The Swan – der Beautywahnsinn
„Fünf Zentimeter zuviel“, „hängende Partien“, „disharmonische Proportionen“. Wer das Gespräch eine Weile verfolgt, könnte meinen, es ginge um eine Anfertigung nach Maß, eines Anzugs vielleicht, oder eines Küchentischs. Der Zuhörer liegt nicht ganz falsch. Vermessen wird allerdings kein Möbel, auch kein Stoff, vermessen wird Tatjana. Sie will den perfekten Körper und das perfekte Leben gleich dazu. Jetzt steht die 30-Jährige nackt vor der Kamera, vor den Fernsehärzten und den Zuschauern zu Hause, und es wird mit einem Stift markiert, welche Stellen ihres Körpers „dringend neu modelliert“ werden müssen.
Ziel: Körbchengröße DD
Wir sind zugeschaltet bei „The Swan – endlich schön“. Insgesamt 16 Frauen, alle zwischen 25 und 40, lassen hier gravierende chirurgische Eingriffe vornehmen, um ihrem Traum von Schönheit eine Körbchengröße näher zu kommen. Die OP soll zugleich als Wunderwaffe wirken, um etwa die eingeschlafene Ehe wieder aufzupeppen oder schwere Kindheitstraumata endlich bewältigen zu können.
Die Korrekturen sind immer dieselben: Gewöhnlich rät das TV-Expertenteam, bestehend aus Ärzten, Zahnarzt, Psychologin, Sporttrainer und Mentalcoach, den Frauen zur Bruststraffung und -vergrößerung, Fettabsaugung an Bauch und Bein und beim Gebiss zu Kronen, Implantaten oder Veneers. Moderiert wird das Spektakel von Werbe-Ikone Verona Pooth, ehemals Feldbusch. Sie fühlt sich nach eigenen Worten vom Konzept „emotional berührt“.
Brust oder Keule
2,13 Millionen Zuschauer haben die erste Folge von „The Swan“ gesehen, in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen erreichte die Schnippelshow einen Marktanteil von 14,3 Prozent. Ob „The Swan“, „Big Brother“ (RTL II), „Letzte Hoffnung Skalpell – Schönheit um jeden Preis“ (RTL II) oder „I want a famous face“ (MTV): die privaten Sender setzen verstärkt auf Formate, bei denen sich die Kandidaten unters Messer legen. Mediziner halten die TV-OPs dagegen weder ärztlich noch ethisch für vertretbar: Die Bundesärztekammer (BÄK) hat Ende Oktober eine „Koalition gegen den Schönheitswahn“ gegründet. Gemeinsam mit Vertretern aus Politik, Kirchen und Gesellschaft will sie den Trend zu Schönheits-OPs bei Jugendlichen stoppen. Schon jetzt würden zehn Prozent aller ästhetisch-plastischen OPs an unter 20-Jährigen vorgenommen. Selbst bei Neun- bis 14-Jährigen seien Schönheits-OPs ein Thema. Dieser Trend werde durch TVSendungen verstärkt, die dem Zuschauer weismachen, jeder könne sich nach Gusto Nase, Kinn, Brust und Beine verändern lassen. „Wir müssen verhindern, dass unsere Kinder sich in ihrem Selbstwertgefühl vor allem durch suggerierte Defizite gegenüber Stars und Sternchen definieren“, verlangt Ärztechef Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe. „Persönlichkeit ist keine Frage der Chirurgie.“
Die Gruppe, darunter Kardinal Lehmann, die Patientenbeauftragte Helga Kühn-Mengel, Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, BEK-Chef Eckart Fiedler und der Vorsitzende der Deutschen Sportjugend Ingo Weiss, appelliert an Medien und Öffentlichkeit, verantwortungsbewusster in der Darstellung schönheitschirurgischer Eingriffe vorzugehen und vor allem nicht länger Kinder und Teenies als Zielgruppe anzusprechen. Die BÄK will außerdem mit Prüfungen des Berufsrechts und Änderungen der Weiterbildungsordnung gegen das „OP-Showbiz“ vorgehen. Letztlich komme es bei den TV-OPs zu einer völligen Entpersonalisierung der Arzt-Patientenbeziehung. Nach § 7, Absatz 4 der Berufsordnung dürfen Dritte Behandlungen nur beiwohnen, wenn Patient und Arzt zustimmen. Während der Patient seine Ansprüche gegenüber dem Sender abgetreten habe, müsse die Rolle des Arztes noch berufsrechtlich geklärt werden.
Auch seriöse Berufsverbände der plastischästhetischen Medizin protestieren. Junge Menschen ließen sich umformen, ohne dass eine medizinische Notwendigkeit dafür bestünde. Ärzte, die sich für solche Shows bereit halten, seien „Charakterkrüppel“, urteilt Prof. Dr. Rolf Rüdiger Olbrisch, Präsident der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen. Statt einer sechsjährigen Fachausbildung zum Plastischen Chirurgen genüge den Schönheitsklempnern ein Wochenend-Videokurs oder der Blick über die Schulter des Kollegen.
Um Patienten vor den Möchtegern-Schönheitsärzten zu schützen, will die BÄK Fachärzten für Plastische Chirurgie und Fachärzten mit der Zusatzausbildung Plastische Operationen künftig als Facharzttitel den Namen „Ästhetischer Chirurg“ geben.
Spieglein, Spieglein an der Wand
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) begrüßte die Schritte: „Wenn Schönheitsoperationen für junge Menschen so alltäglich werden wie der Gang zum Friseur, wenn in Fernsehshows oder Radiosendungen Brustvergrößerungen oder Stupsnasen verlost werden, dann ist es höchste Zeit zum Handeln.“ Alle Möglichkeiten, den Schönheitswahn zu verhindern, müssten auf den Prüfstand gestellt werden – vom Jugendmedienschutz bis hin zum ärztlichen Berufsrecht.
Auch die Zahnärzteschaft hat sich klar gegen den Beautywahn positioniert. „Wir sind ein Heilberuf und kein Verschönerungsverein“, betont der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Dr. Jürgen Weitkamp. „Darum müssen wir eine sehr feine Grenze ziehen zwischen der notwendigen Ästhetik und dem notwendigen Wohlbefinden eines Patienten auf der einen Seite und dem reinen Verschönerungswesen auf der anderen Seite. Die BZÄK und alle Zahnärztekammern werden bei der Fortbildung Maßstäbe setzen, um immer wieder eine korrekte Grenzziehung zwischen Arzttum und Kosmetikbetrieb zu verdeutlichen.“
ProSieben setzt derweil weiter alles daran, die Körperkultur seiner Zuschauer zu verbessern: Derzeit produziert Studio Hamburg für den Sender einen Beitrag mit dem viel versprechenden Titel „Popp dich schlank.“