Lymphknoten-Tuberkulose\r
Kasuistik
Bei einem 30-jährigen pakistanischen Patienten bestand eine über Monate langsam progrediente Schwellung der rechten Halsseite. Subjektiv hatte der Patient zwar eine knotige Verdickung bemerkt, Schmerzen seien aber nicht aufgetreten. Erst zuletzt habe ein gewisses Spannungsgefühl bestanden. Klinisch lag eine deutliche, die seitliche Halskontur vorwölbende Raumforderung der rechten Regio colli lateralis vor (Abb. 1). Die Haut war nicht gerötet, die Konsistenz der gegenüber der Halsmuskulatur kaum verschiebbaren Läsion war sehr derb. An potentiellen dentogenen Infektionsursachen lagen ein kariös zerstörter Molar und ein nach palatinal gekippter, parodontal stark geschädigter Prämolar im Oberkiefer vor. Sonographisch zeigte sich ein ausgedehntes kraniozervikales Lymphknotenkonglomerat (Abb. 2) mit inhomogener Binnenstruktur und zusätzlich zahlreiche weitere vergrößerte Lymphknoten der ipsilateralen Halsseite. Trotz fehlender klinischer und laborchemischer Entzündungszeichen war eine zentrale Einschmelzungszone zu vermuten.
Es erfolgte eine chirurgische Revision, um Material zur histologischen und mikrobiologischen Diagnostik zu gewinnen. Intraoperativ lag eine deutliche Umgebungsinfiltration vor, das Lymphknotenkonglomerat war sowohl zur Muskulatur als auch zur Subcutis flächig adhärent. Unter Schonung des N. accessorius wurde eine Lymphknotenbiopsie gewonnen und weiteres Material zur mikrobiologischen Untersuchung gegeben. Der zentrale Anteil wurde drainiert.
In der histopathologischen Aufarbeitung zeigten sich ausgedehnte Granulome mit zentralen käsigen Nekrosen, umgeben von einem Lymphozytenwall mit Epitheloidzellen und histiozytären Riesenzellen vom Langhans-Typ (Abb. 3). Der morphologische Befund sprach damit in erster Linie für eine Tuberkulose. Die Direktmikroskopie zeigte korrespondierend säurefeste Stäbchen. In der nachfolgenden kulturellen Anzüchtung ergab sich schließlich der Nachweis von Mykobakterium tuberculosis. Der Patient erhielt daraufhin umgehend eine antibiotische Dreifachkombination zur systemischen Therapie der Tuberkulose.
Diskussion
Die Tuberkulose ist weltweit nach wie vor eine der führenden Infektionserkrankungen. In den westlichen Industrieländern hat die Tuberkulose – mit der wachsenden Anzahl immunkompromittierter Patienten (zum Beispiel durch HIV-Erkrankungen) und auch durch die vermehrte Migration – seit rund 20 Jahren wieder an Bedeutung gewonnen. Bei einer jährlichen Inzidenz von zirka 14/100 000 in Deutschland treten etwa 85 Prozent der Tuberkuloseinfektionen in der Lunge auf [Geldmacher et al. 2002]. Die übrigen Manifestationen betreffen etwa zur Hälfte Lymphknoten und hier zu einem erheblichen Anteil die Kopf-Hals-Region [Awad und Al-Serhani 2001]. Morphologisch und hinsichtlich des Färbeverhaltens in der Ziehl-Neelsen Färbung unterscheiden sich die klassischen Tuberkuloseerreger nicht wesentlich von atypischen Mykobakterien. Für den definitiven Nachweis ist der kulturelle Befund daher bisher der anerkannte Goldstandard, es ist aber zu erwarten, dass moderne molekularbiologische Methoden des Direktnachweises mittels PCR in Zukunft an Bedeutung gewinnen [Jäckel und Sattler 2001]. Die zervikale Lymphknoten-Tuberkulose stellt nur selten die Erstinfektion dar, sondern entsteht zu über 90 Prozent als so genannte „postprimäre Erkrankung”. Das heißt, es handelt sich um die Reaktivierung einer zurückliegenden, zumeist pulmonalen Infektion und damit um eine systemische Erkrankung. Die Therapie hat demzufolge primär als systemische Therapie zu erfolgen.
Auch unter Einsatz moderner bildgebender Verfahren bleibt die diagnostische Abgrenzung gegenüber unspezifischen Lymphadenitiden und vor allem gegenüber malignen Lymphomen oder Metastasen schwierig. Der langwierige Verlauf ohne richtungsweisende lokale Symptomatik und auch die möglichen Allgemeinsymptome wie subfebrile Temperaturen oder Nachtschweiß erlauben keine diagnostische Abgrenzung von den wichtigsten Differentialdiagnosen. Im vorliegenden Fall erfolgte daher die chirurgische Exploration und Gewebeentnahme primär zum Ausschluss einer malignen Erkrankung.
Auf zahnheilkundlichem Fachgebiet werden diese Patienten zumeist zum Ausschluss entzündlicher Ursachen einer bestehenden Halsschwellung vorgestellt. Fehlen adäquate Ursachen einer unspezifischen Lymphadenitis, ist eine zügige histologische/mikrobiologische Diagnosesicherung anzustreben. Der aktuelle Fall zeigt allerdings, dass auch ganz unabhängig von vorhandenen potentiellen Ursachen, wie unspezifischen Entzündungen (hier kariös zerstörte beziehungsweise parodontal geschädigte Zähne), systemische Erkrankungen zusätzlich vorliegen können.
PD Dr. Dr. Martin KunkelProf. Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieJohannes-Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 255131 Mainz