Fortbildungsteil 2/2004

Medikamentöse Therapie bei craniomandibulären Dysfunktionen

Zu den craniomandibulären Dysfunktionen (CMD), international auch Temporomandibuläre Dysfunktionen (TMD) genannt, zählen im engeren Sinne Erkrankungen der Kaumuskulatur und der Kiefergelenke. Darüber hinaus können aber auch Strukturen wie Zähne, Parodontien und auch Nerven beteiligt sein. Sie stellen unter den chronischen Schmerzen im Gesichtsbereich einen großen Anteil dar [Türp, 2000]. Neben der Aufklärung, einer vom Patienten durchgeführten Selbstbeobachtung zur Reduktion von Parafunktionen und der Physiotherapie ist die Aufbissschienentherapie sicherlich die dem Zahnarzt am vertrauteste Therapieform. Eine medikamentöse Therapie craniomandibulärer Dysfunktionen wird hingegen oftmals nur sehr zurückhaltend eingesetzt. Obwohl sie in den meisten Fällen nur Teil eines Therapie-Gesamtkonzeptes sein kann, bietet sie Möglichkeiten, die Schmerzepisoden des Patienten erträglicher zu machen oder zu verkürzen. Da eine medikamentöse Therapie nicht ohne Risiko ist, sollte der verordnende Therapeut vor dem Einsatz eines entsprechenden Medikamentes über die jeweilig einzusetzenden Wirkstoffe gut informiert sein [Arzneimittelkommission Zahnärzte der BZÄK / KZBV 2000].

Zum Einsatz kommen sollten sowohl aus wissenschaftlichen, ethischen sowie in Anbetracht der enormen Belastungen des Gesundheitssystems auch aus Kostengründen Medikamente, deren Wirkprinzip bekannt ist und deren Wirkung wissenschaftlich nachgewiesen ist. Jedoch ist dies insbesondere im Bereich der craniomandibulären Dysfunktionen leider nur für wenige Medikamente der Fall [Dionne, 1997; Sommer, 2002; List, 2003]. Nur wenige der oftmals seit Jahrzehnten eingesetzten und empirisch auch gut wirksamen Medikamente sind in guten kontrollierten klinischen Studien untersucht worden. Auch ist über die genaue Wirkungsweise oft sehr wenig bekannt. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass sie deswegen unwirksam sind.

Voraussetzungen

Um medikamentös bedingte Komplikationen vermeiden zu können, ist das Erheben einer allgemeinmedizinischen Anamnese unter Berücksichtigung der aktuellen Medikation von großer Bedeutung. Da ein lückenloses Wissen über allgemeinmedizinische Erkrankungen unrealistisch ist, ferner nicht alle Patienten vollständig über ihre Erkrankungen berichten können, ist in vielen Fällen schon aus diesem Grund eine interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig, um weitere Informationen über den Patienten zu erhalten. Die Auswahl des Präparats sollte immer gezielt in Anlehnung an die Erkrankungssymptome, oder falls möglich, an die Ursache erfolgen (Tab.1). Hierdurch kann die Wirkung eines Medikamentes effektiver genutzt werden. Um eine gute Mitarbeit des Patienten zu erreichen, sollte er über mögliche, häufigere Nebenwirkungen vor der ersten Einnahme aufgeklärt werden, so dass diese gegebenenfalls nicht unerwartet für ihn auftreten. Hierbei ist zu beachten, dass der Patient schon aus forensischen Gründen über mögliche unerwünschte Wirkungen informiert werden muss.

Bei Benzodiazepinen ist darüber hinaus auch die Möglichkeit einer körperlichen und psychischen Abhängigkeit gegeben. Sie sollten deswegen nur nach genauer Anamnese, strenger Indikationsstellung und nur kurzfristig zum Einsatz kommen. Um die Möglichkeit unerwünschter Wirkungen zu minimieren, empfiehlt es sich für viele Medikamente, die Dosis langsam zu steigern. Um eine möglichst optimale Dosierung für den Patienten einzustellen, muss eine genaue und wiederholte Überprüfung der Analgesie unter Berücksichtigung der unerwünschten Wirkungen erfolgen. Dies kann am Anfang einer Behandlung bedeuten, dass der Patient wöchentlich oder auch häufiger einbestellt werden muss, um die Dosis nach der subjektiven Einschätzung des Patienten, zum Beispiel mittels einer Visuellen Analog Skala (VAS), gegebenenfalls zu adjustieren. Hierbei müssen sowohl interwie auch intraindividuelle Wirkungsunterschiede beachtet werden, da nicht jedes Medikament bei jedem Patienten in gleicher Weise wirkt. Aber auch um die Notwendigkeit eines Präparats und die Höhe der Dosierung nach einer bestimmten Zeit zu überprüfen, sind Kontrollen erforderlich. Um einen häufigen Grund für Therapiemisserfolge zu vermeiden, sollte ein einmal eingesetztes Medikament, so es mögliche Nebenwirkungen zulassen, ausreichend lange und auch in ausreichend hohen Dosierungen verwendet werden, bevor die Therapie abgebrochen wird, oder bevor zu einem anderem Mittel gegriffen wird [Tabelle 1].

Medikamente bei CMD

• Analgetika

• nonsteroidale Antirheumatika (systemisch und topisch)

• Muskelrelaxantia

• Trizyklische Antidepressiva

• Bestimmte Antikonvulsiva

• Schlaffördernde Medikamente

• Benzodiazepine

Indikationen

• Arthropathien, wie Osteoarthrose, anteriore Diskusverlagerungen, strukturelle Veränderungen der Gelenkoberflächen

• Myopathien, wie protektive Muskel-Co-Kontraktion, lokale Myalgien, myofasziale Schmerzen, Muskelkrämpfe

• Neuropathien, wie chronische, posttraumatische neuropathische Schmerzen, im Rahmen viraler neuropathischer Schmerzen, wie Herpes simplex, beziehungsweise Herpes zoster, Mundbrennen, atypische Odontalgie

• Entzündungen, wie Capsulitis, traumatischer Gelenkerguss

• Chronische Schmerzen und damit sehr häufig verbundene

• Schlafstörungen

Analgetika

Zu den am häufigsten verordneten Medikamenten gehören Analgetika. Ihr Ziel ist meist eine Reduktion der Schmerzen auf ein für den Patienten erträgliches Niveau zu erreichen, oder die Einleitung anderer therapeutischer Maßnahmen, beispielsweise Physiotherapie, erst zu ermöglichen. Der Einsatz dieser Medikamente sollte in Anlehnung an die Empfehlung der World Health Organization (WHO) erfolgen (Abb.1), die ein stufenweises Vorgehen, von Nicht-Opioiden über schwache Opioide mit oder ohne zusätzliche nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) bis hin zu starken Opioiden beschreibt [World Health Organization 1986]. Generell sollte nicht mehr zwischen „peripher wirksamen“ und „zentral wirksamen“ Stoffen unterschieden werden, da sowohl für Nicht-Opioid-, wie auch Opioid-Analgetika periphere und zentrale Angriffsstellen gefunden wurden [Pleuvry & Lauretti, 1996; Urquhart, 1993].

Nichtsaure antipyretische Analgetika

Die in dieser Gruppe zu findenden Wirkstoffe zeichnen sich durch analgetische und antipyretische Eigenschaften aus. Ihre Indikationsgebiete sind hauptsächlich leichte bis mäßig starke, akute Schmerzen. Häufig verwendete Analgetika dieser Gruppe sind Paracetamol und Metamizol. Ersteres eignet sich zur Behandlung leichter Schmerzen, besitzt jedoch praktisch keine nutzbaren, antiphlogistischen Eigenschaften. Es ist darüber hinaus, nach genauer Abwägung des Nutzen/Risiko-Verhältnisses und in Ansprache mit dem Gynäkologen, oftmals die einzige Möglichkeit einer medikamentösen Schmerzbehandlung während der Schwangerschaft und Stillzeit [Haas, 2002]. Für stärkere Schmerzen ist es in der Regel ungeeignet [Haas, 2002]. Die Analgesie durch Metamizol ist ausgeprägter als bei Paracetamol und es besitzt außerdem spasmolytische Eigenschaften [Edwards et al., 2003]. Die Häufigkeit einer möglichen Agranulozytose wird mit bis zu 1:1431 beschrieben [Hedenmalm & Spigset, 2002]. In Anbetracht der Schwere dieser Komplikationen sollte der Einsatz darauf beschränkt bleiben, wenn andere Analgetika nicht verwendbar sind.

Saure antipyretische Analgetika

Nonsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind Wirkstoffe, die sich zwar in ihrer chemischen Struktur unterscheiden, in ihren pharmakologischen Eigenschaften jedoch sehr ähnlich sind. Ihre Wirkungsweise beruht im Wesentlichen auf der Hemmung der Isoenzyme Cyclooxygenase (COX) 1 und 2 [Amadio, 1993; Pleuvry & Lauretti, 1996]. Auf diese Weise wird die Produktion verschiedener Prostaglandine, die neben anderen ein wesentlicher Faktor in der Entzündungsentstehung sind, stark reduziert. Die Indikation dieser Präparate sind leichte bis mäßige, akute Schmerzen, insbesondere dann, wenn, wie beispielsweise bei einer Capsulitis, eine Entzündung als Ursache angenommen werden kann. Ibuprofen, Naproxen, Diclofenac oder Meloxicam scheinen bei vergleichbarer Wirkung verträglicher zu sein als Acetylsalicylsäure. Darüber hinaus hemmen diese nicht wie Salicylate irreversibel die Wirkung des Vitamin K und haben aus diesem Grund einen geringeren Einfluss auf die Blutgerinnung. Ihr übriges Nebenwirkungsprofil gleicht aber im Wesentlichen dem der Salicylate, insbesondere mit der Gefahr von Gastritiden, Magenschleimhautulzerationen und -blutungen, sowie einer Minderdurchblutung des Nierenmarks, der Erhöhung des Atemwiderstandes und einer Wasserretention bei längerer Anwendung. Diese Eigenschaften machen sie für eine langfristige Anwendung, insbesondere bei chronischen Schmerzen, weitestgehend ungeeignet. Hierbei konnte keine signifikant bessere Wirkung gegenüber Placebo gezeigt werden. NSAR dürfen nicht in der Schwangerschaft, insbesondere nicht im dritten Trimenon, verabreicht werden, da sie über die Reduktion der Prostaglandinbildung die Wehentätigkeit hemmen und zusammen mit der verstärkten Blutungsneigung zu Komplikationen während der Geburt führen können [Haas, 2002].

COX-2 Inhibitoren

Als Konsequenz aus den häufig beobachteten und zum Teil schweren Magen-Darm-Komplikationen der klassischen NSAR wurde diese neue Gruppe von Medikamenten entwickelt [Bolton, 1998, Emery et al., 1999]. Die an Entzündungen und Schmerzen maßgeblich beteiligten Prostaglandine werden durch die zwei Isoformen der Cyclooxygenase COX-1 und COX-2 aus Arachidonsäure produziert. Sie sind aber überdies auch an der Regulation wichtiger, normaler Körperfunktionen, zum Beispiel dem Schutz der Magenschleimhaut, beteiligt. Während der konstitutiv exprimierten COX-1 hauptsächlich letztere Funktionen zugeschrieben werden, wird die COX-2 vorwiegend in entzündetem Gewebe produziert [Bolton, 1998]. Die Wirkung der so genannten COX-2 Inhibitoren, wie Celecoxib und Rofecoxib, setzt hier an. Sie besitzen daher einen vergleichbaren, antiphlogistischen Effekt wie die herkömmlichen NSAR, bei allerdings signifikant weniger gastrointestinalen Nebenwirkungen [Emery et al., 1999]. Ihre Anwendungsgebiete sind daher grundsätzlich dieselben wie bei NSAR. Jedoch eignen sie sich bei chronischen Erkrankungen, beispielsweise Polyarthritis oder chronischen Verlaufsformen, besser für eine Langzeitanwendung. Trotzdem muss vor allem bei Langzeitanwendungen auch bei diesen Medikamenten mit unerwünschten Wirkungen, wie sie die NSAR zeigen, insbesondere renalen und gastrointestinalen Erkrankungen, gerechnet werden.

Nicht-Opioid-Analgetika (mit muskelrelaxierenden Eigenschaften)

Innerhalb der craniomandibulären Dysfunktionen machen myogene Schmerzen, wie akute lokale Myalgien, oder auch chronische Formen, wie myofasziale Schmerzen mit Schmerzübertragungsphänomenen, einen großen Teil aus. Wirkstoffe, die muskelrelaxierende Eigenschaften haben, scheinen aus diesem Grund hierfür besonders geeignet zu sein, auch wenn eine Erhöhung des Muskeltonus nicht allein für Muskelschmerzen verantwortlich zu sein scheint [Mense, 1993; Simons & Mense, 2003]. So eignet sich der Wirkstoff Flupirtin (Katadolon®, Trancopal Dolo®) als mittelstarkes Analgetikum mit muskelrelaxierenden Eigenschaften [Göbel et al., 1999; Wörz et al., 1996] insbesondere für diese Gruppe der CMD. Neben der analgetischen und muskelrelaxierenden Eigenschaften wird Flupirtin auch die Eigenschaft zugesprochen, einer Schmerzchronifizierung entgegenwirken zu können [Göbel et al., 1999; Osborne et al., 1998]. Es besitzt kein Abhängigkeitspotential und ein gutes Verhältnis von Nutzen zu Nebenwirkungen. Es kann aufgrund seiner Charakteristik als Analgetikum der ersten Wahl bei lokalen Myalgien oder myofaszialen Schmerzen angesehen werden.

Opioid-Analgetika

Im Bereich der craniomandibulären Dysfunktionen werden selten starke und stärkste Schmerzen angetroffen. Aus diesem Grund sind Opioid-Analgetika nur selten indiziert [Okeson, 1998]. Die häufig genannten Vorurteile eines großen psychischen Abhängigkeitspotentiales, also einer Suchtgefahr, und einer schnellen Toleranzentwicklung konnten bei chronischen Schmerzpatienten nicht bestätigt werden [Müller-Schwefe, 1998]. Sollte ihr Einsatz, insbesondere bei chronischen und therapieresistenten Schmerzen, notwendig werden, müssen dennoch besondere Grundregeln beachtet werden [Müller-Schwefe, 1998]. Es entsteht eine körperliche Abhängigkeit von der entsprechenden Substanz, die jedoch durch eine langsame Reduktion der täglichen Dosis wieder abgebaut werden kann [Müller-Schwefe, 1998]. Dieser Umstand sollte vom verordnenden Therapeuten berücksichtigt werden und der Patient darüber aufgeklärt sein, dass ein abruptes Absetzen vermieden werden muss. Überdies sollte eine Verschreibung nur nach sorgfältiger Anamnese, insbesondere auch hinsichtlich des früheren Medikamentenverhaltens des Patienten und gegebenenfalls nach Rücksprache mit dem Hausarzt und einer Evaluation durch einen Psychologen, erfolgen.

Schwache Opioid-Analgetika

Zu den schwachen Opioiden gehören Codein, dass auch in Kombinationen mit Paracetamol erhältlich ist, Tramadol, welches neben seiner Affinität zum μ-Opioid-Rezeptor, zusätzlich das serotoninerge, körpereigene Schmerzhemmsystem beeinflusst [Gillen et al., 2000; Gobbi, Mennini, 1999], sowie Tilidin, das in Deutschland nur in Kombination mit Naloxon erhältlich ist. Sie sind einfach rezeptpflichtig (bei Codein in Abhängigkeit zur Dosierung und verschriebenen Menge) und benötigen daher keine speziellen Betäubungsmittelrezepte. Diese Medikamente haben ihren Indikationsbereich bei mittleren bis starken Schmerzen, insbesondere bei Patienten mit chronischen Schmerzen bei denen ein längerfristiger Einsatz notwendig ist. Um einen möglichst gleichmäßigen Wirkspiegel zu erreichen, sind Retard-Präparate mit langsamer, kontrollierter Wirkstoffabgabe vorzuziehen. Dies verhindert auch einen permanenten Wechsel zwischen kurzzeitiger schneller Wirkstoffanflutung mit entsprechenden Nebenwirkungen und eventuellen Entzugserscheinungen. Die häufigste Limitation des Einsatzes dieser Wirkstoffe sind nicht tolerierbare Nebenwirkungen, wie Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Sedierung oder Atemdepression. Sie sind individuell unterschiedlich ausgeprägt und können häufig durch Begleitmedikation oder im Falle der Obstipation auch durch Ernährungsänderungen gelindert werden [Müller-Schwefe, 1998]. Starke Opioide, wie Morphin oder Oxycodon sind nur in den seltensten Fällen notwendig und sollten von einem in der Behandlung mit Opioid-Analgetika speziell geschulten Arzt verschrieben werden (wie Schmerztherapeut).

Trizyklische Antidepressiva

Trizyklische Antidepressiva sind Medikamente, bei denen schon kurz nach ihrer Entdeckung bekannt wurde, dass sie neben ihren antidepressiven Eigenschaften auch Schmerzen positiv beeinflussen können [Paoli, 1960]. Dabei konnte der anfänglichen Vermutung, die Wirkung könne allein darauf beruhen, dass die Depression der Patienten behandelt wurde, schon früh entgegengetreten werden [Max et al., 1987; Turkington, 1980; Watson, 1994]. Obwohl ihre Wirksamkeit sowohl bei chronischen, neuropathischen Schmerzen, atypischem Gesichtsschmerz wie auch craniomandibulären Dysfunktionen als gesichert gelten kann [Feinmann, 1993; McQuay et al., 1996; Onghena & Van Houdenhove, 1992; Plesh et al., 2000; Sharav et al., 1987], ist ihr genauer Wirkmechanismus noch immer unbekannt [Sindrup & Jensen, 2001]. Eine bedeutende Rolle scheint die Hemmung der Wiederaufnahme der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin im körpereigenen, absteigenden Schmerzhemmsystem zu spielen [Max, 1994]. Daneben wird vermutet, dass auch Wirkungen an Opioid-, NMDA- und weiteren Rezeptoren, sowie Na+- und Ca2+-Kanälen eine Rolle spielen [Max, 1994; Sindrup & Jensen, 2001]. Trizyklische Antidepressiva sind insbesondere bei chronischen Schmerzzuständen, atypischer Odontalgie, atypischem Gesichtsschmerz, aber unter bestimmten Umständen eventuell auch zur kurzzeitigen Schlafverbesserung indiziert [Arnold et al., 2000; Bailey, 1997; Hajak et al., 2001; Moldofsky, 2001; O’Malley et al., 2000]. Dabei wird in den meisten Fällen keine völlige Schmerzausschaltung, sondern eine Linderung erreicht. Typische Vertreter sind Amitriptylin, Nortriptylin oder Desipramin. Vor ihrem Einsatz müssen Kontraindikationen, zum Beispiel Herzrhythmusstörungen, Prostatahypertrophie, neurologische Krampfanfälle und weitere, gegebenenfalls in Absprache mit dem Hausarzt ausgeschlossen werden. Es empfiehlt sich insbesondere bei dieser Medikamentengruppe Patienten über anfängliche, aber meist vorübergehende Nebenwirkungen, wie Müdigkeit, Benommenheit und Schwindel, aufzuklären, um eine verbesserte Compliance zu erreichen. Darüber hinaus sollte die Anfangsdosierung zunächst niedrig gewählt und gegebenenfalls langsam gesteigert werden, um so bei ausreichender Schmerzlinderung Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten. Letztlich muss angemerkt werden, dass eine Überdosierung zum Beispiel in suizidaler Absicht, unter Umständen zu lebensbedrohlichen Zuständen führen kann [Hollister, 1995].

Muskelrelaxantia

Schmerzen, die von der Muskulatur ausgehen, gehören zu den am häufigsten geschilderten Beschwerden im Bereich der CMD [Okeson, 1995]. Aus diesem Grund ist es verständlich, dass vielfach Muskelrelaxantia eingesetzt werden. Es wird vermutet, dass zentrale Muskelrelaxantia hauptsächlich die Erregungsübertragung polysynaptischer Reflexe im Rückenmark, bei höheren Dosierungen eventuell auch monosynaptische Reflexe, hemmen und so reflektorisch einen erhöhten Muskeltonus senken könnten. Tatsächlich ist der genaue Mechanismus nicht bekannt. Wie oben bereits angeführt, scheint zudem eine Erhöhung des Muskeltonus nicht allein für Muskelschmerzen verantwortlich zu sein. Es wird auch diskutiert, ob der für alle Muskelrelaxantia typische, sedierende Effekt für die resultierende Abnahme an neuronaler Aktivität verantwortlich ist [Waldman, 1994]. Typische unerwünschte Wirkungen sind unter anderen Müdigkeit, Schwindel, Sehstörungen und Irritation des Magen-Darm-Traktes. Jedoch werden auch Missbrauch und Abhängigkeit beschrieben, dies gilt insbesondere für Vertreter der Benzodiazepin-Gruppe. Typische Vertreter für Muskelrelaxantia sind Methocarbamol, Tizanidin oder Benzodiazepine, wie Tetrazepam. Tolperison (Mydocalm®) scheint über einen anderen Mechanismus zu wirken. Gegenwärtig wird angenommen, dass es die Permeabilität spezifischer Na+-Kanäle von Neuronen reduziert, aber auch Einflüsse auf die Kaliumkanäle dieser schmerzleitenden Fasern vom Muskel zum Rückenmark hat [Hinck & Koppenhofer, 2001]. Auf diese Weise wird die Erregungsübertragung gehemmt, was reflektorisch eine Senkung des Muskeltonus bewirken soll. Eine Beeinträchtigung des Patienten hinsichtlich Müdigkeit tritt praktisch nicht auf [Dulin et al., 1998] und auch weitere unerwünschte Wirkungen, wie Magen-Darm-Probleme, sind selten [Pratzel et al., 1996].

Schlaffördernde Medikamente

In der Literatur wird sehr häufig, insbesondere bei Patienten mit chronischen Schmerzen, ein Zusammenhang zwischen Schlafstörungen und craniomandibulären Störungen, beziehungsweise orofazialen Schmerzen beschrieben [Bailey, 1997; Fußnegger, 2000; Lavigne et al., 1999; Locker & Grushka, 1987; Moldofsky, 2001; Okeson, 1995; Yatani et al., 2002]. Gleichwohl ist bis heute unklar, inwiefern eine unmittelbare Beziehung existiert, das heißt, ob Schlafstörungen Schmerzen hervorrufen können oder umgekehrt. Dennoch erscheint es logisch, dass neben psychologischen Verfahren zumindest initial versucht wird, den Schlaf durch Medikamente zu verbessern. Aber auch hier besteht in der Literatur keine Einigkeit, ob dies zuverlässig möglich ist. So besitzen beispielsweise Benzodiazepine neben der hierbei gewünschten sedierenden, auch zum Teil ausgeprägte psychotrope Eigenschaften, die die Schmerzempfindung stark beeinflussen können. Grundsätzlich sollte bei bestehenden Schlafstörungen, gegebenenfalls interdisziplinär versucht werden, mögliche Ursachen von vorneherein auszuschalten, bevor Medikamente eingesetzt werden. Vor ihrem Einsatz sollte außerdem klar sein, ob der Patient unter Einschlafund/ oder Durchschlafstörungen leidet. Danach richtet sich, ob eher kurz oder länger wirksame Wirkstoffe zum Einsatz kommen. Da Barbiturate und ähnliche Wirkstoffe ein erhebliches Missbrauchspotential und Risiko der Überdosierung besitzen [Estler, 1993; Pagel, 2001], soll im Weiteren nur auf Benzodiazepine und neue Hypnotika eingegangen werden.

Benzodiazepine

In dieser Gruppe können Substanzen mit unterschiedlicher Wirkungsstärke, -profil und Wirkdauer unterschieden werden. So eignen sich bestimmte Substanzen eher zur Behandlung von Muskelverspannungen, andere zur Behandlung von Erregungszuständen und wiederum andere zur symptomatischen Behandlung von Schlafstörungen. In aller Regel empfiehlt es sich, eher kurz wirksame Präparate zu verwenden, um mögliche Überhangsymptome und eine damit verbundene Vigilanzverminderung am nächsten Tag zu reduzieren. Weiterhin kann sich bei zum Teil sehr lange wirksamen Substanzen, wie Diazepam, insbesondere bei älteren Menschen ein additiver Effekt mit deutlich erhöhten Wirkspiegeln durch aufeinander folgende Dosen ergeben. Benzodiazepine binden an spezifische Benzodiazepinrezeptoren in verschiedenen Hirnarealen, hauptsächlich des limbischen Systems, was ihre psychotrope Wirkung erklärt. Vertreter der kurz wirksamen Substanzen sind Triazolam und Alprazolam, mittellang wirksam sind Oxazepam oder Lorazepam und lang wirksam sind beispielsweise Diazepam oder Chlordiazepoxid. Als wichtigste unerwünschte Wirkungen nach längerer Einnahme sind körperliche und psychische Abhängigkeit mit entsprechenden Entzugserscheinungen bei kurzfristigem Absetzen zu nennen. Hierbei stellt sich auch eine Toleranz, das heißt eine Abnahme der Wirkstärke pro Dosis, ein. Deswegen sollten Benzodiazepine grundsätzlich nur über einen kurzen Zeitraum gegeben werden.

Nicht-Benzodiazepine

Um die oben genannten unerwünschten Wirkungen, wie Abhängigkeit und Toleranzentwicklung zum einen und Tagesmüdigkeit zum anderen, zu vermeiden, wurden neue Substanzen entwickelt, die an Untereinheiten bestimmter Benzodiazepin-Rezeptoren (BZ1/ù1-Rezeptor) binden [Sanna et al., 2002]. Hierzu gehören Zolpidem, Zopiclon und das noch kürzer wirksame Zaleplon [Balogh, 2001]. Sie zeichnen sich durch eine deutlich kürzere Halbwertzeit aus und dienen damit hauptsächlich der Behandlung von Einschlafstörungen. Ihre unerwünschten Wirkungen sind ähnlich wie bei Benzodiazepinen, allerdings in geringerem Umfang. Ob nach längerer Einnahme eine körperliche Abhängigkeit wie bei Benzodiazepinen entsteht, wird unterschiedlich bewertet [Smith et al., 2002].

Neuropathische Schmerzen und ihre Medikation

Zu craniomandibulären Dysfunktionen werden im engeren Sinne nur muskuloskelettale Erkrankungen gezählt. Tatsächlich kommen aber in diesem Bereich und damit im Rahmen der zahnärztlichen Funktionsdiagnostik und -therapie auch neuropathische Schmerzen verschiedener Genese vor [Okeson, 1996; Rees & Harris, 1978; Türp, 2001].

Episodische neuropathische Schmerzen wie Trigeminus- oder Glossopharyngeusneuralgien müssen von Neurologen und gegebenenfalls Neurochirurgen behandelt werden. In vielen Fällen gilt dies auch für zum Beispiel viral bedingte Neuropathien wie Herpes zoster.

Chronische, posttraumatische neuropathische Schmerzen, wie sie etwa nach Nervenverletzungen nach zahnärztlichoperativen Eingriffen, aber auch nach Unfällen, vorkommen, können durchaus vom entsprechend weitergebildeten Zahnarzt, gegebenenfalls auch in Zusammenarbeit mit einem Neurologen, behandelt werden. Neben den bereits beschriebenen trizyklischen Antidepressiva hat sich vor allem Gabapentin in Studien als wirksames Medikament mit einem relativ günstigen Wirkung-Nebenwirkungsprofil gezeigt [Backonja & Glanzman, 2003; Mellegers et al., 2001]. Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen wird empfohlen, die Therapie, nach Ausschluss möglicher Kontraindikationen mit einem trizyklischen Antidepressivum, beispielsweise Amitriptylin, in niedriger Dosierung zu beginnen und langsam in Abhängigkeit zum Therapieeffekt und unerwünschter Wirkungen die Dosis langsam zu steigern. Bei vorliegenden Kontraindikationen gegenüber Trizyklika oder bei allein nicht ausreichender Wirkung kann Gabapentin eingesetzt/hinzugefügt werden [Sindrup & Jensen, 2001; Backonja, 2001]. Auch dieses sollte einschleichend unter Berücksichtigung des Therapieeffektes und möglicher unerwünschter Wirkungen langsam erhöht werden.

Topisch anwendbare Medikamente

Neben der beschriebenen oralen Verabreichung von Medikamenten wird auch die lokale Applikation von Medikamenten beschrieben. Bei akuten und chronischen muskuloskelettalen Erkrankungen werden hauptsächlich Salben und Cremes mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), wie Ketoprofen, Ibuprofen, Piroxicam und Diclofenac, beschrieben. Ihre Wirkung ist in zahlreichen Studien im allgemeinmedizinischen Bereich gut belegt [Moore et al., 1998; Svensson et al., 1997]. Wenn die erkrankten Areale gut zugänglich sind, stellt diese Anwendungsform eine gute und sichere Alternative zur oralen, systemischen Gabe dar, da aufgrund der sehr viel geringeren Plasmakonzentration die Nebenwirkungsrate auf Placeboniveau liegt. Ihre Wirkung scheint jedoch im Vergleich zur systemischen Verabreichung nicht schlechter zu sein. Insbesondere bei Patienten mit Magen-Darm-Beschwerden (Gastritis, Ulcus, und mehr) können topisch angewandte NSAR eine unterstützende Maßnahme bei der Behandlung von CMD sein. Bei neuropathischen Schmerzen werden unterschiedliche Wirksubstanzen eingesetzt. Lokalanästhetika, wie Benzocain und Lidocain, sollen periphere, schmerzauslösende Areale betäuben und damit einerseits direkt Schmerzen lindern, aber andererseits auch zu einer Reduzierung der peripheren, neuronalen Sensibilisierung führen [Padilla et al., 2000]. Auf dem deutschen Markt sind hierfür Salben wie Dynexan®erhältlich. Im Bereich der neuropathischen Schmerzen stellt die Anwendung des scharfen Bestandteils der Chilischote, das Neuropeptid Capsaicin, eine weitere Möglichkeit dar. Dieses wirkt direkt an einem Rezeptor der freien Nervendigungen von schmerzleitenden C-Fasern, der ansonsten durch Wärme geöffnet wird [Clapham, 1997; Szallasi & Blumberg, 1996]. Dadurch kommt es anfänglich zu einem starken Brenngefühl. Mit zunehmender Anwendungsdauer lässt dieses jedoch nach, was einerseits mit einer verminderten Funktion der freien Nervenendigungen, andererseits mit einer kompletten Ausschüttung des zentralen Neurotransmitters erklärt wird [Clapham, 1997; Watson, 1994]. Eine Anwendung sollte immer über mindestens vier bis sechs Wochen erfolgen, wobei die Salbe vier bis fünf Mal pro Tag auf den schmerzhaften Bereich aufgetragen werden sollte [Watson, 1994]. Damit die Substanz am gewünschten Ort verbleibt und länger einwirken kann, ist meist eine Anwendung mittels einer Schiene als Medikamententräger sinnvoll. Wird die Behandlung unterbrochen, kehren die Schmerzen jedoch in der Regel nach einer gewissen Zeit zurück. Capsaicin muss in der Apotheke in einer 0,025 bis 0,075 Prozent Konzentration in Salben- oder Cremeform zubereitet werden. Als Basispaste gut geeignet sind hierfür auf dem Markt erhältliche Salbenformulationen, die bereits Lidocain oder Benzocain enthalten, um das zum Teil sehr stark empfundene, anfängliche Brennen zu lindern [Tabelle 2].

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Medikamente gezielt und entsprechend der Diagnose ausgewählt werden sollten. Zwar existieren insbesondere im Bereich der CMD sehr wenige gut designte, kontrollierte klinische Studien zur Pharmakotherapie. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Medikamente, deren Wirkung bisher nicht in randomisierten, kontrollierten klinischen Studien überprüft wurde, als unwirksam angesehen werden dürfen. Empirische Ergebnisse zeigen, dass die Symptome der unterschiedlichen Ursachen oftmals durch den gezielten Einsatz bestimmter Medikamente effektiver gelindert werden.

Dr. Markus R. FußneggerCharité – Universitätsmedizin BerlinKlinik und Poliklinik für Zahn-, Mund- und KieferheilkundeAbteilung für restaurative ZahnmedizinBereich ProthetikAßmannshauser Str. 4-614197 BerlinE-Mail:mfussnegger@aol.com

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Indikationen

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Wirkstoff

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Handelsname

typ. Dosierung

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Nichtsaure antipyretische Analgetika

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Leichte Schmerzen

Paracetamol

z.B. Ben-u-ron®

3-4x500mg /d

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Mittelstarke Schmerzen ohne Entzündungskomponente

Metamizol

z.B. Novalgin®

1-4x500mg /d

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Saure antipyretische Analgetika

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Leichte bis mittelstarke Schmerzen, Entzündliche Erkrankungen

Ibuprofen

z.B. Ibuprofen®

3x400 /d 3x600 /d

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Naproxen

z.B. Aleve®

1-2x220mg /d

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COX-2 Hemmer

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Leichte bis mittelstarke Schmerzen, Entzündliche Erkrankungen, bei längerer Therapie oder bei Unverträglichkeit herkömmlicher NSAR

Celecoxib

Celebrex®

1-2x200mg /d

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Analgetikum mit muskelrelaxierenden Eigenschaften

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Mittelstarke Schmerzen, insbesondere mit muskulärer Komponente

Flupirtin

z.B. Katadolon®

3x100mg /d

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Schwache Opioide

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Mäßige bis starke Schmerzen

Tramadol

z.B. Tramal®

2-4x50mg /d

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Starke bis sehr starke Schmerzen

Tilidin/Naloxon

z.B. Valoron (retard)®

2x50mg/4mg /d

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Trizyklische Antidepressiva

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Chronische Schmerzen, neuropathische Dauerschmerzen, Atypische Odontalgie, Durchschlafstörungen

Amitriptylin

z.B. Saroten®

10-50mg abends

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Chronische Schmerzen, neuropathische Dauerschmerzen, Atypische Odontalgie

Desipramin

z.B. Petylyl®

25-50mg morgens

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Muskelrelaxantia

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Muskelverspannungen

Tolperison

Mydocalm®

3x50mg /d

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Muskelverspannungen

Tetrazepam

z.B. Musaril®

1x50mg /d

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Benzodiazepine

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Durchschlafstörungen, (Angst-/Panik-/ Spannungszustände)

Oxazepam

z.B. Adumbran®

10-20mg abends

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Schlaffördernde Medikamente

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Einschlafstörungen

Zolpidem

z.B. Bikalm®

5-10mg abends

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Antikonvulsivum

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Chronische neuropathische Dauerschmerzen

Gabapentin

Neurontin®

3x100-800mg /d

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Wirkstoff

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Handelsname

Konzentrationen

Darreichungsformen

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Diclofenac

z.B. Diclo SchmerzGel®

10 %

Gel, Salbe, Creme

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Ibuprofen

z.B. Dolgit Mikrogel®

5 %

Gel, Creme

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Ketoprofen

z.B. Gabrilen®

2,5 %

Gel

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Piroxicam

z.B. Piroflex®

0,5 %

Gel, Creme

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Benzocain

z.B. Anaesthesin®

5 %, 10 %, 20 %

Salbe, Creme

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Lidocain (intraoral)

z.B. Dynexan®

2 %

Gel

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Lidocain (extraoral)

z.B. Lidesthesin®

5 %

Salbe

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