Interdisziplinäre Mundgeruch-Sprechstunde
Bei Mundgeruch handelt es sich um ein weit verbreitetes, den Einzelnen zuweilen psychisch stark belastendes Problem, von dem allerdings nur wenige epidemiologische Daten existieren. Untersuchungen aus Japan zeigten, dass sechs bis 23 Prozent der Bevölkerung Mundgeruch in unterschiedlicher Ausprägung aufwiesen [5]. Diese Zahlen decken sich mit den Ergebnissen einer bundesweiten Umfrage unter deutschen Zahnärzten [12], die mithilfe der zm durchgeführt wurde.
Die Ursachen für Mundgeruch können vielfältig sein (Übersicht bei [13]). Berichte über Mundgeruch-Sprechstunden anderer Länder belegen, dass in den meisten Fällen bakterielle Beläge im Bereich der Mundhöhle für die Geruchsentwicklung verantwortlich sind [1, 8]. Dabei spielt insbesondere die Bildung flüchtiger Schwefelverbindungen (VSC = volatile sulfur compounds) durch Zungenbeläge eine entscheidende Rolle [14, 15]. Als Standardmethode zur Evaluation von Mundgeruch gilt bislang noch die Messung mit dem Geruchssinn (organoleptische Messung). Mithilfe von Gaschromatographie und Sulfidmonitoren lässt sich die Konzentration von VSC im Mundbereich jedoch ebenfalls quantifizieren [9, 15].
Ein besonderes Phänomen besteht darin, dass es Patienten gibt, die glauben, unter Mundgeruch zu leiden, obwohl kein von anderen Personen wahrnehmbarer unangenehmer Geruch existiert [6, 17]. Angaben darüber, wie Ärzte und Zahnärzte mit dem Problem Mundgeruch umgehen, sind nur sporadisch vorhanden [2], und es liegen bislang keine Daten über die Ursachenverteilung aus Deutschland vor.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist daher, die Ergebnisse der Arbeit einer interdisziplinären deutschen Mundgeruch-Sprechstunde zu präsentieren.
Material und Methode Probanden
407 Patienten (203 männlich, 204 weiblich, 41,5 ± 13,8 Jahre) wurden von 1999 bis 2003 in einer interdisziplinären Mundgeruch-Sprechstunde untersucht. Alle gaben an, unter Mundgeruch zu leiden.
Anamnese
Die Anamnese beinhaltete detaillierte Fragen zum allgemeinen Gesundheitszustand, bisherigen Arztkonsultationen, eine ausführliche zahnärztliche Anamnese, sowie eine Ernährungsanamnese [16].
Quantifizierung des Geruches
Alle Patienten wurden angehalten, vor der Untersuchung alles zu unterlassen, was die organoleptische Messung des Mundgeruches beeinflussen könnte (Rauchen, Knoblauch, Parfüm und mehr).
Die organoleptische Beurteilung des Mundgeruches erfolgte durch einen trainierten Zahnarzt mithilfe einer Vier-Punkt-Skala [6, 10]. Analog dazu wurde eine Beurteilung der Nasen-Atemluft durchgeführt während der Patient leicht durch die Nase ausatmete. Als Ergänzung zur organoleptischen Beurteilung wurde mithilfe eines Sulfitmonitors (Halimeter, Interscan Corporation, USA) eine Konzentrationsbestimmung flüchtiger Schwefelverbindungen (VSC) im Bereich des Mundes und beider Nasenöffnungen vorgenommen [9, 11].
Klinische Untersuchung
Während der klinischen Untersuchung wurden die oralen und pharyngealen Schleimhäute und Weichgewebe sowie die Zähne und das Parodont hinsichtlich anatomischer Besonderheiten oder pathologischer Veränderungen untersucht. Sofern nötig, wurden Röntgenbilder angefertigt. Zur Einschätzung der Mundhygiene wurde immer ein approximaler Plaqueindex erhoben. Die Quantifizierung der Zungenbeläge erfolgte mithilfe eines Zungenbelagsindex [4].
Wenn erforderlich, wurden die Patienten einem Hals-, Nasen- und Ohren-Spezialisten oder einem Internisten vorgestellt. Ein Psychologe stand ebenfalls zur Verfügung. War während der ersten organoleptischen Untersuchung kein unangenehmer Geruch feststellbar, wurde die Untersuchung mehrfach an anderen Tagen und zu anderen Tageszeiten wiederholt, beziehungsweise weitere Untersucher einbezogen. Wenn sich wiederholt kein unangenehmer Geruch feststellen ließ, der Patient jedoch darauf beharrte, mit seinem Mundgeruch andere Menschen zu belästigen, wurde die Konsultation eines Psychologen angeraten. Alle entsprechenden Patienten lehnten dieses Angebot jedoch ab.
Klassifikation
Alle Patienten wurden anhand der von Yaegaki und Coil vorgestellten Halitosis-Einteilung nach Miyazaki et al. klassifiziert (Tab.) [3, 18].
Ergebnisse
17,7 Prozent der Patienten wurden von anderen Ärzten überwiesen, alle anderen kamen spontan und gaben an, auf unsere Sprechstunde durch Berichte in den Print-Medien (40,8 Prozent), dem Internet (22,7 Prozent) oder dem Fernsehen (18,8 Prozent) aufmerksam geworden zu sein. 75,5 Prozent der Patienten kamen aus Berlin oder den angrenzenden Gemeinden Brandenburgs, 24,5 Prozent aus anderen Teilen Deutschlands.
Alle Patienten waren davon überzeugt, unter Mundgeruch zu leiden, allerdings war nur bei 72,9 Prozent Mundgeruch feststellbar (Klasse I, Tab.). Innerhalb dieser Gruppe konnte bei 92,7 Prozent eine orale Ursache und bei 7,3 Prozent eine extraorale Ursache für die Geruchsbildung festgestellt werden. Bei drei Patienten dieser Gruppe zeigte sich eine massive Form von „smokers breath“ (Abb. 1). Innerhalb der Klasse mit oralem pathologischem Hintergrund (Klasse I, B, oral; Tab.) wiesen 83 Prozent eine Parodontitis, 10,7 Prozent eine Mundschleimhauterkrankung (wie gingivale Hyperplasie) und 6,4 Prozent unsachgemäße prothetische Therapiemittel auf. Ein sechsjähriger Junge besaß mehrere trepanierte und „offen gelassene“ Milchzähne. In der Gruppe mit extraoraler Ursache (Gruppe I, B, extraoral; Tab.) lag bei 71,5 Prozent eine chronische Tonsillitis vor, 9,5 Prozent wiesen eine chronische Sinusitis auf und 9,5 Prozent besaßen einen Fremdkörper in der Nase. Darunter befand sich auch ein Patient mit einer nur teilweise geschlossenen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, der in seiner Nase über etwa sechs Jahre lang Abformmaterial trug, das im Zuge der Anfertigung einer Brücke dort verblieben war. Bei einem Patienten wurde ein bislang unerkannter Diabetes mellitus diagnostiziert. In der Gruppe ohne wahrnehmbaren Mundgeruch befanden sich signifikant mehr Frauen als Männer (c2-Test, p < 0,05).
83,5 Prozent aller Patienten hatten vor Ihrem Besuch in der Mundgeruch-Sprechstunde schon einmal einen Zahnarzt, ihren Hausarzt, einen Internisten oder einen HNO-Arzt entsprechend konsultiert. 23,3 Prozent besuchten einen, 20,8 Prozent zwei, 16,9 Prozent drei und 22,5 Prozent vier der genannten Arztgruppen. Diesbezüglich ergab sich kein Unterschied zwischen Patienten mit und ohne feststellbarem Mundgeruch. Wegen des Verdachtes auf Mundgeruch wurden Gastroskopien beziehungsweise Operation im HNO-Bereich durchgeführt (Abb. 2).
Diskussion
Die vorliegende Arbeit präsentiert erstmals in Deutschland erhobene Daten einer interdisziplinären Mundgeruch-Sprechstunde. Bei Patienten, die einen eindeutig wahrnehmbaren Mundgeruch aufwiesen, wurde von uns in den meisten Fällen eine orale Ursache identifiziert. Die wichtigste Rolle spielten dabei bakterieller Zungenbelag sowie bakterielle Beläge im Zusammenhang mit oralen Erkrankungen und Erkrankungen aus dem HNO-Bereich. Dies steht im Einklang mit den Daten vergleichbarer Mundgeruch-Sprechstunden aus Israel und Belgien [1, 8] und bestätigt, dass der Zahnarzt der erste Ansprechpartner beim Vorliegen von Mundgeruch sein sollte. Dieser wird mit Maßnahmen, die auf eine Eliminierung beziehungsweise Reduzierung der geruchsbildenden Bakterien abzielen, den meisten Patienten mit Mundgeruch helfen können (Übersicht bei [7]).
Obwohl auch organische olfaktorische Dysfunktionen als Ursache für das Auftreten einer Pseudo-Halitosis oder Halitophobie (Tab.) in Frage kommen, geht man heute davon aus, dass in den meisten Fällen psychische Störungen zur Entwicklung des Gefühls führen, dass man einen unangenehmen Geruch verströmt, obwohl dieser von anderen Personen nicht wahrgenommen werden kann [6]. Um eine möglichst große Sicherheit bei der Klassifizierung insbesondere dieser Patienten zu erhalten, wurde darauf geachtet, Wiederholungsuntersuchungen zu verschiedenen Tageszeiten durchzuführen und nahe Angehörige in den Prozess einzubinden. Möglicherweise existiert eine Abhängigkeit von kulturellen und sozioökonomischen Faktoren, denn der Anteil der Personen, die als Pseudo-Halitosis oder Halitophobie klassifiziert wurden, war in der vorliegenden Arbeit höher als in Belgien oder Israel [1, 8]. Auffällig ist, dass in der Gruppe ohne feststellbaren Mundgeruch anteilig mehr Frauen vertreten sind, was sich mit Daten aus Israel deckt, aber im Widerspruch zu Daten aus Belgien steht [1, 8]. Weitere Studien sind nötig, um die Ursachen für das Phänomen Pseudo-Halitosis und Halitophobie vor dem Hintergrund psychischer und sozioökonomischer Faktoren zu beleuchten.
Neben der Verteilung zugrunde liegender Ursachen deuten unsere Daten darauf hin, dass eine nicht unerhebliche Anzahl von Ärzten ein unzureichendes Konzept zum Umgang mit Mundgeruchspatienten besitzt. Eine alarmierend hohe Anzahl von Patienten ohne feststellbaren Mundgeruch berichtete über unnötige und teure Untersuchungen und Behandlungen bis hin zu Operationen, ohne dass eine organoleptische Untersuchung der Atemluft stattgefunden hätte. Selbst bei Vorliegen eines deutlichen Mundgeruches scheint aber kein schlüssiges Konzept vorhanden zu sein, da es im Bezug auf die Häufigkeit von Arztbesuchen und die Anzahl durchgeführter Gastroskopien keinen Unterschied zwischen der Gruppe mit und ohne Mundgeruch gibt. Eine Umfrage unter deutschen Zahnärzten zeigte, dass 41 Prozent der Befragten glaubten, dass der Magen bei der Entstehung von Mundgeruch eine wichtige Rolle spielt [12]. Tatsächlich kann der Magen als Quelle für Mundgeruch jedoch praktisch ausgeschlossen werden.
Zusammenfassend bestätigen die vorliegenden Daten einer deutschen Mundgeruch-Sprechstunde, dass bakterielle Beläge im Mundbereich die Hauptursache für Mundgeruch darstellen, gefolgt von Erkrankungen aus dem HNO-Bereich.
Zusammenfassung
Mundgeruch stellt ein weit verbreitetes Phänomen dar, dessen Ursache vielschichtig sein kann. Ziel der vorliegenden Arbeit ist, die Ergebnisse einer interdisziplinären Mundgeruch-Sprechstunde unter besonderer Berücksichtigung der ermittelten Ursachen zu präsentieren. 407 Patienten (203 Männer, 204 Frauen, 41,5 ± 13,8 Jahre) besuchten die Sprechstunde am Zentrum für Zahnmedizin der Charité. Neben einem speziell trainierten Zahnarzt standen ein Hals-, Nasen- und Ohren- (HNO-) Arzt, ein Internist und ein Psychologe als Untersucher zur Verfügung. Alle Patienten gaben an, unter Mundgeruch zu leiden, aber nur bei 72,9 Prozent konnte tatsächlich Mundgeruch festgestellt werden. Innerhalb dieser Gruppe wurde bei 92,7 Prozent eine orale und bei 7,3 Prozent eine extraorale Ursache festgestellt. In absteigender Häufigkeit wurden bakterielle Zungenbeläge, Entzündungen des Zahnhalteapparates und Erkrankungen aus dem HNO-Bereich als Ursache eruiert.
Zusammenfassend zeigen die vorliegenden Daten einer deutschen Mundgeruch-Sprechstunde, dass bakterielle Beläge im Mundbereich die Hauptursache für Mundgeruch darstellen, gefolgt von Erkrankungen aus dem HNO-Bereich.
Dr. Rainer SeemannDr. med. dent. Mozhgan BizhangUrsula HöferProf. Dr. Klaus-Roland JahnAbteilung für Zahnerhaltung und Präventivzahnmedizin,Zentrum für ZahnmedizinCharité – Universitätsmedizin Berlin,Campus VirchowAugustenburger Platz 113353 Berlinrainer.seemann@charite.de
Dr. med. Dr. med. dent. Cyrus Djamchidiehemals Hals-, Nasen- und Ohrenklinik,Charité – Universitätsmedizin Berlin, jetzt infreier Praxis, Corneliusstr. 1, 12247 Berlin
Priv. Doz. Dr. med. Andreas KageInstitut für Laboratoriumsmedizin undPathobiochemie,Charité – Universitätsmedizin Berlin,Campus Virchow,Augustenburger Platz 113353 Berlin
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Klassifikation
Merkmale
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I echte Halitosis
Deutlicher Foetor über dem sozial verträglichen Level
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A) physiologische Halitosis
Temporär auftretender Foetor mit Ursprung in der Mundhöhle, wobei keine spezielle Erkrankung oder ein pathologischer Prozess vorliegt. Geruchsquelle ist meist der dorsale Anteil des Zungen-rückens. Temporär auftretender Foetor auf Grund des Genusses bestimmter Nahrungs- und Genussmittel (Knoblauch, Alkohol) sollte ausgeschlossen werden.
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B) pathologische Halitosis
Orale Ursache
Foetor durch pathologischen Prozess innerhalb der Mundhöhle
Foetor durch Zungenbelag, modifiziert durch pathologische Zustände (z.B. Parodontopathien, Xerostomie)
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Extraorale Ursache
Foetor aus dem HNO-Bereich (z.B. nasal, paranasal, laryngeal)
Foetor aus dem Atmungs- und dem oberen Verdauungstrakt Foetor auf Grund anderer Allgemeinerkrankungen (z.B. Diabetes, Leberzirrhose, Urämie)
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II Pseudo-Halitosis
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Patient klagt über Mundgeruch, obwohl von anderen Personen dieser nicht wahrgenommen werden kann. Die Situation verbes-sert sich durch Aufklärung des Patienten mithilfe von Literatur und der Besprechung der Untersuchungsergebnisse.
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III Halitophobie
Patient klagt über Mundgeruch, obwohl von anderen Personen dieser nicht wahrgenommen werden kann. Der Patient ist durch intensive Aufklärung und Besprechung der Untersuchungsergeb-nisse nicht davon zu überzeugen, dass kein Foetor vorliegt.
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