Narzisstische Persönlichkeitsstörung bei Zahnärzten und Ärzten
Zahnarztpersönlichkeit
Der Zahnarztberuf ist belastend und stellt hohe Anforderungen, wie Stressresistenz, Kommunikations- und Begegnungsfähigkeit, Intelligenz, manuelles Geschick und hohe ethische Entscheidungsmaximen. Aber auch Konfliktfähigkeit, Führungsstärke, Teamfähigkeit und mehr stellen hohe Anforderungen an den Berufsausübenden. Jahrhundertelang wurden die menschlichen Anforderungen an den Zahn-Arzt, etwa Geduld und Empathie, sehr hoch bewertet. Medizinstudenten wurden durchaus wegen „mangelnder charakterlicher Eignung” von der medizinischen Universität relegiert. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts wurde ein Hintanstellen der eigenen Persönlichkeit gefordert. Im Zuge des wissenschaftlichen „Fortschrittes” traten die alten Werte zurück, und stattdessen forderte man einen hohen Intelligenzquotienten, manuelle Geschicklichkeit, den „Hochleistungsmediziner” [Ruebsam]. Die Erforschung der Zusammenhänge in der Arzt-Patient-Beziehung brachte dann den Beweis dafür, dass es einen Unterschied macht, wie ein Arzt zuhört, wie er die moderne Technik einsetzt. So ist die Persönlichkeit des Arztes letztlich doch wieder zum Gegenstand aktueller Anforderungen geworden.
Gerade beim Hauszahnarzt spielt die Persönlichkeit eine entscheidende Rolle für die Patienten, für ihre Compliance, dafür, ob Patienten gerne zu ihrem Zahnarzt gehen und wiederkommen. Ein ängstlich-misstrauischer Zahnarzt wird seinen Patienten anders zuhören, als ein vertrauensvoll offener; ein narzisstischer, kränkbarer Kollege reagiert auf die Beschwerde eines Patienten völlig anders, als einer mit einem stabilen Selbstvertrauen. Überdies ist die Persönlichkeit so etwas wie eine Arbeitsgrundlage, die mitentscheidend ist für den beruflichen Erfolg eines Zahnarztes [Obermeyer, zm].
Dies kann sich dann im persönlichen Auftreten ausdrücken, aber auch im Ausstattungsstil oder dem Aufwand für Repräsentation in einer Praxis deutlich werden. Es gibt Arztund Zahnarztpraxen, deren Besitzer auf dem Boden ihres Narzissmus so übertriebene Selbstdarstellung zur Schau tragen, dass es für den unvoreingenommenen Beobachter und natürlich besonders für einen Patienten übertrieben und wenig einladend wirkt!
Narzissmus
Narzissmus ist keine Störung des gesamten Berufstandes, auch wenn Medien, Filme und neuzeitliche Soapoperas über Mediziner diesen Persönlichkeitstyp in den Vordergrund stellen. Jedoch sorgen Ehrgeiz und Anspruchshaltung narzisstischer Ärzte überproportional häufig für Spannungen in Klinik und Praxis. Die Großartigkeit ihrer Methoden und ihres zahnärztlichen Handelns vermögen sie überdies ihren Patienten oft nicht wirklich zu vermitteln. Dafür wirken sie häufig zu kalt oder zu arrogant.
Allgemein ist die narzisstische Persönlichkeit gekennzeichnet durch ein Muster von Großartigkeit in Fantasie oder Verhalten, Überempfindlichkeit gegenüber Kritik, sowie ein Mangel an Einfühlungsvermögen. Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung können andere mitreißen, sie begeistern und Großes von ihnen verlangen oder auch selber an den Tag legen. Zugleich können sie auch bei geringen Fehlern oder Kritik durch andere massiv wütend und herabsetzend reagieren. Patienten und Kollegen gegenüber sind sie meistens schlechte Zuhörer, weil sie zu viel von sich erzählen und ihre Gedanken und ihr Handeln nur um den eigenen Erfolg kreisen. Macht, Erfolg, sichtbare Anerkennung und herausragende Position sind die Triebfeder ihres ärztlichen Tuns [Verhulst]. Bei entsprechenden eigenen Anlagen sind sie damit sehr erfolgreich. Kaum von inneren Skrupeln gebremst, erreichen narzisstisch strukturierte Ärzte häufiger eine leitende Stellung. An der Medizin reizt sie die hohe soziale Anerkennung, das „Halbgott in Weiß“-Gefühl.
Paradebeispiel für einen solchen Arzt ist Professor Sauerbruch. Weggenossen beschrieben ihn als „glänzend, impulsiv, mit dem Wunsch, die Bedeutung seiner Person in die Öffentlichkeit zu projizieren“ [Nissen]. Gegenüber nachgeordneten Ärzten war Sauerbruch streng, manchmal auch gnadenlos.
Bei dieser Persönlichkeitsstruktur (PS) ist es von besonderer Wichtigkeit, auch die positive Seite zu sehen: Die große Triebkraft für Leistung und Ehrgeiz ermöglicht oft eben außergewöhnliche Leistungen! Zahllose Pioniere in der Medizin hatten diese Struktur, ihre Zeitgenossen waren meist begeistert für sie oder erbittert gegen sie, man denke nur an Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, seine große Sicht, seinen Mut über die damals herrschende Säftelehre hinaus exakt zu beobachten und seine Streitreden. Auch in unserer Zeit lassen sich Persönlichkeiten finden, die häufig den Auftritt in der Presse suchen. Darüber hinaus habe ich selbst über Jahre einen klinischen Lehrer gehabt, der eine ausgeprägte narzisstische Persönlichkeit besaß, in der sich hohes Können, immenser Einsatz für seine Klinik und der Mut, neue Wege in der Suchttherapie zu gehen, kombinierten. Durch eine eigene Suchterkrankung kam er zu neuen Einsichten über eine effektivere Suchttherapie, die er konsequent und gegen große Hindernisse durchsetzte [Gottschaldt].
Mehr als 1 000 süchtige Ärzte und Ärztinnen wurden in den von ihm gegründeten Kliniken in Deutschland schon mit gutem Erfolg behandelt. Als Chef forderte er viel, konnte in seiner Kritik unsachlich, ja verletzend sein, zugleich förderte er Mitarbeiter, die er schätzte, in engagierter Art und Weise. Vor allem aber behandelte er die sonst oft gedemütigten Suchtpatienten besonders zuvorkommend.
An medizinischen Universitäten können Narzissten oft weit kommen, zugleich stößt ihr statusbewusstes, zum Teil übertrieben anspruchsvolles Auftreten viele Kollegen zurück und kann zu ausgeprägten Feindschaften führen. Wer immer als junger Assistent einen solchen „Fürst der Medizin” gekränkt hat, weiß, wie lange anhaltende und unversöhnliche Konflikte, ja Feindschaften hieraus erwachsen können. In unüblicher Offenheit schreibt Prof. Hoche in seiner Biografie in diesem Zusammenhang: „Ich bin lebenslänglich ein guter Hasser gewesen.“ Hinter dieser übertriebenen Kränkbarkeit stand auch bei ihm ein Basisgefühl der Unzulänglichkeit [Hoche].
Selbst da, wo technische Brillanz und Erfindungsgabe Pioniertaten ermöglichen, kann eine zu narzisstisch gestörte Persönlichkeit den eigenen Erfolg gefährden. Jürgen Thorwald schildert einen solchen Fall: Prof. William McEven aus Glasgow. Dieser Pionier der Gehirnchirurgie war „ein stolzer Mann in einem Panzer von grimmigem Humor...“, ein grenzenlos eigenwilliger Mensch, den seine eigenen Schüler den „Großen Ich-bin” nannten, um seine Unfähigkeit in Zusammenarbeit mit anderen zu unterstreichen. Von seinen Kollegen liebten ihn nur wenige, und das war der bedeutendste Grund, dass seine Pionierrolle kaum Anerkennung fand [Zitat Thorwald,]. Die meisten Kollegen und Patienten können Ausrutscher, Schroffheit und übertriebene Selbstdarstellung dort noch akzeptieren, wo sich Genie oder wenigstens ein Hochtalent mit einer narzisstischen PS kombiniert, Denn dort, wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Anders sieht es da aus, wo sich bei nur durchschnittlicher Begabung eine narzisstische Persönlichkeitsstörung bei Ärzten zeigt. Diese Ärzte gelangen kaum in eine Führungsposition, ihre begrenzten Erfolge reichen nicht aus, um das Selbstwertgefühl zu stabilisieren. So verlassen sie die Universität oder das Krankenhaus früh, um Glück und Bestätigung in der freien Wirtschaft zu suchen. Dort scheitern viele mit ihrem Anspruch, denn die „Kassenknechtschaft” des niedergelassenen Arztes unterstützt Narzissten eher selten.
Mit überzogenen Wünschen, finanziell zu aufwändigem Lebensstil und Fehden mit den Kollegen, bringen sich diese Mediziner in Situationen, aus denen selbst mit therapeutischer Hilfe nur schwer ein Ausweg gelingt. Es ist geradezu ein Leitsatz von Praxissanierern, dass dort, wo die Sanierung am dringendsten ist, die Bereitschaft des Praxisinhabers, auf guten Rat zu hören, eher gering ist. Ein Kollege mit einer ungewöhnlich großen Privatpraxis und noch größerem Appetit auf Immobilien brachte sich im süddeutschen Raum vor kurzem auf diese Weise um seine Existenzgrundlage.
Auch wenn diverse Kritiker die Zunft der Ärzte insgesamt für narzisstisch gestört halten, so möchte ich unbedingt darauf hinweisen, dass es viele leitende Mediziner und auch Lehrstuhlinhaber gibt, die keine narzisstische Persönlichkeitsstörung haben beziehungsweise hatten. Als ein Beispiel von vielen mag der seinerzeit berühmte Kliniker, Professor Friedrich von Müller (1858-1941), gelten, den seine Zeitgenossen „king of physicians“ nannten. Nicht nur, dass er über sich selbst bescheiden urteilte, er habe auf keinem Gebiet eine wirklich neue Entdeckung gemacht. Als seine Schüler ihm zum 70. Geburtstag eine Büste schenken wollten, lehnte er diese ab mit den Worten, er gehöre nicht zu der Klasse von Leuten, denen Büsten zuständen. Müller ist auch einer der Professoren, denen weniger der medizinische „Leibsklave” als vielmehr ein eigenständiger Mitarbeiter vorschwebte: „Der wirklich brauchbare klinische Assistent steht meines Erachtens in einem gewissen Widerspruch zu den Ansichten seines Chefs” [Martini].
Reaktion bei Behandlungsfehlern
Kunstfehlerverfahren können heute jeden Behandler treffen. Besondere Schwierigkeiten bereiten sie jedoch Zahnärzten und Ärzten mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung, nicht weil sie schlechter arbeiten als andere Ärzte, sondern weil sie kommunikativ ungeschickter sind [Gendel]. Ihrem Naturell nach wirken sie auf Patienten oft arrogant, was sich dann, wenn ein Missgeschick passiert, noch steigern kann. Mögliche Verhaltensweisen sind Abstreiten jeder Schuld, ruppige, unempathische Sprache, Nicht zur Kenntnis nehmen wollen und mehr – kurz all das, was Patienten das Gefühl vermittelt, „der hört mir gar nicht zu”. Und das – so haben verschiedene Untersuchungen ergeben – ist die wichtigste Motivation einer Klage. Zahnärzte und Ärzte mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung können sich kaum entschuldigen, eher beschuldigen sie noch andere. Zu unterliegen ist für sie so schlimm, dass sie ein juristisches Verfahren leicht durch alle Instanzen treiben können.
Auch wenn es leicht ist, sich für die schillernde und brillante Seite narzisstischer Zahnärzte und Ärzte zu begeistern, die tägliche Zusammenarbeit ist oft spannungsreicher als in anderen Berufen. Insbesondere ist dieses in der Zahnmedizin der Fall. In dem sehr engen räumlichen Zusammenspiel am Arbeitsplatz beziehungsweise durch die Behandlungssituation bedingt, können hier für Helferinnen sehr schwierige Situationen entstehen. Das kann zu einer unüblichen hohen Fluktuation von Praxispersonal beitragen.
Hilfen
Die Medizin verdankt Kollegen mit narzisstischen Zügen viele Fortschritte. Um ihnen eine bessere Kommunikation und Teamarbeit zu ermöglichen, sind Coaching und auch Psychotherapie nutzbringend [Reimer]. In eskalierten Konflikten oder bei massiven Fehlern wird sich eine externe Evaluation oft nicht umgehen lassen und auch mal eine stationäre psychosomatische Behandlung zu empfehlen sein. Oft können Kollegen mit narzisstischer Persönlichkeit erst dort die richtige Hilfe bekommen und annehmen, wo sie genug Wertschätzung erfahren. Sie müssen lernen, zuzuhören sowie in der therapeutischen Beziehung zu bleiben und zugleich genug ehrliche Rückmeldung zu erfahren, damit sie begreifen, wie sie auf andere Menschen wirken. Sie müssen erfahren, dass die übertriebene Selbstdarstellung letztlich nie so satt macht wie ein gelungener Kontakt zum Mitmenschen.
Angesichts immer größerer Stresslevel in der täglichen Praxis leidet die Zahnärzte-Gesundheit allgemein. Ansätze für Hilfen ergeben sich durch die Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit und Stressverarbeitung. Jede Persönlichkeit reagiert verschieden auf Belastung und Stress. Narzissten werden lange Zeit den Stress willkommen heißen, ja erhöhen, weil dadurch das eigene Leistungsvermögen für andere schön sichtbar wird. Kippt aber dann die Balance zwischen Stress und persönlicher Resilienz des Zahnarztes, kommt es zu Dekompensationen, in Einzelfällen zum Suizid [Alexander], meist aber zu vermehrtem Streit und Vorwürfen in der Praxis, da der narzisstische Zahnarzt jegliche eigene Fehlerbeteiligung konsequent negiert. Hier kann mit Programmen zur Begrenzung oder zum Abbau von Stressoren einiges erreicht und gegebenenfalls eine gesundere Lebensplanung erzielt werden.
Insgesamt ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit für jeden Zahnarzt nützlich. Für Kollegen in einer Krise oder vor einer beruflichen Entscheidung vermag die Einbeziehung der individuellen Geprägtheit teilweise vor einer Fehlentscheidung zu bewahren. In der Analyse und Bewältigung von Konflikten im Praxisteam, bei Disziplinarproblemen und bei Kunstfehlern können eine verstärkte Berücksichtigung von individuellen Persönlichkeitsfaktoren und Möglichkeiten ihrer Kompensation Entscheidendes leisten.
Dr. med. Bernhard MäulenLeiter Institut für Ärztegesundheit78048 Villingen SchwenningenE-Mail:DocMaeulen@t-online.de
Buchtip zum Thema:Fiedler, Peter: Integrative Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen. Hogrefe Verlag, 2000
Hilfen für Zahnärzte:www.aerztegesundheit.de