Amelanotisches Melanom der Mundschleimaut
Kasuistik
Bei einem 76-jährigen Patient war am rechtsseitigen Weichgaumen eine Raumforderung mit Ausdehnung zur Tuberregion aufgefallen. Der Patient wurde unter der Verdachtsdiagnose eines Plattenepithelkarzinoms zur Weiterbehandlung zugewiesen. Die Läsion (Abb. 1) zeigte eine deutliche Aufwerfung der Ränder mit teilweise nodulären, die Schleimhaut vorwölbenden Formationen und wies zentral eine etwa 1 x 1,5 cm durchmessende Ulzeration auf. Typische Vorläuferläsionen des Plattenepithelkarzinoms beispielsweise im Sinne leukoplakischer Schleimhautveränderungen waren in der Umgebung des Tumors nicht zu erkennen. Im histologischen Befund der Biopsie erwies sich der Tumor als ein amelanotisches Melanom.
Neben dem enoralen Befund waren zahlreiche rötliche, ebenfalls nicht pigmentierte Hautläsionen, bei denen es sich nach bioptischer Kontrolle um Hautmetastasen des Melanoms handelte (Abb. 2) auffällig. Ein umfangreiches Tumor-Staging ergab schließlich neben der kutanen Metastasierung mehrere pulmonale Herdbefunde, die in der Positronen Emissions-Tomographie mit 18F-Fluordeoxyglukose einen hohen metastasentypischen Glukosestoffwechsel zeigten (Abb. 3). Bei diesem fortgeschrittenen, generalisierten Tumorleiden erfolgte eine palliative Chemotherapie.
Schleimhautmelanome sind in der europäischen Bevölkerung recht selten und machen hier nur etwa 0,2 bis acht Prozent aller Melanomerkrankungen aus (Lopez-Graniel et al., 1999; Ulusal et al., 2003). Neben den Konjunktiven als häufigster Lokalisation sind vor allem die Schleimhäute des oberen Respirationstraktes und der Mundhöhle betroffen (Rapidis et al., 2003).
Enorale Melanome finden sich vorwiegend bei älteren Patienten. Bevorzugte Lokalisationen in der Mundhöhle sind die Gaumenschleimhaut und die Gingiva des Oberkiefers. Die Prognose oraler Schleimhautmelanome ist ausgesprochen schlecht, die Fünf- Jahres-Überlebensraten liegen meist in einer Größenordnung von fünf bis 20 Prozent (Rapidis et al., 2003). Besondere diagnostische Probleme ergeben sich bei amelanotischen Formen durch das Fehlen der charakteristischen, klinisch richtungsweisenden Pigmentierung. Amelanotische Melanome werden daher häufig, wie auch im vorliegenden Fall, erst in deutlich fortgeschrittenen Krankheitsstadien erkannt. Ähnlich wie die sehr viel zahlreicheren kutanen Formen weisen auch orale Melanome eine hohe Tendenz zur hämatogenen Metastasierung auf. Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose liegen daher häufig bereits Fernmetastasen vor.
Wegen des unspezifischen Erscheinungsbildes ergibt sich die Abgrenzung zu anderen Malignomen der Mundhöhle, in der Regel erst anhand des histologischen Befundes.
Auch im vorliegenden Fall war die klinische Einschätzung als Plattenepithelkarzinom durchaus nahe liegend. Zweifel an der klinischen Verdachtsdiagnose könnten sich vor allem durch die Randkonfiguration mit ausgeprägt nodulären Aufwerfungen und durch die fehlenden Vorläuferläsionen der Tumorumgebung ergeben. Dieses klinische Bild findet sich häufiger bei einem Tumorwachstum unterhalb des Oberflächenepithels, bei dem eine zentrale Ulzeration sekundär mit dem Durchbrechen des Tumors zur Oberfläche entsteht.
Für die zahnärztliche Praxis soll dieser Fall anhand der amelanotischen Verlaufsform noch einmal die generelle Problematik der Melanomdiagnostik in Gesicht und Mundhöhle in Erinnerung rufen. Etwa ein Drittel der Melanome der Mundhöhle entsteht dabei auf der Basis einer Schleimhautmelanosis (Lopez-Graniel et al., 1999), so dass grundsätzlich eine frühzeitige Erkennung und vorbeugende Entfernung in vielen Fällen möglich wäre.
PD Dr. Dr. Martin KunkelProf. Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieJohannes-Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 2, 55131 Mainz