Was hinter den roten Ohren steckt

Differenzialdiagnostik bei Ohrmuschelerkrankungen

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Die Blickdiagnose spielt in vielen medizinischen Disziplinen eine erhebliche Rolle. Kaum erkennbare Unterschiede im klinischen Erscheinungsbild werden differenzialdiagnostisch eingeordnet und für die prompte Erkennung von Krankheitsbildern gespeichert. So liegt der Ohrbereich eines Patienten im unmittelbaren Blickfeld des Zahnarztes. Erkrankungen am Ohr sind daher unübersehbar, sollten aber diagnostisch richtig eingeordnet werden. Dieser Beitrag erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Bekannte und selten vorkommende Krankheitsbilder werden kaleidoskopartig präsentiert. Besonderer Wert wird auf eine Bewertung von Stufenbefunden gelegt.

Erkrankungen der Ohrmuschel

Durch ihre exponierte Stellung im Bereich des Kopfes zeigt die menschliche Ohrmuschel bei Entzündungen und Traumen Besonderheiten. Entzündungen, die vorwiegend die Ohrmuschel befallen, sind relativ häufig und differentialdiagnostisch mit örtlich bedingten Besonderheiten zu bewerten. Durch die fehlende subkutane Fettschicht verursachen selbst umschriebene Entzündungen starke Schmerzen. Sie sind kosmetisch störend und können bei nicht ausreichender Behandlung Entstellungen zur Folge haben. Die Ursachen sind mannigfaltig.

Bakterielle Entzündungen werden durch grampositive Organismen, meistens Streptokokken oder Staphylokokken hervorgerufen. Aber auch gramnegative Bakterien haben als Sekundärinfektion eine klinische Bedeutung. Weitere Entzündungsursachen sind Viren sowie ein Befall mit Pilzen und Parasiten.

Prädisponierende Faktoren stellen die Allergien sowie endokrine Störungen dar. Besonders im Ohrmuschelbereich ist die Kontaktdermatitis lokalisiert, es treten aber auch alle anderen Ekzemformen auf. Eine Sonderstellung nehmen das kindliche Ekzem und die Psoriasis ein.

Als Folge einer Stoffwechselstörung können an der Ohrmuschel typische Gichttophi erscheinen, die dann als lachsfarbene, schlecht verschiebliche, schmerzhafte Knötchen am Helixrand auftauchen.

Die beiden wichtigsten Entzündungsformen im Bereich der Ohrmuschel, das Erysipel und die Perichondritis, werden mit den typischen differentialdiagnostischen Unterschieden tabellarisch vorgestellt.

Erysipel

• Streptokokken [+Staphylokokken?]

• Diffuse Rötung

• Scharfe Begrenzung

• Randwall

• Subfebrile Temperaturen

• Mitbeteiligung der Gesichtshaut

Perichondritis

• Streptokokken + Staphylokokken

• Fleckig gerötet

• Ohrläppchen ausgespart

• Unscharf begrenzt

• Knorpeliges Gerüst

• Sehr schmerzhaft

• Kein Randwall

Eine Aussparung des knorpelfreien Ohrläppchens ist nicht immer gegeben, da die entzündliche Rötung und Schwellung schon nach kurzem Zeitablauf nach unten ausweichen.

Nach Abklingen der Entzündung sollte unbedingt nach einer möglichen Eintrittspforte gesucht werden, weil von hier oft ein Rezidiv-Entzündungsgeschehen ausgehen kann.

Chondrodermatitis nodularis helicis chronica

Eine besondere Stellung im Bereich der umschriebenen Entzündungen im Ohrknorpelbereich nimmt das so genannte schmerzhafte Ohrknötchen ein. Die Ätiologie ist unbekannt, man vermutet zurückliegende Erfrierungen. Kaum ein Fachkollege kennt die korrekte Bezeichnung dieser häufig auftretenden typischen Veränderung. Der Ohrbereich ist besonders bei Berührung äußerst schmerzhaft. Eine graue, knötchenförmige Veränderung am freien oberen Ohrmuschelrand ist deutlich sichtbar. (Abb. 3)

Zoster Oticus

Zoster Oticus Infektionen gelten besonders durch den Mitbefall wichtigster Hirnnerven als wichtiges klinisches Alarmsignal. Defektheilungen und lange Krankheitsverläufe sind von vornherein erkennbar. Eine scharfe segmentale Ausbreitung im Bereich der Ohrmuschel ist nur im Frühstadium zu erkennen. Der HNO-Arzt sieht dieses Krankheitsbild in der Regel erst, wenn Komplikationen von Seiten der Hirnnerven aufgetreten sind (Abb.4).

Lymphozytom des Ohrläppchens

Das Lymphozytom Herxheimer ist geprägt durch eine oft nur einseitige schmerzarme tiefrote Schwellung des Ohrläppchens. Dieser wichtige differentialdiagnostische Hinweis führt zur Erkennung einer Borreliose im Stadium II (Abb. 5).

Othämatom

Als typische Verletzung der Ohrmuschel gilt das Othämatom. Unbehandelt führt es zur Deformierung der Ohrmuschel als so genanntes Blumenkohlohr. Ein stumpfes Trauma mit tangentialen Scherkräften gilt als auslösender Faktor. Nicht nur mit dem Begriff Catcher-Ohr werden auslösende Traumen bei Sportarten wie Ringen und Boxen bei Othämatomen charakterisiert. Häufig sehen wir in unserer Praxis Patienten mit chronischen Verlaufsformen. Die HNOärztliche Betreuung von großen Behinderten-Einrichtungen erklärt die Häufigkeit des Auftretens. Hier gehören rezidivierende Verlaufsformen durch ein stereotypes Reiben an der Ohrmuschel bei verhaltensgestörten Patienten zu einem häufig vorkommenden Krankheitsbild. Es überwiegen die chronischen Formen mit serösem Inhalt bei der Punktion oder Inzision (Abb.6).

Acrocyanose

Als selten gilt eine beiderseitig ausgeprägte Ohrmuschelveränderung mit oberflächigen Hämatomverfärbungen, die schmerzlos in Abständen von mehreren Monaten auftreten. Die Ursache ist hier nicht in einem Trauma oder einer Gerinnungsstörung zu suchen. Dieses Krankheitsbild gehört in den Formenkreis der Acrocyanose (Abb. 7).

Insektenstiche

Die Ohrmuschel kann auf Insektenstiche mit starken, bullösen Exanthemen reagieren (Abb. 8).

Piercing

Durch nicht lege artis ausgeführtes Piercing werden zunehmend Mini-Keloide im Ohrmuschelrandbereich beobachtet. Bekannter ist jedoch besonders die Ohrläppchenregion als Reaktionsort bei einer klassischen Nickelallergie durch Modeschmuck (Abb. 9 und 10).

Erkrankungen des Gehörgangs Ekzeme und Psoriasis

Neben den bekannten Entzündungsformen wieGehörgangsfurunkelunddiffuse Gehörgangsentzündungmit dem bekannten Erregerspektrum sind verschieden ausgeprägte Ekzemformen im Gehörgangsbereich angesiedelt. Während im Bereich der Ohrmuschel das Ekzem vorwiegend in der retroaurikulären Falte auftritt, stellt auch der Gehörgangseingang eine typische Lokalisation von Ekzemerkrankungen dar. Die Erscheinungsformen sind außerordentlich vielfältig. Sie reichen vom irritativen Kontaktekzem über seborrhoische Formen bis zu xanthelasmenähnlichen Veränderungen der Gehörgangshaut als Folgezustand langjähriger Ekzematisierung in diesem Bereich (Abb. 11). Während dasallergische Kontaktekzemerst nach Sensibilisierung mit einem Allergen auftritt und außerhalb des direkten Allergenkontaktes streuen kann, entsteht das irritativ-toxische Kontaktekzem sofort. Die Ausbreitung bleibt auf die direkte Kontakt-Lokalisation beschränkt. Abgegrenzt vom Ekzem wird diePsoriasis, auch wenn bei anderer Ursache das klinische Entscheidungsbild ähnlich erscheint. Die Abbildung 12 zeigt eine typische Psoriasisausbreitung. Hier sind die silberfarbene Schuppung und das so genannte Phänomen des letzten Häutchens nachweisbar, dabei können kleinflächige durchsichtige Hautschichtungen abgezogen werden. Darunter tauchen punktförmige Blutungen auf.

Otomykosen

Da die „banale“Otitis externawegen des zugeschwollenen Gehörgangs bildmäßig nicht viel hergibt, sind Otomykosen vom Stufenbild her eindrucksvoller.

Pilzinfektionendes Ohres sind vorwiegend Erkrankungen des äußeren Gehörgangs und der Trommelfelloberfläche. Ein Übergreifen einer mykotischen Gehörgangsinfektion auf das Mittelohr bei defektem Trommelfell, bei chronischer Otitis media oder einer infizierten Ohrradikalhöhle ist möglich. Auch wurde als Rarität ein Pilzbefall des Innenbeziehungsweise des Mittelohres bei intaktem Trommelfell beschrieben. 1989 wurde im Schrifttum die Ohrmykose mit etwa 20 Prozent Häufigkeit bei den Gehörgangsinfektionen angegeben. Diese Zahl ist aufgrund der klinischen Erfahrungen im letzten Jahrzehnt auf geschätzte 50 bis 60 Prozent angestiegen. Die breite, teilweise unkontrollierte Anwendung von Antibiotika, Steroiden und Chemotherapeutika sowie die Zunahme von Erkrankungen des Immunsystems haben sicher zum Anstieg von Pilzinfektionen in dieser Region geführt.

Gute Voraussetzungen für Wachstum und Vermehrung der Schimmelpilze sind bei Epithelläsionen des Gehörgangs, Feuchtigkeit und Wärme vorhanden. Zu den begünstigenden Faktoren gehören besonders wiederholte Mikrotraumen durch häufige Selbstreinigungen, zum Beispiel mit dem Wattestäbchen (siehe Abbildung 13). Häufig gehen auchGehörgangsekzeme,Badeotitidenund länger dauerndeOtorhoen

voraus. Eine Übertragung ist auch durch kontaminierte Instrumente, wie Stethoskope oder Ohrpassstücke von Hörgeräten, möglich. Begünstigend wirken zusätzlich enge Gehörgänge und Ohrradikalhöhlen mit engen separierten Buchten. Auch die wahllose Anwendung von antibiotika- und cortisonhaltigen Ohrentropfen fördert sowohl die Entstehung, als auch das Wachstum der Pilze. Von Entstehungsweise, Art, Dauer und Ausmaß der Pilzinfektion hängt das klinische Erscheinungsbild ab:

Stadium 1:

Die ersten Pilzplaques sind sehr oft im Bereich des hinteren oberen Trommelfellrahmens zu beobachten. Hier entstehen die häufigen Epithelläsionen durch allzu drastische Selbstreinigungen. Der Pilz siedelt sich in Form von umschriebenen Drusen an. Otoskopisch findet sich das Bild einer granulierenden Myringitis (Abb. 14).

Stadium 2:

Trockene, weißlich-graue, manchmal auch braune Pilzbeläge breiten sich vom Trommelfellrahmen fahnenartig auf den oberen Gehörgang meatuswärts aus. Watteähnliche Auflagerungen mit deutlich sichtbaren Hyphen bedecken bei einem weiteren Wachstum die vorher noch flachen Pilzbeläge (Abb. 15).

Stadium 3:

Feuchte grau-bräunliche Myzelmatten führen zu einer Mazerierung der Epidermis, die Gehörgangshaut erscheint verschwollen (Abb. 16).

Stadium 4:

Pilzmatten, bestehend aus dichten Massen von Hyphen und Sporen, obturieren den Gehörgang. Es beginnt eine seröse, manchmal auch blutig-eitrige Sekretion (Abb. 17).

Breitet sich die Infektion mehr in Richtung Trommelfell aus, kommt es zu Epithelläsionen mit Granulations- und Polypenbildung (granulierende Myringitis). Auch das Übergreifen der Pilzinfektion auf die Ohrmuschelhaut ist in seltenen Fällen möglich.

Leitsymptome einer Ohrmykose

Folgende Leitsymptome einer Ohrmykose sind typisch:

• Juckreiz mit einem überlagerten „Kratzbedürfnis“

• Sekretion

• „Watte“-gefühl, besonders bei Bewegung des Unterkiefers

• Hörstörung

• Ohrensausen durch Obstruktion

• Schmerzen sind eher selten und deuten dabei auf eine bakterielle Superinfektion hin.

Dr. Dieter LeithäuserFacharzt für HNOBurggraben 4734414 Warburg

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