Mund und Medizin rein wissenschaftlich beleuchtet
Der Veranstaltungsort Berlin war von der Europäischen Gesellschaft favorisiert worden, da vor allem Teilnehmer aus Osteuropa für diesen Kongress gewonnen werden sollten. So konnten unter anderem Teilnehmer aus Russland, den Universitäten Perm und Moskau, aber auch aus Aserbaidschan willkommen geheißen werden. Größere Delegationen kamen aus Italien, Spanien, der Türkei, England und Kroatien. Der Kongress stand unter dem Hauptthema „Mouth and Medicine – scientific approaches“. Insbesondere der immunkompromittierte Patient, aber auch derjenige, der spezielle Bedürfnisse zahnärztlicher Therapie hat (special care dentistry), standen im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Tagung.
Nach Begrüßung der Teilnehmer durch Professor Peter A. Reichart und Professor Crispian Scully, London (Präsident der EAOM) sowie durch den ehemaligen Präsidenten der DGZMK, Prof. Wilfried Wagner, Mainz, hielt Prof. Crispian Scully den Einführungsvortrag „Controversies in oral health care for the patients with special needs“. Interessanterweise zentrierte sich dieser Vortrag auf das Thema Implantologie bei Patienten mit besonderen Bedürfnissen. So ging Scully speziell auf das Thema „Implantologie bei immunkompromittierten Patienten“ ein. Es zeigte sich, dass Implantate zunehmend auch bei diesen Patienten eingesetzt werden, wobei allerdings bis heute keine evidenzbasierten Studien publiziert worden sind.
Xerostomie
Vortragende aus Japan, Holland, Kroatien, Israel und Deutschland stellten ihre Forschungsergebnisse vor. So berichtete Takashi Fujibayashi (Thema: Zur MR-Sialographie bei Sjögren Syndrom) über diese spezielle Methode und deren Wertigkeit. Arjan Vissink, Holland, referierte die Behandlungsmöglichkeiten des primären Sjögren Syndroms mit Rituximab. Hier ergeben sich möglicherweise neue Aspekte zur Therapie dieses Syndroms. Frank Strietzel, Berlin, berichtete über die Möglichkeit der Elektrostimulation zur Behandlung der Xerostomie im Rahmen vorläufiger Ergebnisse einer randomisierten Multicenter-Studie gemeinsam mit Israel, Italien und Spanien. Erste Ergebnisse zeigen, dass mit dieser Form der Stimulation eine 100-prozentige Steigerung der Speichelsekretion erzielbar ist.
Immunologie der Organtransplantation
Ulf Dahlgren, Schweden, führte in die Immunologie der Organtransplantation ein. Dieser Grundlagenvortrag mit exzellenter Präsentation komplizierter Vorgänge der immunologischen Erkennung von Fremdorganen und der Abstoßungsreaktion wurde mit großem Beifall aufgenommen. Die anschließende Sektion behandelte das Thema des oralen Lichen planus. Neben Grundlagenaspekten wie der Expression von c-erb-B-2 bei Patienten mit oralem Lichen planus oder der Verteilung von Subtypen dendritischer Zellen bei diesem Krankheitsbild wurden auch Vorträge zur Therapie gehalten. André Eckardt, Hannover, berichtete so über die Erfahrungen mit lokaler Anwendung von Tacrolimus bei erosivem oralem Lichen planus. Diese innovative Therapieform scheint nach bisherigen Erfahrungen zu sehr guten Therapieergebnissen zu führen. Andrea Schmidt-Westhausen, Berlin, stellte dann in ihrem Plenarvortrag orale opportunistische Infektionen des immunkompromittierten Patienten vor. Sie fokussierte ihren Vortrag auf HIV-infizierte Patienten, Patienten unter Chemotherapie sowie auf Patienten nach Organtransplantation. Im Rahmen klinischer Diagnostik werden zunehmend hoch sensible Detektionssysteme, wie die real-time PCR (TaqMan® PCR) zu wichtigen diagnostischen Hilfsmethoden, vor allem in der Virusdiagnostik.
Infektion mit humanen Papillomviren (HPV)
Die nachfolgende Sektion widmete sich der Infektion mit humanen Papillomviren (HPV), wobei Stina Syrjänen, Finnland, über ihre seit Jahren durchgeführten Untersuchungen zur Infektion mit HPV bei Ehepaaren und die möglichen Übertragungswege berichtete. Von besonderer Bedeutung war die Frage nach den humanen Papillomviren bei potenziell malignen Schleimhauterkrankungen der Mundhöhle. Asmaa Faden, England, sowie Torsten Remmerbach, Leipzig, berichteten über ihre Ergebnisse zum Nachweis von HPV, wobei Remmerbach insbesondere auf die nicht-invasive Bürstenbiopsie und die Prävalenz von HPV bei verdächtigen Mundschleimhauterkrankungen einging.
Weitere Themen dieses Vortragsabschnittes widmeten sich der Frage des oralen Lichen planus (OLP) und der Infektion mit Hepatitis C – Viren, wobei beide Vorträge aus Italien stammten, da diese Assoziation (Hepatits C und OLP) in Südeuropa besonders häufig ist. Die Nachmittagssektion wurde von Wilfried Wagner, Mainz, zum Thema „Implantate bei Patienten mit Schleimhauterkrankungen“ eröffnet. Während früher Schleimhauterkrankungen grundsätzlich als Kontraindikation für Implantate galten, erweitert sich auch hier das Indikationsspektrum zunehmend. Selbst Patienten mit bullösen Schleimhauterkrankungen oder mit oralem Lichen planus kommen zunehmend als Kandidaten für die oralen Implantate infrage. Nachfolgend wurden Aspekte der oralen Infektion behandelt, wobei Mats Jontell, Schweden, Ergebnisse zur Untersuchung von bakterienassoziierten oralen lichenoiden Reaktionen vorstellte. Tim Hodgson, London, erläuterte seine Untersuchungen zur oralen Candidiasis bei Kindern mit AIDS aus Malawi. Beeindruckend waren die klinischen Bilder und vor allem die katastrophale Prognose für HIV-infizierte Kinder in diesem Land, aber auch in vielen anderen afrikanischen Ländern. Esma Kurklu, Türkei, berichtete über neu entdeckte Mutationen des Keratin 13 Gens bei einer türkischen Familie mit dem Krankheitsbild des weißen Schwammnävus.
Der Nachmittag war den blasenbildenden Erkrankungen, insbesondere dem oralen Pemphigus vulgaris, aber auch den chronisch rezidivierenden Aphthen gewidmet. Meltem Koray, Türkei, berichtete über positive Therapieergebnisse bei chronisch rezidivierenden Aphthen mit 1.3 – 1.6 Beta glucan (Imuneks®). Ähnliche Erfahrungen machte Peter Holbrook, Island, mit der Behandlung chronisch rezidivierender Aphthen mit einem Matrix-metallo-proteinase- inhibitor. Ergänzt wurde dieser Vortragsabschnitt durch einen Vortrag von Anita Nolan, England, wobei zur Therapie der chronisch rezidivierenden Aphthen 0,2-prozentige Hyaluronsäure eingesetzt worden ist. Einige dieser Therapieansätze scheinen möglicherweise nicht nur das Stadium der Aphthenpersistenz zu verkürzen, sondern auch einen Einfluss auf die Rezidivhäufigkeit zu haben.
Transformationsrisiko
Das Thema „Mundschleimhautveränderungen mit Transformationsrisiko“ wurde durch José Bagán, Spanien, eröffnet. Bagán fokussierte seinen Vortrag auf die orale Leukoplakie, die proliferative verruköse Leukoplakie sowie auf den oralen Lichen planus. Insbesondere die proliferative verruköse Leukoplakie erscheint nach wie vor ein kaum beherrschbares Krankheitsbild dieser Sonderform der Leukoplakie zu sein. Der abschließende Vortragsblock widmete sich dann der oralen Leukoplakie sowie dem oralen Plattenepithelkarzinom.
Vorträge aus Italien, Japan, Deutschland und England hatten noch einmal das Thema der proliferativen verrukösen Leukoplakie aufgegriffen, aber auch das seltene Krankheitsbild des oralen adenomatoiden Plattenepithelkarzinoms und des Angiosarkoms (Hartwig Kosmehl, Erfurt). Vorträge zur DNA-Chipanalyse des Genexpressionsprofils oraler Leukoplakien (Daisuke Ito, Japan) sowie Untersuchungen des Mundhöhlenkarzinoms mit GEarray Q series apoptosis gene array führten dann in höhere Sphären aktueller molekulargenetischer Wissenschaft.
Termin 2005
Das wissenschaftliche Programm war von höchstem Niveau gekennzeichnet. Dabei war erfreulich, dass vorwiegend jüngere Wissenschaftler diese so wichtigen Themen präsentierten. Bedauerlich war dagegen der relativ kleine Teilnehmerkreis aus Deutschland.
Der nächste Kongress der European Association of Oral Medicine wird im September 2006 in Zagreb, Kroatien, stattfinden, wozu schon heute herzlich eingeladen wird.
Prof. Dr. Peter A. Reichart,Campus Virchow Klinikum,Universitätsmedizin BerlinAugustenburger Platz 113353 Berlin