Lebensversicherung: Urteile machen den Kunden zum König

Der Trend zu Secondhand

Ein größerer Anteil am Gewinn winkt den Kunden jetzt bei Lebensversicherungen – doch es gibt noch andere Möglichkeiten, die Police zu nutzen.

Für diesen Wirbel sorgte im Juli das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil in Sachen Lebensversicherung zu Gunsten der Verbraucher, der Bundesgerichtshof legte im Oktober nach. Die goldenen Zeiten für die Lebensversicherer sind wohl vorbei. Konnten sie im vergangenen Jahr noch einmal den großen Reibach machen bevor Ende 2004 das Steuerprivileg fiel, scheinen sich nun die Gerichte gegen sie verschworen zu haben.

Angestoßen

Im Juli beschlossen die Verfassungsrichter, dass die Kunden ab 2008 endlich mehr Anspruch auf Informationen darüber haben sollen, was mit ihren Beiträgen geschieht (BvR 80/05). Außerdem sollen die Lebensversicherer einen größeren Teil des Gewinns abgeben. Kunden der Gesellschaften Gothaer, Deutscher Herold und R+V haben diesen Sinneswandel gegenüber der Assekuranz ins Rollen gebracht. Mit Unterstützung des Bundes der Versicherten fochten sie nach jahrelangem Streit nun ihre Ansprüche vor dem höchsten Gericht aus und bekamen Recht. Gemeint waren natürlich die ganze Branche und auch der Gesetzgeber, der die Rechte der Versicherten ungenügend geschützt hatte. Bislang hatten Letztere kaum Möglichkeiten, die Gewinnverteilung zu kontrollieren. Doch inzwischen haben die Verfassungsrichter die Unternehmen dazu verdonnert, ihre Karten offenzulegen, sprich Überschüsse, Kosten sowie die Guthaben der Kunden. Und die Versicherten, die ihren Vertrag vorzeitig kündigen, sollen mit höheren Rückkaufswerten abgegolten werden.

Lichtblicke und …

In punkto vorzeitige Kündigung, legte der Bundesgerichtshof (BGH) Mitte Oktober noch einmal nach (BGH, Az.:IV ZR 162/03, 167/03, 245/03 vom 12. Oktober 2005). Bereits im Mai 2001 hatte der BGH Vertragsklauseln, die den Rückkaufswert, die Verrechnung der Abschlusskosten und die Stornoklauseln betreffen, für unwirksam erklärt, weil sie für die Kunden unverständlich waren. Sie sollten diese durch neue, klarere aber auf keinen Fall inhaltsgleiche Bestimmungen ersetzen. Doch genau dies haben die Gesellschaften getan.

Die Richter zogen die Konsequenz: Wird ein Vertrag vorzeitig gekündigt, darf der Rückkaufswert einen Mindestbetrag nicht unterschreiten. Den Kunden stehen nach diesem Urteil etwa 40 Prozent der eingezahlten und verzinsten Prämien zu. Damit die Unternehmen in Zukunft richtig rechnen, gab der BGH ihnen eine Formel an die Hand, nach der sie in Zukunft die Beteiligung der Kunden ermitteln sollen.

Dieses Urteil betrifft rund 15 Millionen Verträge, die zwischen 1994 und 2001 abgeschlossen worden sind. Nach den alten Regeln blieb jenen Kunden, die nur ein paar Jahre Beiträge zahlten, kaum etwas von ihrem Ersparten übrig, wenn sie ihre Police aus irgendeinem Grund vor Ablauf des Vertrags kündigen mussten. Die Kosten, die bei Abschluss des Vertrages entstanden sind, rechneten den Rückkaufswert klein. Damit hat es jetzt ein Ende. Die Kunden dürfen nicht länger leer ausgehen.

… Gewitterwolken

Kritiker aber sehen bereits jetzt, dass auch dieses Mal am Ende der Kunde wieder der Dumme sein könnte: Schütten die Unternehmen in Zukunft bei Kündigungen mehr aus, bleibe für jene Versicherten, die ihre Police bis zum Ende der vereinbarten Laufzeit bedienen, eben weniger übrig.

Zapfen die Gesellschaften ihre stillen Reserven an, um die Ansprüche ihrer Kunden zu befriedigen, fehlt ihnen möglicherweise das Auffangnetz, um schwache Börsenzeiten abzusichern. Sie würden dann weniger in Aktien investieren, die Renditen sänken und am Ende hätte der Kunde einmal mehr das Nachsehen.

Beschwert

Keinerlei Auswirkungen hat das Urteil bei Verträgen, die nicht gekündigt werden. Und für die nach 2001 abgeschlossenen Verträge verlangen die Richter nur mehr Transparenz. Die Vorgaben für die Rückzahlung beschränken sich auf die Aufforderung, die Kunden angemessen am Gewinn zu beteiligen.

Dennoch hofft der Ombudsmann für Versicherungen, der ehemalige BGH-Richter Wolfgang Römer, dass er in Zukunft weniger Arbeit haben wird. Denn bislang nahmen ihn die Beschwerden über die Lebenspolicen am häufigsten in Anspruch. Ihr Anteil am gesamten Beschwerdeaufkommen beträgt 35 Prozent.

Die Richter haben in dem Urteil vom Sommer bislang nur Verträge berücksichtigt, die über den 31. Dezember 2008 laufen. Kunden, deren Verträge vorher enden, gehen demnach leer aus. Jetzt ist der Gesetzgeber gefragt. Er muss prüfen, inwieweit laufende Verträge in den Genuss der Neuregelung kommen. Die beiden wichtigsten Punkte:

• Die Versicherer dürfen ihre Gewinne nicht mehr so einfach verbergen. Wieviel sie in Zukunft an ihre Kunden abgeben müssen, bleibt aber auch nach diesem Urteil offen. Die Richter gestehen den Unternehmen selbstverständlich finanzielle Polster zu, um sich gegen die Wehen des Kapitalmarkts zu schützen. Das ist weitsichtig gedacht: Sonst geriete die Höhe des Garantiezinses wieder in die Diskussion – zumal er ab 2007 von derzeit 2,75 auf 2,25 Prozent sinken soll.

• Die Kunden bekommen endlich Einblick in Gewohnheiten der Kostenverrechnung. Die Assekuranz muss ihnen offenbaren, wie viel von ihren Beiträgen für Verwaltung, Abschlussgebühren und Risikoschutz abgezwackt wird. Sie werden dann wissen, wie viel in Wirklichkeit auf ihrem Guthabenkonto landet. Im Durchschnitt liegen die Quoten zwischen 75 und 90 Prozent der eingezahlten Raten.

Kosten sparen beim Ausstieg

Die Aussicht auf eine gerechte Beteiligung am angesparten Kapital wird in Zukunft wahrscheinlich noch mehr Kunden als bisher verlocken, aus ihren Verträgen auszusteigen. Offiziell spricht die Branche von 50 Prozent der Policen, die vorzeitig gekündigt werden. Es dürften mehr sein.

Viele der Besitzer können die Beiträge nicht mehr bezahlen. Andere suchen nach einer attraktiveren Anlage. Um aus dem lang laufenden Vertrag auszusteigen, wählen die meisten den Weg der Kündigung. So gelangen sie zumindest an einen kleinen Teil ihres Kapitals. Doch bevor in Not geratene Sparer zu solchen Mitteln greifen, gibt es noch andere Möglichkeiten, Kosten zu sparen.

• Der Versicherer kassiert höhere Beiträge für die gleiche Leistung, wenn der Kunde monatlich statt einmal im Jahr seine Beiträge zahlt. Insgesamt macht das – so zum Beispiel die Zeitschrift „Finanztest“ rund fünf Prozent aus.

• Es kann sich lohnen, den Vertrag auf teure und überflüssige Extras hin zu überprüfen. So lohnt sich beispielsweise ein Zusatz auf Unfalltod kaum, da dieser Fall selten eintritt. Passiert das Unglück doch, reicht die Absicherung dann oft nicht aus.

• Auch der Einbau einer Dynamik, bei der sich die Beiträge der Inflationsrate und der Einkommenssteigerung anpassen, lohnt sich aufgrund der zusätzlichen Kosten meistens nicht.

Reichen diese Maßnahmen nicht aus, setzt der Versicherte einfach nach Absprache mit der Gesellschaft für eine Weile die Zahlung der Beiträge aus, verringert damit allerdings entsprechend auch die Ablaufleistung. Gelingt es, die Beiträge später inklusive der Zinsen nachzuzahlen, kann er seine Ansprüche auf die volle Leistung wahren.

Der Markt für Gebrauchte blüht

Wer aus welchen Gründen auch immer seine Police los werden will, für den gibt es eine attraktive Alternative zur Kündigung: Inzwischen hat sich ein relativ gut funktionierender Zweitmarkt für Lebensversicherungen aufgebaut.

Gesellschaften wie Cash Life, Agis oder Partner in Life kaufen die Verträge und zahlen dem Verkäufer etwa zwei bis drei Prozent mehr als der Versicherer. Die Second-Händler outen sich aber nicht als karitative Unternehmen. Vielmehr zahlen sie die Beiträge bis zur Auszahlung weiter und kassieren dafür die gesamte Summe. So haben beide Seiten einen Vorteil. Die Aufkäufer sammeln die gebrauchten Policen in einem Fonds, den wiederum Anleger zeichnen können (siehe Beitrag: Geschlossene Fonds in diesen zm). Will der Versicherte noch vor Ablauf von zwölf Jahren seinen Vertrag los werden, droht ihm normalerweise die Kapitalertragsteuer plus Solidaritätsabgabe. Ein Verkauf der Police erspart ihm diese Abgaben.

Bei Aufkäufern weniger gefragt sind Fondspolicen. Doch die Konkurrenz auf dem Gebrauchthandelsmarkt nimmt zu. Inzwischen tummeln sich dort zehn Unternehmen. Für die Kunden verbessern sich so die Aussichten, möglichst schnell an ihr Geld zu gelangen, auch wenn sie Verträge zu bieten haben, die entweder erst kurz oder besonders lange laufen. Die Anbieter selbst tun gut daran, verschiedene Offerten für ihre Police einzuholen, um einen möglichst hohen Preis zu erzielen.

Die Justizministerin ist jetzt gefragt. Sie muss die recht schwammigen richterlichen Vorgaben in neue möglichst klare Gesetze fassen. In erster Linie sollte sie dabei an die – bisher geplagten – Verbraucher denken.

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