichtige Differentialdiagnose zu anderen osteolytischen Läsionen, wie Zysten, Ameloblastomen, Riesenzellgranulomen, eosinophilen Granulomen, Metastasen und malignen Lymphomen aufzeigen, dass eine akkurate Röntgendiagnostik und spezielle Anamnese wertvolle Hinweise auf die Dignität der Erkrankung geben können.
Prof. Dr. Dr. Torsten E. Reichert
PD Dr. Dr. Martin Kunkel
Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Johannes Gutenberg-Universität
Augustusplatz 2
55131 Mainz