Bundeswehreinsatz anlässlich des Tsunami-Bebens

Zahnmedizinische Hilfe an Bord der „Berlin“

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Heftarchiv Zahnmedizin
Anlässlich der großen Tsunami-Katastrophe, über die an dieser Stelle schon mit diversen Beiträgen (zu erhalten über den Leserservice) berichtet wurde, startete ein Bundeswehrschiff nach Indonesien, um vor Ort medizinische Hilfe zu leisten. Mit an Bord eine junge Zahnärztin.

Im Zuge einer gewaltigen weltweiten Hilfsaktion entschied die Bundesregierung nur wenige Tage nach der großen Katastrophe, den Einsatzgruppenversorger (EGV) „Berlin“ und ein Luftlanderettungszentrum nach Nord-Sumatra zu entsenden, um in Indonesien einen humanitären Beitrag zu leisten.

Der Einsatzgruppenversorger ist eine neue Versorgungsschiffklasse der Deutschen Marine, die als logistische und sanitätsdienstliche Unterstützungseinheit im Rahmen von Einsätzen und Manövern innerhalb von sowohl nationalen als auch multinationalen Flottenverbänden dient.

Das Krankenhaus an Bord des Marineschiffes

Mit 173 Metern Länge und 22 000 Tonnen Verdrängung sind die beiden EGV’s („Berlin“ und „Frankfurt am Main“) die größten Schiffe der Deutschen Marine. Integriert ist ein Marineeinsatzrettungszentrum (MERZ), das mit modernster Ausstattung, einer 32-Bettenstation, zwei Operationssälen und nicht zuletzt einer zahnärztlichen Behandlungseinrichtung die medizinische Versorgung eines Flottenverbandes auf der Ebene

einer erweiterten Rettungsstation sicherstellt. Im Rahmen jedes größeren Seefahrtvorhabens eines Schiffes oder Verbandes der Marine ist es ohnehin gängige Praxis, eine(n) Zahnärztin/Zahnarzt für die Versorgung der Besatzungen einzuschiffen.

Der EGV „Berlin“ befand sich zu dem Zeitpunkt des Bebens gerade in einem internationalen Einsatz (Operation „Enduring Freedom“) am Horn von Afrika und machte sich dann zum Noteinsatz kurz vor der Jahreswende auf den Weg nach Indien. Nach einer Woche Hochseefahrt mit Volldampf lief das schwimmende Hospital am 6. Januar 2005 in Cochin/Westindien ein. Hier wurden neben Hilfsgütern, Ärzte und weiteres medizinisches Personal zusätzlich an Bord genommen. Die Ärzte waren direkt nach Cochin geflogen, alle medizinischen Fachdisziplinen außer HNO waren vertreten. Diese Planung führte zur maximal möglichen medizinischen Besatzungsstärke von 53 Personen. Während des gesamten Einsatzes, der bis zum 18. März 2005 andauerte, wurden 75 Patienten an 492 Pflegetagen stationär behandelt. 67 Operationen, wurden in den zwei Operationssälen durchgeführt. 400 stationäre und ambulante zahnärztliche Behandlungen fielen an.

Als das Schiff am 13. Januar schließlich am Einsatzort im Norden von Sumatra ankam, bestanden die ersten Tage im Wesentlichen daraus, sich ein Bild über die medizinischen Erfordernisse in der Region Banda Aceh zu machen. Denn alle Einsatzmöglichkeiten des MERZ sollten möglichst sinnvoll in die schon vorhandene Organisationsstruktur der WHO und der anderen Hilfsorganisationen integriert werden.

Hubschrauber statt Krankenwagen

In diesem Zusammenhang spielten die beiden auf der „Berlin“ befindlichen Transporthubschrauber vom Typ „Sea King“ eine wichtige Rolle. Sie sollten als flexibelstes Transportmittel in der durch den Tsunami unwegbar gemachten Küstenregion Banda Acehs noch wichtige Dienste leisten.

Um also nicht unabgestimmt zu agieren, gab es zunächst Koordinierungsgespräche, die es ermöglichten, den Einsatzgruppenversorger gezielt im Gefüge der internationalen Hilfe zu platzieren.

Das Marineeinsatzrettungszentrum besteht unter anderem aus 26 so genannten 20-Fuß-Containern, von denen zwei für die zahnärztliche Versorgung bestimmt sind. Diese stellen die Infrastruktur und das Equipment des Zahnarztes an Bord dar. Die Container enthalten eine komplette zahnärztliche Behandlungseinheit, ein Röntgengerät für Zahnfilme und OPG sowie ein komplettes zahntechnisches Labor.

Bislang war die zahnärztliche Behandlung in vollem Umfang vorrangig für die Besatzung der „Berlin“ und für die Soldaten des Landkontingentes vorgesehen. Auch sollten Angehörige der Non/Governmental Organisation (NGO/GO) auf dem Schiff versorgt werden, sofern sie medizinische und zahnmedizinische Hilfe benötigen. Für indonesische Patienten war die Notfallbehandlung geplant, insbesondere für vital bedrohliche Fälle. Aber alles kam anders. Es zeigte sich schon sehr bald, dass auch die überlebende einheimische Bevölkerung die direkte zahnärztliche Hilfe dringend benötigte. Zwar war die zahnärztliche Tätigkeit im Wesentlichen auf die stationär aufgenommenen Patienten beschränkt, aber immer wieder kamen deren Angehörige, die sich nach indonesischer Tradition auch im Krankenhaus um die Pflege des erkrankten Familienmitgliedes kümmern, mit ihren zum Teil gravierenden Zahnproblemen in die Bordpraxis.

Facettenreiches orales Behandlungsspektrum

Zu den durchgeführten Behandlungen zählte das gesamte Spektrum der konservierenden Zahnheilkunde, der zahnärztlichen Chirurgie und auch teilweise der Prothetik, wie die Anfertigung von provisorischem Zahnersatz, Reparatur von Zahnersatz und mehr.

Auffallend bei den indonesischen Patienten war der ungewöhnlich hohe Bedarf an Lokalanästhetika im Vergleich zur kaukasischen Bevölkerungsgruppe, bei vergleichsweise niedriger angegebener Schmerzintensität. Äußerst ungewöhnlich war auch die Konstellation der Einzelbefunde der Zähne in einem Gebiss. So waren bei vielen indonesischen Patienten zerstörte Zähne inmitten eines völlig gesunden und eugnathen Gebisses zu finden. Diese Zähne wurden von den Patienten, obwohl abszedierend, nicht als schmerzhaft, sondern eher nur als störend angegeben.

Trotz der hohen Anzahl der zu behandelten Patienten konnten nur bei einem der Indonesier zahnärztliche Restaurationen dokumentiert werden. Problematisch gestaltete sich dafür die Kommunikation mit den Einheimischen. Nur die wenigsten unter ihnen beherrschten eine Fremdsprache, meistens waren es nur wenige englische Worte, obwohl sie nie Umgang mit Touristen hatten.

Dengue-Fieber-Patientin als Dolmetscherin

Eine indonesische Krankenschwester mit guten Englischkenntnissen, die ursprünglich als Patientin mit einem hämorrhagischen Dengue-Fieber auf das Schiff kam, wurde nach ihrer Genesung als Dolmetscherin eingestellt und erleichterte die Arbeit aller Mediziner und Pflegekräfte an Bord erheblich.

Einen besonderen Fall stellte ein fünfjähriges Mädchen mit abszedierendem Zahn 65 dar. Die abszessbedingte Schwellung reichte bis über die linke Orbita und erstreckte sich weiter temporal bis zum linken Ohr. Neben den klassischen Symptomen einer fortschreitenden bakteriellen Infektion, wie Fieber, Rötung, Schwellung und Leukozytose, bot sich zudem eine inkomplette Hemiparese rechts. Nach Inzision des Abszesses unter Erhalt des Zahnes 26 in Intubationsnarkose und entsprechender Nachbehandlung kam es zu einer restitutio ad integrum.

Gerade dieser Fall zeigt, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte auf einem solchen Einsatzschiff interdisziplinär gefordert werden.

Für die Bundeswehr, den Einsatzgruppenversorger „Berlin“ mit MERZ und für alle Kollegen und Pflegekräfte war dies ein nicht alltäglicher, gleichwohl interessanter und erfolgreicher humanitärer Hilfseinsatz

Oberstabsarzt Katharina BertschatLeitsanitätszentrum 130Zahnarztgruppe WilhelmshavenHeppenser Groden26384 Wilhlemshaven

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