Biometrie: Der Mensch wird vermessen

Bereit zur digitalen Gesichtskontrolle

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Seit dem Terror von New York und Madrid ist die Angst vor blutigen Anschlägen allgegenwärtig – der Ruf nach schärferen Kontrollen wird laut. Im vereinten Europa und in Übersee sollen biometrische Pässe künftig für mehr Sicherheit an Grenzen und Flughäfen sorgen. Noch steht die automatisierte Erkennungstechnik jedoch auf dem Prüfstein: Teils ist die Fehlerquote zu hoch, teils lassen sich die elektronischen Karten mühelos knacken.

Frankfurt am Main, Flughafenhalle: Von Mitte März bis Sommer betreten hier 2 000 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz über ein Drehkreuz: Sie lassen sich wie an der Grenze einzeln überprüfen, um in die Sicherheitsbereiche zu gelangen. Den obligaten Wachtposten sucht man allerdings vergeblich – eine Spezial-Software übernimmt die Gesichtskontrolle. Sie erfasst Auge, Gesicht wie Fingerkuppen und vergleicht sie mit einem vorher erstellten Digitalabzug des Trägers.

„BIOP II“ heißt das groß angelegte Projekt, in dem jene drei biometrischen Verfahren – Gesichtserkennung, Irismuster und Fingerabdrücke – auf ihre Alltagstauglichkeit getestet werden. Sie gelten in der Diskussion um eine massentaugliche Nutzung als heiße Favoriten.

Kein Zweifel: Die Biometrie ist im Kommen. Was aber steckt genau dahinter? „Biometrie“ ist der Oberbegriff für Methoden, mit denen man Menschen über biologische Merkmale erkennen kann. Das können statische Kennzeichen, wie Gesicht, Ohren, Iris und Fingerprints sein, oder dynamische, wie Stimme, Gang und Unterschrift. Diese einzigartigen und unveränderlichen Besonderheiten werden digital auf einem Chip erfasst. Bei einer Kontrolle vergleicht das Programm dann die Infos auf der Karte mit denen des Inhabers und stellt fest, ob es sich um ein und dieselbe Person handelt. Beim Gesichts-Scan funktioniert das so: Eine Kamera macht ein Foto von einer Person. Der angeschlossene Computer vermisst das Gesicht, wandelt die markanten Punkte in ein digitales Raster um und prüft es in Sekundenbruchteilen. Der Gesichts-Check ist sicher und einfach: Jeder deutsche Bürger hat im Personalausweis ein Bild von sich, eine extra Datenbank ist unnötig, die Gefahr des Missbrauchs damit gering.

Die USA nehmen jetzt schon digitale Fotos und Fingerabdrücke von allen Besuchern, die ein Visum brauchen: Die Daten werden gespeichert und mit denen gesuchter Terroristen abgeglichen. Ab September gelten die Bestimmungen auch für die 27 Länder, deren Staatsangehörige bis zu 90 Tage visafrei einreisen können; ab dem 26. Oktober ist der maschinenlesbare Reisepass notwendig, um ohne Visum einzureisen. Die Vereinigten Staaten fordern darüber hinaus die Einführung biometrischer Pässe für alle USA-Besucher. Das setzt die EU unter Druck: Im Mai reist der zuständige EU-Kommissar Antonio Vitorino nach Washington, um mit der amerikanischen Regierung das weitere Vorgehen zu besprechen. Einig sind sich die EU-Staaten immerhin darin, dass die Pässe überhaupt biometrische Daten enthalten sollen. Nur brauchen die Länder mehr Zeit als ihnen die USA zugestehen: Denn einheitliche Standards fehlen bislang – jedes Land entscheidet selbst, was in den Pässen stehen soll. Vor allem Frankreich, Italien, Großbritannien und Deutschland setzen auf Fingerabdrücke und den Iris-Scan.

Nie wieder inkognito

Das Bedürfnis, Personen einwandfrei zu erkennen, besteht schon lange. Ob es darum geht, eine Landesgrenze zu überschreiten, am Automaten Geld abzuheben, ein Firmengebäude zu betreten oder sich in ein Computerprogramm einzuloggen: Stets ist die Erlaubnis an eine Identität geknüpft. Auch die kommende elektronische Gesundheitskarte arbeitet mit der neuen Technik.

Im Jahr 1883 entwickelte der französische Anthropologe Alphonse Bertillon Regeln für die Vermessung von Verbrechern. Seitdem nehmen Kriminalbeamte von Straftätern die Fingerabdrücke. Die Punkte und Linien der Fingerkuppen, „Minutien“ genannt, unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. Acht bis 16 Minutien reichen, um eine Person eindeutig zu bestimmen, bei hohen Sicherheitsstandards werden bis zu 100 herangezogen. Experten verweisen die Fingerprints dennoch in die zweite Reihe: Sie sind zwar relativ sicher, erinnern aber aufgrund des Körperkontakts an polizeiliche Ermittlungen. Außerdem können fettige, dreckige und rissige Finger das Ergebnis verfälschen. Dasselbe gilt für Stimme, Gang und Unterschrift: Auch sie haben eine hohe Fehlerquote.

In der Politik machen deshalb die statischen Merkmale das Rennen – sie liefern genauere Ergebnisse. Wie der Iris-Scan: Ein biometrischer Sensor erfasst die Augenstruktur, der Computer teilt sie in Ringe und erstellt aufgrund des Rasters den persönlichen Iriscode. Direkte Berührungen sind überflüssig. Insgesamt 260 Punkte machen die Iris unverwechselbar. Ihr spezielles Muster prägt sich schon beim Embryo im Mutterleib aus – es bleibt in all seinen Schattierungen und Kränzen das ganze Leben erhalten. Die Augenerkennung ist zwar teuer, dafür zuverlässig: Sie funktioniert auch bei Brillenträgern und Kurz- oder Weitsichtigen. Lediglich an farbigen Kontaktlinsen und Irisanomalien nach Unfällen oder Krankheiten scheitert die Technik.

Der Große Bruder sieht alles

Die Iris verrät jedoch nicht nur die Identität des Betroffenen, sondern darüber hinaus auch seinen Alkohol- und Drogenkonsum. Bei einem flächendeckenden Abgleich könnte der Erfasste außerdem auf Schritt und Tritt überwacht werden. Die Iriskontrolle bringt also Probleme mit dem Datenschutz. Gleichgültig, wie korrekt die Ergebnisse ausfallen: Die Furcht vor dem „gläsernen Bürger“ gemäß Orwells „1984“ bleibt. Der Vorteil der Biometrie gegenüber althergebrachten Kontrollen liegt trotz aller Mängel auf der Hand: Passwörter können ausspioniert oder vergessen werden – biometrische Daten hingegen sind wie die Person, auf die sie sich beziehen: einzigartig und deshalb nur schwer verwechseloder fälschbar.

Dass aber selbst minimale Fehlerquoten große Schäden anrichten, zeigt eine zweite Versuchsreihe, die ebenfalls am Frankfurter Flughafen läuft: Knapp 2 000 Vielflieger haben sich im Februar beim Bundesgrenzschutz per Iris-Scan registrieren lassen, damit sie bei Grenzkontrollen schneller abgefertigt werden. Der Modellversuch startete zu 99,9 Prozent ohne Pannen: Doch allein diese 0,1 Prozent entsprächen 48 500 „Problemfällen“, rechnet man die Quote auf die jährlichen 48,5 Millionen Passagiere hoch.

Ein weiteres Problem ist der Datenklau. In Actionfilmen ist die transplantierte Netzhaut seit 20 Jahren Wirklichkeit, doch muss es nicht gleich ein James-Bond-Szenario sein. Mitarbeiter der Computerzeitschrift „c’t“ konnten 2002 die Systeme mit Fingerabdrücken überlisten, die die Zugangsberechtigten auf Trinkgläsern hinterlassen hatten, einige Iris- und Gesichtsscanner ließen sich von falschen Fotos täuschen.

Geraten die brisanten Daten auf Pässen, Gesundheitskarten & Co. in falsche Hände, ist der Schaden für das Opfer groß.

Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen

Für Innenminister Otto Schily (SPD) birgt die neue Technik in erster Linie neue Möglichkeiten: Er will Fingerabdrücke, Lichtbilder und Irisfotos für Visa und Pässe, in Personalausweisen und bei der Grenzkontrolle einsetzen.

Experten warnen allerdings eindringlich vor einer Verwechslung der zwei unterschiedlichen Funktionen der Biometrie: der Verifikation und der Identifikation. Bei der Verifikation geht es darum, zu überprüfen, ob der Halter der Papiere auch der rechtmäßige Eigentümer ist, zum Beispiel bei der Führerscheinkontrolle. Mithilfe der Verifikation kann man ebenso verhindern, dass Terroristen in sensible Zonen von Flughäfen eindringen und dass Patienten sich beim Arzt für jemand anderen ausgeben. Die Identifikation ist ungleich schwerer: Jemand sieht eine Person und versucht sich zu erinnern, woher er die Person kennt.

Das Verhältnis Verifikation zu Identifikation beläuft sich auf 95 zu fünf Prozent. Darum dürfte der Plan der USA, die Biometrie als Terroristenfalle einzusetzen, auch nicht von Erfolg gekrönt sein.

Anders formuliert: Die Identifikation von Topterroristen wäre eine tolle Sache, aber welcher Terrorist reist schon regulär mit Lufthansa?

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