Systemische Erkrankung in der Zahnarztpraxis

Ektodermale Dysplasie – eine Literaturübersicht

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Die ektodermale Dysplasie (ED) ist eine hereditär bedingte Erkrankung, bei der die Zähne einen bedeutenden diagnostischen Stellenwert einnehmen. Nicht selten wird der Zahnarzt aufgrund der fehlenden Zähne oder deren Größenreduktion und Deformierung als Erstes aufgesucht. Eine prothetische Versorgung ist schon im Kindesalter nötig, um die Kaufunktion zu gewährleisten sowie möglichen psychologischen Problemen vorzubeugen. Der Erhalt der vorhandenen Zähne ist von enormer Wichtigkeit, da diese wesentlich zur prothetischen Versorgung beitragen. Aufgrund des noch bevorstehenden Wachstums sind engmaschige Kontrolluntersuchungen einhergehend mit Anpassungen oder Erneuerungen der prothetischen Versorgung nötig.

Einleitung

Die ektodermale Dysplasie (ED) ist eine erblich bedingte Erkrankung, die mit einer Entwicklungsstörung der sich aus dem Ektoderm entwickelnden Organe (Nägel, Drüsen, Haare, Zähne) assoziiert ist [52].

Es gibt mehr als hundert verschiedene Formen der ektodermalen Dysplasie [52]. Freire-Maia und Pinhero [22] konnten mit ihren Untersuchungen 117 unterschiedliche Krankheitsbilder nachweisen. Die meisten davon sind sehr selten. Einige davon sind mit einer Lippen-Kiefer-Gaumen- Spalte vergesellschaftet (zum Beispiel Hay- Wells-Syndrom, Ectrodactyly-Ectodermal- Dysplasia-Clefting-Syndrome (EEC), Rapp- Hodgkin-Syndrom).

Aufgrund der Variabilität der Ausprägung und der Überschneidung der klinischen Merkmale wird zukünftig die Abgrenzung der einzelnen Formen der ektodermalen Dysplasie anhand der beteiligten Gene erfolgen [37].

Einteilung

In der Literatur werden zwei Hauptformen der ektodermalen Dysplasie hervorgehoben, die hidrotische und die hypohidrotische (anhidrotische) ektodermale Dysplasie.

Bei der hidrotischen ektodermalen Dysplasie handelt es sich um eine autosomal dominant vererbte Erkrankung, bei der beide Geschlechter betroffen sein können. Sie wird von der hypohidrotischen Form durch das Vorhandensein von mukösen Drüsen und somit der Fähigkeit der betroffenen Personen zu schwitzen und ihre Körpertemperatur zu regulieren unterschieden [12]. Die am häufigsten beschriebene Form ist die hypohidrotische ektodermale Dysplasie, die auch als Christ-Siemens-Touraine-Syndrom bekannt ist. Sie wird hauptsächlich X-chromosomal vererbt und hat eine Häufigkeit von 1–7:100.000 [15]. Das Gen (Genort: Xq13.1) zeigt im weiblichen Geschlecht nur geringfügig ausgeprägte Charakteristika der Erkrankung, wie eine geringe Hypodontie oder/und zapfenförmige Zähne oder auch regionales Fehlen von Schweißdrüsen [24]. Seltener ist ein autosomal dominanter oder ein rezessiver Erbgang ohne Geschlechtsunterschiede [37].

Die Diagnose der hypohidrotischen ektodermalen Dysplasie (HED) wird in der Regel vor dem zweiten Lebensjahr gestellt. Die Kinder weisen aufgrund der Unfähigkeit zu schwitzen hohe, lebensbedrohliche Fieberschübe unklarer Genese auf [24]. Diese Erkrankung kommt unabhängig von der Rasse in jeder Population vor [15]. Die Diagnose kann anhand der Anzahl der Schweißdrüsen, die funktionsfähig sind und Schweiß produzieren, im untersuchten Hautbezirk gestellt werden. Strukturelle und biochemische Untersuchungen der Haare sind ebenso möglich. Die Zähne haben einen bedeutenden diagnostischen Stellenwert [42].

Charakteristika

Hauptcharakteristika des Christ-Siemens- Touraine-Syndromes sind eine Oligodontie bis hin zur Anodontie, eine Hypotrichosis und eine Hypohidrosis. Die charakteristischen Begleiterscheinungen verursachen ein unverwechselbares Aussehen der Patienten sowie eine starke Ähnlichkeit aller Betroffenen. Es besteht eine ausgeprägte Stirnregion und eine abgeflachte Nasenwurzel. Des Weiteren weisen diese Patienten meist Schmoll-Lippen auf. Dies wird aufgrund der verminderten vertikalen Gesichtshöhe durch das Fehlen der Zähne verursacht. Die Haare dieser Kinder sind sehr dünn und oft blond. Wimpern und Augenbrauen sind nicht ausgebildet. Zu den äußeren Merkmalen gehören ebenso tief ansetzende und abstehende Ohren (Abb. 1) [7, 24, 25, 27, 44]. Histopathologische Untersuchungen haben eine Aplasie der mukösen Drüsen und derjenigen des respiratorischen Traktes gezeigt. Durch die mögliche Atrophie der pharyngealen und laryngealen Mucosa kann eine Dyspnoe bei den betroffenen Patienten vorliegen [20].

Mehrere Autoren fanden auch eine Atrophie der nasalen Mucosa, welche mit einer starken Krustenbildung einhergeht und durch das Vorhandensein eines charakteristischen fötiden grünen Sekretes begleitet wird [24]. Oft zeigen diese Kinder auch Infektionen des Atemtraktes sowie eine allergische Disposition (zum Beispiel Asthma). Durch das Fehlen der mukösen Drüsen haben die betroffenen Kinder meist eine dünne, trockene und weiche Haut. Eine zunehmende Pigmentierung kann um Augen und Mund herum beobachtet werden. Die Nägel sind normal oder löffelartig gekrümmt, und es werden auch Hyperkeratosen der Handflächen und Fußsohlen gefunden. Die mentale Entwicklung kann, aufgrund der hohen Fieberschübe im Kleinkindesalter, gestört sein [7]. Die Störung der Wärmeregulation manifestiert sich bereits im frühen Säuglingsalter durch Wärmestauungen, welche zu lebensbedrohlichen Zuständen führen können [50]. Bei der hidrotischen ektodermalen Dysplasie sind alle Ektodermaldefekte ohne Beteiligung der Schweißdrüsen in milderer Ausprägung vorhanden. Dies betrifft auch die Anomalien der Zähne [37].

Zahnanomalien

Wie schon erwähnt, sind bei Kindern mit ektodermaler Dysplasie oft Zähne nicht angelegt (Hypodontie). Eine Anodontie ist sehr selten, eine Oligodontie dagegen sehr häufig und in den unterschiedlichsten Ausprägungsgraden zu finden (Abb. 3 und 4) [44]. Die vorhandenen Zähne sind im Frontbereich zapfenförmig und/oder hypoplastisch (Abb. 6). Die Seitenzähne weisen eine Größenreduktion auf. Das Vorkommen von taurodonten Molaren in Assoziation mit ektodermaler Dysplasie wird in der Literatur angegeben [51]. Milchzähne sind im Vergleich zu den bleibenden Zähnen weniger oft betroffen [36, 44]

Kongenital nicht angelegte Zähne fehlen mit einer gewissen Symmetrie in den jeweiligen Kiefern. Das Fehlen von homologen Zähnen [51] und eine verzögerte Eruption der Milchzähne sind häufig zu beobachten. Es können Zähne impaktiert sein, und auch Transpositionen treten auf [12]. Durch das Fehlen von Zähnen ist der Alveolarknochen in diesen Regionen nicht ausgebildet. Oft ist nur eine ganz dünne Knochenschicht zwischen dem spärlich ausgebildeten Alveolarknochen des Oberkiefers und der Kieferhöhle im Orthopantomogramm zu sehen, und der Gaumen ist klinisch sehr flach [33]. Dies führt zu einer erschwerten prothetischen Versorgung. Gewöhnlich resultiert aus der Abwesenheit der Zähne und des Alveolarknochens eine verminderte untere Gesichtshöhe [46]. Das skelettale Wachstum des Viszerokraniums ist nicht betroffen, jedoch führt die verminderte dentale und damit alveoläre Entwicklung zu einem Wachstum, welches sich an der untersten Grenze der Norm befindet [14, 32, 43]. Die Anomalien der Zähne veranlassen die Eltern, ihre Kinder oft sehr früh zu einem Zahnarzt zu bringen.

Behandlungszeitpunkt und Behandlungsvorgang

Eine frühe prothetische Versorgung ist sehr wichtig, um eine angemessene Funktion (Kauen, Sprechen), eine ausreichende Ästhetik und eine normale psychologische Entwicklung dieser Kinder zu ermöglichen. In der Literatur wird die prothetische Versorgung vor der Schuleinweisung empfohlen [6, 48]. Boj et al. [8,9] empfehlen aufgrund der positiven Erfahrung bei der prothetischen Versorgung eines dreijährigen Jungen eine sehr frühe Behandlung bei Vorliegen einer ektodermalen Dysplasie. Auch Shore [44] und Cook und Kane [16] berichten von positiven Erfahrungen bei einer sehr frühen prothetischen Versorgung dreiund vierjähriger Kinder. Parsché et al. [38] empfehlen, eine prothetische Versorgung so früh wie möglich, spätestens jedoch ab dem vierten Lebensjahr, vorzunehmen. Diese soll sowohl die soziale Integration fördern als auch zur wesentlichen Verbesserung der Kaufähigkeit führen. Die orale Rehabilitierung im frühen Alter ermöglicht den Kindern eine frühe Adaptation an den Zahnersatz. Auch der mögliche Bedarf an einer logopädischen Behandlung spricht dafür, die prothetische Versorgung rechtzeitig vorzunehmen. Von einer Behandlung in Sedierung oder sogar in Narkose ist abzuraten. Durch das Fehlen der Mitarbeit des Kindes wird eine Adaptation an den Zahnersatz nach Fertigstellung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfolgen. Der Erfolg ist von der Mitarbeit des kleinen Patienten abhängig. Zu empfehlen ist daher eine Behandlung nach dem tell-show-do-Prinzip [8, 9, 41].

Behandlungsmethoden

Die prothetische Versorgung der kleinen Patienten mit ektodermaler Dysplasie sollte unter den Gesichtspunkten der Erhaltung der wenigen vorhandenen Zähne, der Berücksichtigung des Wachstums und der Korrektur des fazialen Dysmorphismus [8, 9, 21, 30, 51] vor allem hinsichtlich der reduzierten unteren Gesichtshöhe angefertigt werden. Eine Extraktion der dysmorphen Zähne [2, 49] ist aufgrund des damit verbundenen Alveolarknochenabbaus nicht indiziert [12].

Festsitzender Zahnersatz

Festsitzender Zahnersatz wird bei der Behandlung von Patienten mit ektodermaler Dysplasie selten angefertigt, weil viele Kinder nur eine sehr geringe Anzahl von Zähnen besitzen und somit eine Versorgung mit Brücken nicht möglich ist [40]. Außerdem muss immer das Wachstum der Kiefer bedacht werden. Festsitzender Zahnersatz kann das Wachstum behindern. Im Falle einer festsitzenden Versorgung, welche die Mittellinie überkreuzt, würde eine transversale Wachstumshemmung resultieren [26]. Dieser Kontraindikation wird versucht Rechnung zu tragen, indem festsitzender Zahnersatz eingegliedert wird und das transversale Wachstum mit Hilfe einer Brückenteilung und der Simulierung eines Diastemas berücksichtigt wird [10].

Bei Anfertigung von einzelnen Kronen und beim Beschleifen der Zähne für die Aufnahme von Brückenankern dürfen das weite Pulpencavum und eventuell kurze Zahnkronen nicht außer Acht gelassen werden. Kronen vor allem zur Versorgung der Frontzähne [12, 19, 26], aber auch Veneers [28] werden oft in Kombination mit herausnehmbarem partiellem Zahnersatz eingesetzt [10, 12, 26, 28]. Auch Verankerungshilfen auf den mit Stahlkronen versorgten Milchmolaren wurden vorgeschlagen [2]. Letztere Option sollte nur bei kariösen Milchmolaren in Betracht gezogen werden.

Direkte Restaurationen (Füllungen)

Direkte Komposit-Restaurationen sind die am häufigsten angewandte Methode zur Restaurierung zapfenförmiger Zähne. Diese direkten Versorgungen werden auch in Kombination mit herausnehmbarem partiellem Zahnersatz angewandt (Abb. 6 und 7) [3, 40].

Herausnehmbarer Zahnersatz

Herausnehmbarer Zahnersatz ist meist das Mittel der Wahl bei Kindern mit ektodermaler Dysplasie [40]. Wegen der vorhandenen Hypodontie oder sogar Anodontie werden totale Prothesen [4, 8, 9, 13, 23, 31, 39, 41], Teilprothesen [2, 3, 18, 28] oder Overdentures [1, 5, 11, 33] angefertigt.

Die Prothesenstabilität erhöht sich mit der Anzahl der vorhandenen Zähne. Die Gestaltung der Prothese in Form einer partiellen Overdenture unter Einbeziehung der konischen Frontzähne in die Kunststoffbasis und anteriorer Aufstellung von Zahnfacetten wird von Belanger [5] empfohlen. Die Herstellung einer Totalprothese mit hoher Retention ist sehr schwierig aufgrund des Fehlens des Alveolarknochens. Bei der Behandlung von Erwachsenen hat sich die modifizierte mukostatische Abformung bewährt, welche auch bei Kindern bei guter Kooperation angestrebt werden sollte. Auf ein altersentsprechendes Aussehen der Prothesen, zum Beispiel durch die Verwendung von Prothesenzähnen, die den Milchzähnen in Farbe, Form und Aufstellung ähnlich sind, ist zu achten (Abb. 5). Es können auch verschiedene Durchbruchszeiten der Zähne simuliert werden, wenn dadurch die Prothesenstabilität beim Kauen nicht vermindert wird [8, 9, 40]. Die vertikale Höhe muss genau definiert werden, um die Kaufunktion herzustellen und die Ästhetik durch eine Verlängerung der unteren Gesichtshälfte zu verbessern.

Implantatgetragener Zahnersatz

Implantate mit kombinierter totalprothetischer Versorgung schon im Kindesalter werden in der Literatur aufgeführt. Neuere Veröffentlichungen [6, 29, 45] beschreiben die Anwendung von Implantaten zur Prothesenabstützung bei Kindern vor dem sechsten Lebensjahr. Obwohl Implantate in der Zukunft eine akzeptable und sicherlich häufig verwendete Methode zur Versorgung von Patienten mit ektodermaler Dysplasie sein werden, muss diese Art der Behandlung derzeit aufgrund der möglichen Komplikationen als experimentell angesehen werden. Die Platzierung der Implantate in solch dünnen Kiefern ist extrem schwierig und die Verlustrate dementsprechend sehr hoch [5]. Ein Implantat wird außerdem als ankylosierter Zahn angesehen [35, 45]. Ödman et al. [34] zeigten an im Wachstum befindlichen Tieren, dass osseointegrierte Implantate ankylosieren und das Knochenwachstum hemmen. Diese Befunde verdeutlichten die Kontraindikation bei wachsenden Individuen. Es wird daher empfohlen, Implantate erst nach Wachstumsende anzuwenden [47], trotz der dadurch möglicherweise erreichbaren höheren Stabilität der angefertigten Prothesen. Die Implantatversorgung von jungen Patienten mit ektodermaler Dysplasie sollte erst nach Beurteilung ihres dentalen und skelettalen Alters erfolgen [40]. Cronin et al. [17] weisen darauf hin, dass für eine bessere Prognose Implantate in diesem speziellen Patientenkollektiv frühestens nach dem 15. Lebensjahr bei Mädchen und dem 18. Lebensjahr bei Jungen gesetzt werden sollten. Untersuchungen zur Erstellung von Richtlinien zum Thema Implantatversorgung bei Kindern stehen noch aus.

Nachsorge

Patienten mit ektodermaler Dysplasie, die mit Zahnersatz versorgt wurden, sollten in kurzen Intervallen zwischen den Recall- Sitzungen zur Kontrolle der Versorgung, ihrer Passgenauigkeit und des Wachstums einbestellt werden [5]. Bei unzureichendem Halt der Versorgungen nach einer gewissen Zeit können diese unterfüttert oder erneuert werden. Auch die Okklusion kann sich aufgrund des Wachstums verändern und bedarf somit einer kontinuierlichen Überwachung. Engmaschige Kontrollen werden bis zum Wachstumsabschluss empfohlen [32]. Eine logopädische Behandlung sollte gegebenenfalls parallel stattfinden, um eventuell vorhandene Sprachfehler zu korrigieren.

Die Eltern sollten darüber aufgeklärt sein, dass während der Nachtruhe die Prothesen nicht getragen werden sollen und dass eine Reinigung der Prothese mit Zahnbürste und Zahnpasta sowie bei Bedarf mit speziellen Lösungen notwendig ist. Die wiederholte Instruktion und Motivation zur Mundhygiene ist aufgrund der zwar seltenen, aber durchaus vorliegenden Minderung der Speichelsekretion [18] von größter Bedeutung. Patienten mit ektodermaler Dysplasie bedürfen zum Erhalt der spärlich vorhandenen Eigenbezahnung einer intensiven prophylaktischen Betreuung.

Eine frühzeitige prothetische Versorgung von Kindern mit ektodermaler Dysplasie lässt eine schnelle Adaptation zu. Einer psychologisch negativen Entwicklung wird entgegengewirkt. Die Ästhetik, Kau- und Sprachfunktion sowie das Selbstbewusstsein des Kindes werden gesteigert.

Dr. Ekaterini PaschosProf. Dr. Ingrid Rudzki-JansonPoliklinik für Kieferorthopädie derLudwig-Maximilians-Universität München

Goethestr. 70, 80336 München

Dr. Karin HuthProf. Dr. Reinhard HickelPoliklinik für Zahnerhaltung undParodontologie der Ludwig-Maximilians-Universität München

Nachdruck aus dzz 9/04 mit freundlicher Genehmigung des Verlags

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