Bei Anruf SelbstMord
Glaubt man Ludwig A. Minelli, selbsternannter Generalsekretär der Schweizer Sterbehilfeorganisation, hält Dignitas, was der lateinische Name verspricht. Schließlich will seine Firma einzig dafür sorgen, dass Todkranke „menschenwürdig leben und menschenwürdig sterben“.
Das pralle Leben ist für Minelli freilich kein Thema. Ebenso fern liegen ihm Edelmut oder gar Selbstaufopferung, denn uneigennützig sind seine Dienste nicht. Wer zu ihm kommt, ist lebensmüde, er will sterben und genau darin besteht die Leistung des Unternehmens. Dignitas liefert den Freitod auf Rezept. Der Verein organisiert ein tödliches Medikament, mietet einen Sterberaum und stellt den Sterbebegleiter. Der Patient erhält vorab ein Arztgespräch, die Todesdosis – 15 Gramm des Schlafmittels Natrium- Pentobarbital – wird ihm in der Regel noch am selben Tag verabreicht.
Advokat des Todes
Insgesamt 72 Euro im Jahr verlangt der „Advokat des Todes“, wie ihn „Die Zeit“ nannte, für die Aufnahme in den Verein, 36 Euro kostet der Jahresbeitrag. Für das Arztgespräch werden 335 Euro fällig, für die Freitodbegleitung noch einmal 665 Euro.
Nach eigenen Angaben hat Dignitas seit seiner Gründung vor sieben Jahren 453 Menschen bei ihrem letzten Gang begleitet. Etwa 4 800 Mitglieder sind verzeichnet, ein Drittel davon Deutsche. Viel zu melden haben sie nicht. Wer sich bei Minelli registrieren lässt, hat allein Anrecht auf einen Service: die Hilfe beim Selbstmord.
Dafür genießt Generalsekretär Minelli fast uneingeschränkte Vollmacht: Als leitendes Organ entscheidet der ehemalige Journalist und studierte Jurist über die „Aufnahme von Mitgliedern aller Kategorien“, kann Aspiranten „ohne Angabe von Gründen“ ablehnen oder Mitglieder aus dem Verein schmeißen. Nur die Aktivmitglieder erhalten Mitspracherecht und Gehalt. Davon gibt es exakt zwei: ihn und seine Tochter.
„Damit die Autonomie des Willens gewahrt bleibt“, hat Minelli nun die Filiale in Hannover gegründet. Niemand soll mehr zu ihm in die Schweiz kommen müssen, „um sein Leben mittels eines Freitods in Würde beenden zu können“. Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland – anders als in Holland, Belgien und der Schweiz – aber verboten. Und deshalb will Minelli vor den Kadi ziehen. Er wolle erreichen, dass deutsche Ärzte die tödlichen Arzneien verabreichen dürfen, ein Verfahren vor dem Landesgericht laufe schon. Suizid sei nämlich „eine großartige Möglichkeit für Menschen, sich einer ausweglosen Situation zu entziehen“.
Keine aktive Sterbehilfe
Ärzte und Kirchen reagieren erschrocken auf die Expansionspläne. Die Nachricht, Hannover könnte zum Sterbezentrum werden, erfüllt viele mit Sorge. „Für uns Ärzte wird auch in Zukunft die Maxime gelten: Der Patient hat das Recht auf einen würdigen Tod, aber er hat nicht das Recht getötet zu werden“, stellt der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, klar. „Aktive Sterbehilfe lehnen wir deshalb kategorisch ab.“ Die moderne Palliativmedizin sei heute bereits in der Lage, unnötiges Leid zu verhindern. „Unheilbar kranke Menschen können ihr Leben bis zuletzt als lebenswert empfinden, wenn sie professionell betreut werden, Zuwendung erfahren und nicht alleine gelassen werden“, betont Hoppe. Ein einklagbares Recht auf aktive Sterbehilfe wäre nur vermeintlich die ultimative Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung. „Von da aus ist der Weg nicht mehr weit in eine Gesellschaft, die den Menschen den Tod nahe legt, wenn sie mit dem Leben nicht mehr zurechtkommen.“ „Die Rolle des Arztes kann nicht ein Suizid sein“, bestätigt Eugen Brysch von der Deutschen Hospizstiftung.
Dignitas vermittle den Anschein, als ob Sterben eine Sache von guter Planung und effektiver Umsetzung sei, sagte die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann. „So eine Auffassung kann bei Menschen, die starke Schmerzen erleiden, eine Krise durchleben oder keine Perspektive mehr für ihr Leben sehen, zu Kurzschlussreaktionen führen.“
Zwar habe man keine Handhabe, den Verein ganz zu verbieten. Doch will das niedersächsische Justizministerium die Vermittlung aktiver Suizidhilfe untersagen.
Auch der Zürcher Staatsanwalt sieht Handlungsbedarf: Die Kosten für die Leichen der Sterbetouristen beliefen sich allein 2003 auf 273 000 Schweizer Franken. Daran will er die Sterbehilfevereine beteiligen.