Endrunde für die neue Richtlinie
Ziel der europäischen Wirtschaftspolitik ist es, Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Doch der EU-Binnenmarkt funktioniert noch nicht ganz reibungslos. Es existieren zu viele Schranken, die seine Entwicklung bremsen. So sind große Bereiche, wie zum Beispiel der gesamte Dienstleistungssektor, bisher kaum von den Mitgliedstaaten geöffnet worden. Um hier Abhilfe zu schaffen, verfolgt die Europäische Kommission mehrere Strategien.
Sie hat mit der „Zweiten Binnenmarktstrategie 2003 bis 2006“ einen Zehn-Punkte- Plan vorgelegt. Dabei handelt es sich um einen umfangreichen Maßnahmenkatalog mit Einzelstrategien und Gesetzgebungsentwürfen. Dazu gehören beispielsweise zwei Bereiche, die die Heilberufler besonders tangieren, nämlich die Richtlinie zur Anerkennung von Berufsqualifikationen und die Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt.
Ein erster Aktionsbereich ist die Neuregelung zur Anerkennung beruflicher Qualifikationen. Für die Freien Berufe sind bisher die seit Jahrzehnten bewährten sieben sektoralen Richtlinien auf EU-Ebene anwendbar, welche automatisch die Diplomanerkennung bei Vorliegen bestimmter Kriterien zwischen allen Mitgliedstaaten gewährleisten. Dies gilt insbesondere für die Gesundheitsberufe (Ärzte, Zahnärzte, Krankenpfleger, Tierärzte, Apotheker, Hebammen) und für Architekten.
Horizontal statt sektoral
Die EU-Kommission hat am 7. Februar 2002 einen neuen Entwurf für eine Richtlinie zur Anerkennung von Berufsqualifiaktionen vorgelegt. Ziel ist es, künftig für alle Berufe eine durchgängige Regelung zu schaffen, bei der gegenseitig und automatisch die Anerkennung von Berufsabschlüssen erfolgen soll. Die Krux: Die Regelung soll für alle Berufe durchgängig gelten. Das heißt, ob gewerbliche oder freiberufliche, handwerkliche, kaufmännische, industrielle oder medizinische Berufe – alle werden über einen Kamm geschoren und für alle soll künftig eine einzige horizontale Richtlinie gelten.
Vor allem den Besonderheiten der Freien Berufe trägt das nicht richtig Rechnung. Folgende Probleme tun sich auf:
•Beratende Ausschüsse fallen weg, stattdessen soll ein einziger Regelungsausschuss für alle Bereiche greifen:
Die bisherigen sektoralen Richtlinien sehen für jeden einzelnen Beruf einen so genannten Beratenden Ausschuss vor, um die Berufsbilder auf neuestem wissenschaftlichen und technischen Stand zu halten und berufsspezifisch anzupassen. Sie setzen sich je nach Berufsbild zusammen aus Vertretern der jeweiligen Regierungsministerien, der Hochschul- und Ausbildungseinrichtungen sowie der nationalen Berufskammern und -verbände. Der neue Richtlinienentwurf sieht nur einen einzigen Regelungsausschuss für alle Berufe vor, in den je ein Vertreter der Ministerien entsandt wird.
Die Heilberufler auf europäischer Ebene betrachten dies als kritisch. Denn: Die Berufspraxis ist damit nicht mehr eingebunden, ebenso wenig die Vertreter der Hochschulen. Es fragt sich, wie eine einzige ministeriale Person in der Lage sein kann, die Spezifika aller freiberuflichen und gewerblichen Dienstleistungsbereiche in die Beratungen einzubringen.
•16-Wochen-Regelung:
Nach dem neuen Richtlinienentwurf kann ein Dienstleistungserbringer bis zu 16 Wochen pro Kalenderjahr Leistungen in einem anderen Mitgliedsstaat anbieten, ohne dass die Berufsaufsicht des Gastlandes hiervon unterrichtet werden muss. Auch dies wurde seitens der Heilberufler auf europäischer Ebene mit Vehemenz abgelehnt. Die neue Regelung könnte zu Wettbewerbsnachteilen für inländische Freiberufler und zum Abbau des einheitlichen Qualifikationsniveaus führen. So könnten zum Beispiel Patienten ausländische Ärzte und Zahnärzte konsultieren, ohne im Falle eines Fehlverhaltens auf den Schutz der innerstaatlichen Berufsaufsicht vertrauen zu können.
Eine strategische Allianz
Wie bei allen europäischen Belangen macht es auch bei der Berufsqualifikationsrichtlinie Sinn, dass sich die betroffenen Berufsverbände zusammentun, um gemeinsam ihre Interessen gegenüber der EU zu vertreten. So haben die europäischen Heilberufler eine strategische Allianz eingerichtet, um ein konzertiertes und abgestimmtes Lobbying zu betreiben. Die Bundeszahnärztekammer ist – von Anfang an eingebunden über ihr Brüsseler Büro – zusammen mit dem zahnärztlichen Verbindungsausschuss zur EU (Dental Liaison Committee DLC) und mit allen Repräsentanten der europäischen Dachverbände der Heilberufe hier aktiv.
Hierzu gehören gemeinsame Stellungnahmen zu den Gesetzesvorhaben, gemeinsam formulierte und vorgetragene Änderungsanträge, Hintergrundgespräche mit Europaabgeordneten und Kommissionsvertretern. Prof. Dr. Wolfgang Sprekels, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer und in dieser Funktion zuständig für internationale Belange, fasst die Haltung der europäischen Heilberufler zusammen: „Wir unterstützen einen gut funktionierenden Binnenmarkt, der sowohl den Patienten wie auch den Erbringern von gesundheitlichen Dienstleistungen zugute kommt. Dabei muss allerdings der hohe Qualitätsstandard der Gesundheitsleistungen erhalten bleiben.“
Die Mühlen in Europa mahlen langsam, aber stetig: Das gesetzgeberische Verfahren läuft seit 2002. Inzwischen haben sich das europäische Parlament und der Europäische Rat, die die Richtlinie gemeinsam mit der Kommission erlassen müssen, kritisch mit dem Entwurf auseinandergesetzt. Im Februar 2003 hat der federführende Rechtsausschuss im Europaparlament eine ganze Reihe von Änderungen vorgetragen, die etliche Vorschläge aus den Reihen der Heilberufe aufgreifen – ein Zeichen dafür, dass das konzertierte Vorgehen bereits Früchte getragen hat. Nachdem das Europäische Parlament am 1. Februar 2004 seinen Bericht zur Richtlinie („Bericht“ bedeutet: Mit Änderungsanträgen zu den einzelnen Artikeln des Gesetzestextes) verabschiedet hat, liegt nun seit dem 21. Dezember 2004 der Gemeinsame Standpunkt des Rates und des Parlamentes vor.
Die europäischen Heilberufler sind mit dem Ergebnis bisher im Großen und Ganzen zufrieden. So soll laut diesem Papier die 16- Wochen-Regelung für vorübergehende und gelegentliche grenzüberschreitende Dienstleistung gestrichen werden. In einer Einzelfallklärung soll festgelegt werden, ob es sich um Dienstleistung oder Niederlassung handelt. Außerdem fordern Rat und Parlament, dass berufsständische und verwaltungsrechtliche Disziplinarbestimmungen des Aufnahmestaates angewendet werden. Auch eine vorübergehende Eintragung oder pro-Forma-Mitgliedschaft bei einer Berufsorganisation soll ermöglicht werden – gerade für die Heilberufler ein wichtiger Punkt. Leider hält der Gemeinsame Komissionsstandpunkt aber an dem einzigen Regelungsausschuss für alle Berufe statt der Beratenden Ausschüsse fest (hier hatte sich das Parlament zunächst noch für zwei Ausschüsse stark gemacht).
Das weitere Verfahren bleibt spannend. Der Berichterstatter des Parlamentes für den Richtlinienvorschlag, der italienische Christdemokrat Stefano Zappalà, hat einen neuen Bericht des Parlaments für die zweite Lesung, und zwar auf Basis des gemeinsamen Standpunktes erarbeitet. Er hatte zuvor schon angekündigt, sich weiter für die Richtung eines zweiten Regelungsausschusses einzusetzen. Außerdem will er sich für die Verankerung einer Definition der Freien Berufe in den Richtlinienvorschlag engagieren – denn bis heute gibt es keine vergleichbare Definition in Gesetzesform.
Die europäischen Heilberufe bleiben hier weiterhin kontinuierlich am Ball.