Die Berliner Schaubühne gibt eine Posse
Wer glaubt, der Staat sei mit der neuerlichen Reform im Gesundheitswesen, der Rentenund der Arbeitslosenkassen überm Berg, der irrt. Im Jahr 2004 werden, trotz der vermeintlichen Reformen, in den Sozialkassen rund 31 Milliarden Euro fehlen. Dagegen ist die weitgehend auf Kredit finanzierte „dritte“ (vorgezogene) Stufe der Steuerreform mit einem kalkulatorischen (nicht faktischen) Steuerbonus von 15,6 Milliarden Euro ein Klacks. Denn die Regierung treibt mit allerlei Tricks die Sozialversicherungen weiter in tiefrote Zahlen, nur um rein optisch die Beiträge – zumindest vorerst – stabil zu halten.
So fehlen den Krankversicherungen rund zehn Milliarden Euro, an eine Beitragssenkung um die versprochenen 0,7 Prozent ist bei den meisten Kassen nicht zu denken. In der Rentenkasse versteckt sich ein Loch von 12,5 Milliarden Euro. Acht Milliarden fehlen der umfirmierten Bundesagentur für Arbeit zu Nürnberg. Und mit einer halben Milliarde Euro sackt die Pflegeversicherung weiter ins Minus ab.
Ein Beispiel für unseriöse Trickserei: Die Frohnatur Ulla Schmidt kam auf die Idee, mit einem Federstrich das Finanzpolster der Rentenversicherer von der Hälfte einer Monatsausgabe auf ein Fünftel zu senken. Zwischen 1999 und 2001 bestand das Reservepolster noch aus einer vollen Monatsausgabe für die Rentner. Und das war schon wenig. In den 70er Jahren hatten die Rentenkassen noch neun Monatsausgaben als so genannte „Schwankungsreserve“ zurückgelegt.
Ulla Schmidt lebt jetzt, unter der Voraussetzung, dass die Konjunktur nicht schwankt (dass also die Rentenabgaben der Arbeitnehmer immer gleich hoch ausfallen), von der Hand in den Mund. Sollte aber – etwa der überteuerte Euro – die Konjunktur wieder lähmen und die Zahl der nicht zahlenden Arbeitslosen weiter steigen, müssen die Renten wohl oder übel auf Kredit finanziert werden. Es sei denn, die Ministerin, der für das laufende Jahr mir nichts, dir nichts eine Milliarde Euro Rentenbeitrag aus dem Bundeshaushalt gestrichen wurde, zaubert irgendwoher 12,5 Milliarden Euro herbei.
Die Arbeitslosenversicherung als solche (also ohne ihr zugeschustertes Engagement in der Ostförderung, der Familien- und Sozialpolitik) soll sich 2004 allein aus den Beiträgen der Versicherten finanzieren. Das war bereits letztes Jahr ein Trugschluss. Und wird dieses Jahr einer bleiben. Das ungedeckte Defizit ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Zudem bastelt die amtierende Chaos-Regierung auch noch an einer Zeitbombe, deren Zünder zwar erst in einigen Jahren so richtig losgehen, dann aber tiefe Löcher in den Bundesetat sprengen wird. Der Finanzminister verkauft nämlich sein restliches Tafelsilber, das sind die noch bestehenden Aktienbeteiligungen an der Deutschen Telekom AG und an der Deutschen Post AG, zum mageren Börsenwert von rund 30 Milliarden Euro an die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau. Der Erlös soll die im Bundeshaushalt klaffenden Löcher stopfen.
Eigentlich aber sollten die Erlöse aus dem Verkauf der ehemaligen Bundesunternehmen zurückgestellt werden, um die Pensionen der ehemaligen Beamten dieser Unternehmen zu finanzieren – davon wurden die beiden privatisierten Aktiengesellschaften, damals zu Börsenbräuten aufgehübscht, ausdrücklich befreit. Der Barwert der Zahlungsverpflichtungen gegenüber einigen hunderttausend Postpensionären (Telekom, Post und Postbank) liegt bei 155 Milliarden Euro. Nun aber sind die Privatisierungserlöse verfrühstückt, der Staat zahlt die demnächst stark zunehmenden Postpensionen aus dem Haushalt. Kommt er deswegen aus den Defiziten nicht heraus, werden eben wieder Steuern erhöht oder Schulden gemacht.
Und das alles, weil den regierenden Sozialdemokraten wie auch den oppositionellen Christdemokraten der Mut fehlt, das Füllhorn der Sozialleistungen nur auf jene zu beschränken, die ohne Selbstverschulden bedürftig sind. Wie auf einer Theaterbühne wird nur darüber geschwafelt, eine Gesellschaft von Anspruchsberechtigten unbedingt wieder in eine motivierte Leistungsgesellschaft überführen zu wollen.
Der Konjunkturforscher und Volkswirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn schrieb das lesenswerte und allgemeinverständliche Buch „Ist Deutschland noch zu retten?“. Die Antwort des scharfsinnigen Sinn: Wenn ein Wunder geschieht. Er selber glaubt nicht daran; er kennt die Feigheit der politischen Akteure aller Couleur.
Das rot-grüne Ensemble der Berliner Politbühne inszeniert nun auf seine Art das Theaterstück, wie Deutschland noch zu retten sei. Leider am wirklichen Leben vorbei. Der geneigte Zuschauer mit dem Wahlzettel als Eintrittskarte erwartet eigentlich eine Tragödie. Stattdessen gibt die Berliner Schaubühne eine spaßige Posse. Betitelt: „Wie es Uns gefällt“.
Dr. Joachim KirchmannHarthauser Straße 2581545 München