Gebrauchte US-Risikolebensversicherungen

Spekulieren mit dem Tod

Ein gut bestückter Flohmarkt ist gar nichts gegen die Überraschungen auf den internationalen Kapitalmärkten. Was in den USA, dem Mutterland des reinen Kapitalismus, bereits ein alter Hut ist, wird jetzt auch nach Deutschland exportiert: ein Spekulationsgeschäft mit gebrauchten Risikolebensversicherungen.

In Deutschland führt die Risikolebensversicherung ein Schattendasein. Hier zu Lande versteckt sich das zu versichernde Todesrisiko primär in einer Kapitallebensversicherung. Hier, so die falsche Aussage vieler Versicherungsberater, sind die Risikoprämien angeblich nicht verloren. Gleichwohl ist in den Prämien ein so genannter „Risikoanteil“ zur Finanzierung des Todesrisikos enthalten.

Fatal für viele Versicherte: Mit der abgeschlossenen Versicherungssumme einer Kapital bildenden Lebenspolice kann eine Familie nach Verlust ihres Ernährers in aller Regel nicht überleben. Sie ist zu gering – und die Police wäre bei ausreichendem Versicherungsschutz für die meisten unbezahlbar. Wohl dem, der für den Fall des Falles eine gut dotierte und gar nicht so teure Risikolebensversicherung abgeschlossen hat. Die Prämien zur Risikoabdeckung sind hier nicht versteckt, sie sind bekannt und selbstverständlich verloren, aber vielfach als Werbungskosten von der Steuer absetzbar, wie bei einer Versicherung oft üblich.

Wenn es ums Geld geht, ist in den Vereinigten Staaten von Amerika vieles anders als in Old Europe. Ausgeprägter als auf orientalischen Basaren wird rund ums Geld mit allen denkbaren geldwerten Instrumenten gehandelt, so auch mit Risikolebensversicherungen. Die Strategie dahinter ist makaber: Ein todkranker Amerikaner lässt sich von einem Arzt seine maximale Lebenserwartung bescheinigen. Mit diesem Gutachten beauftragt er einen oder auch seinen Versicherungsmakler, seine Lebensversicherung einer so genannten „Settlement-Gesellschaft“ zum Verkauf anzubieten. Diese rechnet anhand der Restlebenszeit den aktuellen Wert der Police aus. Dabei wird von der abgeschlossenen Versicherungssumme auf den Todesfall der Anteil für die kalkulierte Restlaufzeit abgezogen.

Nicht die Überlebenden, wie eigentlich geplant, sondern der Todgeweihte bekommt den Restwert seiner Risikopolice ausbezahlt. Der Aufkäufer bezahlt weiterhin die Prämien und spekuliert darauf, dass der todkranke Policenverkäufer rechtzeitig, möglichst sogar vorzeitig stirbt. Denn je früher der erwartete Tod eintritt, um so höher fällt die Rendite aus. Diese besteht dann aus gesparten Prämien und aus der Differenz zwischen dem Abfindungsbetrag und der ausgezahlten Versicherungssumme. Lebt aber der Totgesagte wesentlich länger als ärztlich attestiert, muss der Policenaufkäufer eine Fehlspekulation verkraften: Er zahlt Prämien und bekommt dafür nicht in der kalkulierten Zeit den erwarteten Gegenwert.

Das größte Risiko im Geschäft mit gebrauchten Risikolebensversicherungen besteht somit darin, dass der Versicherte zu lange lebt. Ein zivilisierter Mensch mit einem normal entwickelten Gefühlsleben mag den widerwärtigen Gedanken gar nicht fassen, dass die Gnade, leben zu dürfen, für andere einen Geldverlust bedeuten kann. Aber Amerikaner sind, zumal wenn es ums geldwerte Geschäft geht, um moralische Ausreden nicht verlegen. So lautet die gängige Rechtfertigung rund um das Geschäft mit den gebrauchten Risikopolicen: Wer seine Absicherung gegen den Tod bereits zu seinen Lebzeiten verkauft, hat dann genügend Geld, um das teure amerikanische Gesundheitssystem bezahlen zu können. Er kann sein erwartetes Ende angenehmer gestalten.

Nun aber bleibt eine amerikanische Settlement-Gesellschaft für aufgekaufte Risikolebensversicherungen nicht einfach auf den Policen sitzen. Diese Geldquellen werden vielmehr nach allen Regeln der Kunst vermarktet. Der Investor kann sich – Minimumeinzahlung 20 000 USDollar – eine einzige, ihm aussichtsreich erscheinende Police herauspicken und damit in Eigenregie auf Rendite spekulieren. Der Policenverkäufer bleibt allerdings strikt anonym. Dafür sorgt das System ohne Wenn und Aber. Schließlich soll Geldgier keine gerissenen Killer auf den Plan rufen. Denn auch das ist Amerika: Safety first!

Wie bei Aktien oder Renten kann sich der Policeninvestor aber auch selber ein Portfolio mit unterschiedlichen Risikostufen und Endlaufzeiten zusammenstellen.

Risikostreuung

Wie bei Aktien und Renten üblich, haben Kapitalanlagegesellschaften viele Einzelpolicen zu Fonds gebündelt. Diese streuen das Risiko durch nicht termingerechtes Sterben. Allerdings handelt es sich hierbei um so genannte Geschlossene Fonds, die geschlossen werden, sobald eine angepeilte Summe eingezahlt ist. Diese wird dann auf eine Vielzahl von Policen verteilt. Solche Fonds (siehe „Gebrauchte Lebensversicherungen“) haben in aller Regel eine prognostizierte Laufzeit von zehn Jahren. Dann wird das eingezahlte und angesammelte Kapital mit einem Schlag wieder ausgezahlt. Je nach Nachfrage dürften wohl fortlaufend immer wieder neue „geschlossene“ Policenfonds aufgelegt werden.

Öffentlich handelbare Fonds lassen sich nicht so ohne weiteres konstruieren, weil es keine gesicherte Berechnungsgrundlage für den tagesaktuellen Wert der einzelnen Policen gibt. Das aber wäre eine Voraussetzung für die Handelbarkeit der Fondsanteile. Zur Einschätzung der fundamentalen Sicherheit dieser Art von Geldanlage wird sogar ein Rating geboten. Die Bewertung der strengen Rating-Agenturen liegt zwischen A und BB. Sie fällt damit besser aus als die Kreditwürdigkeit vieler Staaten und erst recht vieler Unternehmen.

Über alle moralische Bedenken hinweg zählt nur die Rendite. Sie wird in den Verkaufsprospekten mit zwölf bis 14 Prozent jährlich kalkuliert. Nicht alltäglich am Kapitalmarkt: Die Vermarkter von Lebensversicherungen aus zweiter Hand garantieren vielfach sogar eine jährliche Mindestrendite von zumeist zwischen rund fünf und knapp sieben Prozent. So viel ist bei kurzen Laufzeiten zwischen zwei und vier Jahren mit soliden, zur Rückzahlung anstehenden Staatsanleihen nicht zu verdienen. Wer aber auf die stets teuren Garantien verzichtet und freihändig spekuliert, kann theoretisch kalkuliert mit beinahe unfassbaren Renditen von jährlich bis zu 38 Prozent rechnen.

Einige Beispiele: Eine Police mit einer Restlaufzeit von zwei Jahren wird auf statistischer Basis bereits nach 18 Monaten fällig. Die Todesfallsumme beträgt dann im Schnitt 128 Prozent des investierten Betrags, die Jahresrendite liegt bei 17,78 Prozent. Rein statistisch fährt am besten, wer eine Policenrestlaufzeit von sechs Jahren wählt. Dann muss er im Durchschnitt nur 21 Monate bis zum Tod des ursprünglichen Policeninhabers warten, bekommt 172 Prozent seiner Investitionssumme zurück und verdient damit auf Jahresbasis 38,76 Prozent. So viel gibt eine solide Dow-Jones-Aktie selbst in Hausse-Zeiten nicht her. Die Quelle dieser Berechnung geht zurück auf Jörg Finsinger, Professor am Lehrstuhl für Finanzdienstleistungen der Universität Wien.

Renditeversprechen

In Deutschland und Österreich sind derzeit findige Initiatoren dabei, griffige Produkte aus gebrauchten amerikanischen Risikolebensversicherungen zu schmieden. Freie Finanzdienstleister werden alsbald ihre vermögende Klientel mit gigantischen Renditeversprechen animieren, diese neu kreierten Anlageprodukte auf der Grundlage von Versicherungen, die todkranke Menschen vorfristig verkauft haben, zu kaufen. Aber dabei büßen die vom Wiener Professor Finsinger errechneten Renditen erheblich an Glanz ein. Denn nicht nur der Policenverkäufer will Geld sehen. Auch der Versicherungsmakler, die amerikanische Settlement-Gesellschaft, der Treuhänder, der die Anonymität der Verkäufers herstellt, der deutsche Produkt-Kreator und nicht zuletzt der Produktvermittler, der die Renditebringer an den Mann bringt, verlangen ihren Anteil. Die Kette all dieser Beteiligten dürfte insgesamt mindestens, so lauten die Daumenschätzungen, ein Drittel der Jahresrendite verschlingen.

Keine Chance ohne Risiko, weiß der erfahrene Geldanleger. Ein großes, aber durch Risikostreuung durchaus beherrschbares Risiko sind Policen von Verkäufern, die nicht in der kalkulierten Zeit sterben. Sie blockieren die Auszahlung der Police und kosten obendrein noch Geld, weil die Police ja weiterhin mit Prämien bedient werden muss. Doch für den Fall, dass eine gekaufte Police nicht termingerecht fällig wird, kann rein theoretisch eine Rückversicherung einspringen. Das geschieht zumeist, wenn gewollt, sobald eine Police zwei Jahre überfällig ist. Doch solche Absicherungen kosten so viel Geld, dass der Renditereiz arg verblasst.

Sehr kritisch im Hinblick auf die Seriösität einer Anlage in gebrauchte US-Risikolebenspolicen stimmt auch die Tatsache, dass die weltbekannte britische Versicherungsgesellschaft Lloyds aus der Rückversicherung des europäischen Geschäfts wieder ausgestiegen ist. Lloyds versichert bekanntlich alle Risiken, die halbwegs kalkulierbar sind.

Ist ein Risiko hoch, steigt halt die Prämie entsprechend. Da aber Lebensrisiken auch für Lloyds so transparent zu kalkulieren sind wie etwa bei der deutschen Allianz, ist zu vermuten, dass nicht das Lebensrisiko als solches zur Ablehnung neuer Rückversicherungspolicen führte, sondern die Sicherheit der Anlage als solche. Denn keine Versicherung hat ein Interesse daran, Werte zu versichern, die auf obskure Art verschwinden oder manipuliert werden können.

Rückversicherung

Rein rechtlich hängt nämlich die Geldanlage in eine gebrauchte Lebensversicherung in der Luft. Sie basiert weder auf einem Wertpapier, noch steht fest, ob eine gebrauchte Risikopolice für den Aufkäufer weiterhin eine Versicherung ist.

Kritisch nehmen folgende Internetseiten das Thema unter die Lupe:

www.viatical-expert.net

www.quatloos.com

www.crimes-of-persuasion.com

Deutsche Investoren müssen noch andere Risiken bedenken. Sie müssen darauf vertrauen, dass das eingezahlte Geld auch tatsächlich abzüglich der ausgewiesenen Kosten voll und ganz in Zweithand-Policen investiert wird. Denn Papier ist bekanntlich geduldig. Aber eine neutrale, geschweige denn staatliche Kontrolle gibt es nicht. Die Testate deutscher Wirtschaftsprüfer sind keine Garantie für Seriösität.

Selbst wenn hier zu Lande alles mit rechten Dingen zugeht, so ist für das Procedere jenseits des Atlantik einige Skepsis angebracht. So verspricht zwar die Sammelstelle für die Secondhand-Policen eine gewissenhafte Prüfung der Verträge. Doch gilt das auch bei stark steigender Nachfrage? Muss nicht eher befürchtet werden, dass die für den Export bestimmten Policen von schlechterer „Qualität“ sind als die, an denen vor Ort kritische Amerikaner verdienen wollen? Und: Wenn Amerikaner wissen, dass es international eine große Nachfrage nach gebrauchten Risikolebenspolicen gibt, liegt doch die Vermutung nahe, dass gegen Gewinnbeteiligung Gefälligkeitsgutachten ausgestellt werden. Ein vermeintlich Todkranker kassiert eine Menge Geld und lebt fröhlich weiter. In den USA, wo es keine An- und Abmeldepflicht gibt, kein allzu großes Kunststück.

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