Privatversicherung für alle
Ohne eine Reform des Gesundheitswesens würden die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) von heute etwa 14 Prozent auf 22 bis 28 Prozent im Jahr 2030 steigen. So die Prognose des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Zukünftigen Generationen ist eine solche Belastung nicht zuzumuten, finden Experten des Otto- Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung (owiwo) und der Stiftung Marktwirtschaft. Sie haben unter der Leitung von Prof. Dr. Johann Eekhoff ein Reformmodell entwickelt.
Die Grundidee
In Eekhoffs Konzept wird der Generationenvertrag nicht aufgelöst, sondern neu organisiert: Nicht mehr die Jungen zahlen für die Alten, sondern jede Generation spart das für die eigene Versorgung nötige Kapital selbst an. „In dem hier vorgeschlagenen System wird in jungen Jahren eine Kapitalreserve angelegt, die verfügbar ist, wenn im Alter die Krankheitskosten steigen. Die nachfolgenden Generationen müssen nicht mehr mit einem Teil der Kosten belastet werden, weil jede Generation die Kosten ihrer Versicherung selbst trägt“, heißt es in dem Papier. Von der herkömmlichen privaten Krankenversicherung (PKV) unterscheidet die „Privatversicherung für alle“ unter anderem der Versichertenkreis. Erklärtes Ziel ist die gesetzliche Verpflichtung aller Bürger zum Abschluss einer Mindestversicherung auf privater Basis. Die Prämie, die der Einzelne zahlt, hängt in diesem System nicht wie bisher vom Lohn ab, sondern vom Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Vertragsschließung. Das bisher gültige Umlageverfahren, in dem die Gesundheitskosten aus den Beiträgen der Erwerbstätigen finanziert werden, entfällt. Höchste Zeit, wie die Gruppe um Eekhoff findet. Denn für die langfristige Stabilisierung der Versicherungsbeiträge ist das Umlagesystem ihrer Ansicht nach ungeeignet. Es reagiere „extrem empfindlich auf demographische Veränderungen, wie die Zunahme des Anteils alter Menschen“. Hohe Arbeitslosenzahlen verschärften das Problem zusätzlich. Ein kapitalgedecktes System ist für Stiftung Marktwirtschaft und owiwo die praktikablere Lösung. Sie plädieren dafür, den Arbeitgeberbeitrag als zusätzlichen Lohn auszuzahlen. Arbeitnehmer hätten so die Möglichkeit, sich privat über eine Gesundheitsprämie krankenzuversichern. Die monatlichen Kosten dafür beliefen sich auf etwa 180 Euro. Damit werde das Leistungsniveau der GKV erreicht, zahnmedizinische Behandlungen und Krankengeldzahlungen eventuell ausgenommen. Die „Privatversicherung für alle“ sieht zudem einen prozentualen Selbstbehalt auf Patientenseite vor, und das Sachleistungsprinzip wird durch das Kostenerstattungsprinzip ersetzt. Beide Neuerungen böten den Anreiz, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen und unnötige sowie überteuerte Leistungen zu vermeiden.
Gerechte Prämien
Auf Ärzteseite wird nach dem Willen der Experten die Zulassung als Kassenarzt entfallen. Mediziner sollen sich stattdessen im freien Wettbewerb um Verträge mit Krankenversicherungen bemühen oder nur Patienten behandeln, die sich gegen eine höhere Prämie für die freie Arztwahl entschieden haben.
Die „Privatversicherung für alle“ setzt auf „risikoäquivalente“ Prämien. Sie drücken aus, welche Leistungen aufgrund des Gesundheitszustandes des Versicherten zu erwarten sind. Zum Zeitpunkt der Geburt sind die Prämien für jeden gleich hoch, weil dann bei allen Menschen von einem identischen Gesundheitsrisiko ausgegangen werden kann. Im weiteren Lebensverlauf steigt das Erkrankungsrisiko, die Prämien müssten bei einem Wechsel des Anbieters dementsprechend höher ausfallen. Dass die Beiträge dann – vor allem für ältere Versicherungsnehmer – nicht unbezahlbar werden, verhindert laut Eekhoff eine so genannte „Altersrückstellung“. Sie hat die Aufgabe, die Prämien über den Lebenszyklus zu „glätten“. Im Klartext bedeutet das: In jungen Jahren zahlen Patienten in der Regel mehr ein als sie für Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen. Im Alter, wenn sich der Bedarf sukzessive umkehrt, kann man auf die angesparten Reserven zurückgreifen.
Der Solidarausgleich in der „Privatversicherung für alle“ wird über Steuergelder und Transferzahlungen finanziert. In der GKV geschieht dies bisher über die einkommensabhängigen Beiträge der Einzahler. Stiftung Marktwirtschaft und owiwo lehnen diese Lösung als unsozial ab. Ihrer Meinung nach ist es falsch, die Überprüfung der Bedürftigkeit nur an Löhne zu koppeln. In der „Privatversicherung für alle“ soll das komplette Einkommen berücksichtigt werden. Also nicht nur der Lohn, sondern das gesamte Vermögen des Einzelnen, des Lebenspartners, der Kinder und der Eltern. Dazu gehören neben Erbschaften auch Einkünfte aus Mietwohnungen. Nur wer aus dieser Überprüfung als bedürftig hervorgeht, hat ein Recht auf finanzielle Unterstützung
Effizienz durch Wettbewerb
„Die Versicherten sollen die Möglichkeit haben, zu der Versicherung zu wechseln, die günstigere Prämien oder bessere Leistungen anbietet“, lautet eine zentrale Forderung der „Privatversicherung für alle“. Die Prämisse Effizienz durch Wettbewerb zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Konzept. Momentan gibt es hier im Gesundheitssektor laut owiwo und Stiftung Marktwirtschaft erhebliche Lücken zu beklagen. Der Wettbewerb zwischen den Krankenversicherungen sei nach wie vor stark eingeschränkt. Die Forscher der beiden Institute fordern daher zum einen, die Unterscheidung zwischen PKV und GKV aufzuheben. Alle Versicherungsunternehmen sollen sich dem Wettbewerb unter gleichen rechtlichen Voraussetzungen stellen.]
Damit auf der anderen Seite den Versicherten kein Wettbewerbsnachteil entsteht, müssen sie über Altersrückstellungen verfügen. Ansonsten ist es – vor allem für Menschen mit hohen Gesundheitsrisiken – schwierig, einen neuen Vertrag zu guten Konditionen abzuschließen. Für die Rücklagen gilt: „Sie müssen nach dem individuellen Krankheitsrisiko des einzelnen Versicherten gebildet und im Falle des Wechsels auf die neue Versicherung übertragen werden.“ Die aktuelle Gesetzeslage erlaubt das nicht. Gift für den Wettbewerb, meinen owiwo und Stiftung Marktwirtschaft. Ihr Einwand: Nur wenn Versicherten mit hohen gesundheitlichen Risiken hohe Rückstellungen zugewiesen werden, kann die Prämie bei einem Wechsel etwa gleich bleiben oder günstiger werden.
Die Umsetzung
Momentan verfügen nur Privatversicherte über eine Altersrückstellung, also etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Damit das System der kapitalgedeckten Finanzierung funktioniert, braucht aber auch jeder gesetzlich Versicherte eine solche Rücklage. Die finanziellen Mittel dafür werden in der „Privatversicherung für alle“ aus einem staatlichen Fonds bereit gestellt. Eine Möglichkeit, diesen Fonds zu füllen, sei die moderate Erhöhung der Beiträge auf 17 oder 18 Prozent, erklärt Eekhoff. Seine Begründung: „Ich halte nichts von den Bemühungen, die Beiträge auf unter 14 Prozent zu drücken. In absehbarer Zeit müssten sie sowieso angehoben werden. Lieber sollte man daher jetzt etwas mehr verlangen und das zusätzliche Geld für die Umstellung auf ein kapitalgedecktes System verwenden.“ Um alle Versicherten mit Altersrückstellungen auszustatten, sind nach Eekhoffs Berechnungen 700 bis 800 Milliarden Euro nötig. Dabei handele es sich jedoch nicht um neue Kosten. Der Betrag entspreche vielmehr der „impliziten Verschuldung“ der GKV, also den Kosten, die ohnehin auf zukünftige Generationen zukämen. Durch eine Anhebung der Beiträge um etwa drei Prozentpunkte kann laut Eekhoff vermieden werden, dass die steigenden Gesundheitskosten komplett auf kommende Generationen abgewälzt werden. Das große Problem sei aber, dass niemand diese impliziten Schulden beim Namen nennen wolle. Sth
Das Konzept steht auf www.stiftung-marktwirtschaft. de unter Publikationen, Stichpunkt „Aktuelles“, als Download zur Verfügung.
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Die “Privatversicherung für alle” im Vergleich mit Bürgerversicherung und Gesundheitspauschale
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