Unterhalt für die Eltern

Wenn das Sozialamt zugreift

Viele ältere Menschen benötigen Pflege. Reichen Rente und Pflegeversicherung nicht aus, um den teuren Service zu bezahlen, springt das Sozialamt ein. Gleichzeitig überprüft es die finanzielle Lage der Kinder, um sich von ihnen das nötige Geld zurückzuholen. Allerdings haben die Gerichte dem Zugriff Grenzen gesetzt.

Die so genannte Sandwich-Generation der 40- bis 60-Jährigen fühlt sich zunehmend geschröpft: Von allen Seiten stürzen die Forderungen auf sie ein. Sie ist – selbstverständlich – verpflichtet, für ihre Kinder zu sorgen, spart für die eigene Altersabsicherung und steht obendrein parat, wenn den eigenen Eltern die finanziellen Mittel fehlen, um die Pflegekosten zu begleichen.

Die öffentliche Hand gibt die Verantwortung für das Gemeinwohl nach und nach an die Bürger zurück. Wehren können sie sich schon – allerdings nur in beschränktem Maße.

Leere Kassen – langer Arm

Die Gründe dafür, zahlungsfähige Kinder stärker als bisher in die Pflicht zu nehmen, offenbaren die leeren Kassen der Städte und Gemeinden. Zudem steigt die Anzahl der Menschen, die im Alter pflegebedürftig werden. Das vom ehemaligen Arbeitsund Sozialminister Norbert Blüm erdachte Konzept der Pflegeversicherung funktioniert nicht mehr. Die Lücken in der Finanzierung werden immer größer: Angeblich wird das Defizit bis 2010 auf knapp sechs Milliarden Euro steigen. Das bislang noch vorhandene Polster schmilzt bis 2007 komplett ab, wenn der Beitragssatz in seiner jetzigen Höhe bestehen bleibt. Zusammen mit den Rentenbezügen reichen die Beträge aus der Versicherung nicht mehr für einen normalen Pflegeplatz im Altersheim aus. Der Nachwuchs der Pflegebedürftigen soll die Differenz ausgleichen – Tendenz steigend.

Schon jetzt haben gut 300 000 der zwei Millionen Pflegebedürftigen Anspruch auf Sozialhilfe. Und in Zukunft wird sich die Situation noch verschärfen. Das Bonner Institut für Wirtschaft und Gesellschaft prognostiziert, dass sich die Zahl der pflegebedürftigen Menschen bis 2050 verdoppeln wird.

Seit 100 Jahren ruft die Pflicht

Den Anspruch auf Unterhalt leiten die Sozialämter aus einem zirka 100 Jahre alten Gesetz her. Paragraf 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches besagt: „Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.“ Will heißen: Eltern sorgen für ihre Kinder, im Notfall auch für ihre Eltern, nicht aber für Bruder oder Schwester.

Den Anspruch der älteren Generation an die Jungen machen sich die Sozialämter zunutze. Ausgestattet mit weit reichenden rechtlichen Möglichkeiten verlangen sie von den direkten Nachkommen ihrer Schützlinge Einblick in alle Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Ihnen stehen alle Türen offen. Sie schnüffeln in Konto- und Depotauszügen, sehen Grundbücher und Lohnbescheide ein, überprüfen den Lebensstandard der Familie und vieles mehr.

Als erstes schicken sie an den Unterhaltspflichtigen einen Fragebogen. Wer glaubt, er könne die Beamten von der Stadt austricksen und beim Ausfüllen des Formulars schummeln, der irrt. Fachanwälte für Familienrecht, wie Andrea Cornelsen von der Kölner Anwaltssozietät Leinen & Derichs, raten, die Fragen auf jeden Fall wahrheitsgemäß zu beantworten. Wer die Auskunft verweigert, der wird geschätzt und das wahrscheinlich kaum zu seinem Vorteil.

Die Fragebögen selbst sind mit Vorsicht zu genießen. Häufig erlauben sie keine vollständige Darstellung der persönlichen Situation des Befragten. Mit zusätzlichen Informationen verdeutlicht der Befragte seine Lage.

Rechtsexperten empfehlen deshalb, die Ausgaben so gut wie möglich zu belegen und zu begründen. So kann man seine Zahlungen an das Sozialamt oft deutlich drücken. Die meisten Sachbearbeiter freuen sich über gut sortierte Unterlagen. Denn viele von ihnen sind mit der recht komplizierten Materie überfordert.

Die Fragebögen sind so uneinheitlich wie die meisten Verwaltungsvorschriften zur Feststellung der Höhe der Unterhaltsverpflichtung.

Bundesweit tabu

Bundesweite Regelungen gibt es nur für einige Eckdaten, zum Beispiel für die Höhe des Selbstbehalts von 1 400 Euro (also der Summe, die der Unterhaltspflichtige für sich im Monat behalten). Hinzu kommen der Selbstbehalt für den Ehepartner in Höhe von 1 050 Euro plus des Unterhalts für die eigenen Kinder. Der berechnet sich nach deren Alter und dem Einkommen der Eltern und kann zwischen 204 und 670 Euro je Kind betragen.

Zu den Belastungen, die in jedem Fall die Höhe der Unterhaltspflicht mindern, gehören die Ausgaben für die eigene Altersvorsorge. Sie dürfen mindestens fünf Prozent des Bruttolohns betragen. Fachanwältin für Familienrecht Cornelsen weiß: „Die Sozialämter akzeptieren zirka 25 Prozent des Monatseinkommens.“ Allerdings muss das Geld auch tatsächlich zum Beispiel in Fonds, Sparplänen, Lebensversicherungen oder ähnlichem fest angelegt sein. Darüber hinaus rühren die Amtsleute die Ausgaben fürs finanzierte Auto ebenfalls nicht an.

Geschützt bleibt auch das Eigenheim beziehungsweise die Eigentumswohnung. Niemand kann die Eigentümer zwingen, einen Kredit auf ihr Haus aufzunehmen, um mit diesem Geld die Ansprüche der Stadt aus Pflegekosten zu befriedigen. Wer für seine Immobilie noch Zins und Tilgung zahlen muss, darf diese Ausgaben ebenfalls geltend machen und sie von seinem Einkommen abziehen. Bei sonstigen Darlehen geht das nur, wenn der Kredit vor der Unterhaltspflicht aufgenommen wurde. Spätere Kredite sind nur erlaubt, wenn das Geld beispielsweise für die Instandhaltung der Immobilie benötigt wird. Am besten zieht man notwendige Darlehen vor, wenn die Unterhaltspflicht absehbar wird. Ansonsten stellen Städte und Gemeinden ihre eigenen Regeln auf. Entscheidend für die Berechnung des Unterhalts ist der Wohnort der Unterhaltsempfänger. Wessen Eltern zum Beispiel im Süden der Republik wohnen, darf sich freuen. Denn bislang gelten die Bayern als großzügig im Sinne der Kinder. Haben Sohn oder Tochter hingegen ihr Domizil in der rheinischen Domstadt Köln und denken sie darüber nach, ihre pflegebedürftigen Eltern in ihre Nähe zu holen, kann diese gute Tat sie teuer zu stehen kommen. Die Kölner langen zu. Winfried Nussbaum, Sachgebietsleiter beim Sozialamt der Stadt, winkt ab: „Wir sind hier keine Ausnahme. Auch in Bayern und Baden-Württemberg wird zunehmend mit dem spitzen Bleistift gerechnet.“

Am liebsten würden die Ämter den Zahlungspflichtigen nur das Nötigste lassen: Das Geld, um für Frau und Sprößlinge zu sorgen, sowie den persönlichen Unterhalt, worin bereits die Ausgaben für eine Warmmiete in Höhe von 450 Euro pro Monat enthalten sind. Doch ganz so einfach gelingt den Ämtern der Zugriff auf die Barschaft der zahlungskräftigen Kinder nicht mehr.

Der Standard soll erhalten bleiben

Inzwischen sorgt die Rechtsprechung nach und nach dafür, dass die Regelungen für alle Beteiligten klarer werden. Den Ämtern hat sie den Zugriff in letzter Zeit deutlich beschnitten. So hat der Bundesgerichtshof (BGH XII ZR 266/99) entschieden, dass nach Abzug der oben genannten Aufwendungen das Sozialamt maximal über die Hälfte des verbliebenen Einkommens verfügen darf. Der Grund dafür: Die „Kinder“ sollen den erreichten Lebensstandard behalten dürfen. Nur ein Leben in Luxus muss nach Ansicht der Richter nicht sein. Doch wer entscheidet, was Luxus ist? Im Zweifel der Mann (oder die Frau ) vom Amt. Das bestätigt auch Winfried Nussbaum: „Wir entscheiden jeden Fall individuell.“

Schwiegerkinder

Für die Ehepartner der Unterhaltspflichtigen legte der BGH noch mal zu (XII ZR 67/00). Er beschloss, dass ihnen vom verbliebenen Einkommen 50 Prozent zustehen. Offiziell stehen Schwiegerkinder nicht in der Pflicht. Doch hinten herum werden auch sie zur Kasse gebeten.

So kann es beispielsweise passieren, dass die mitverdienende Ehefrau sich mit dem ihr zustehenden Unterhalt begnügen muss, wenn ihr Ehemann genug verdient. Das Sozialamt unterstellt dann, dass sie gut versorgt ist. Verfügt sie über ein eigenes Einkommen von vielleicht 400 Euro im Monat, kann dieses zur Hälfte für den Unterhalt der pflegebedürftigen Schwiegereltern ihres Mannes herangezogen werden, ebenso ihr Anspruch auf Taschengeld. Haben die Schwiegerkinder darüber hinaus eigenes Vermögen und beziehen sie daraus Zinsen, so werden auch diese Einnahmen mit dem Unterhaltsanspruch gegen den Ehegatten verrechnet.

Die Basis der Berechnung

Basis für die Berechnungen des Sozialamts ist das zu versteuernde Einkommen, – bei Angestellten leicht zu ermitteln. Sie legen ihre Einkünfte aus den vergangenen zwölf Monaten offen. Bei Selbständigen hingegen schwankt das Einkommen häufig. Deshalb greifen die Ämter auf Bilanzen oder EinnahmeÜberschuss-Rechnungen zurück. Aus diesen steuerrechtlichen Unterlagen lässt sich ein monatliches Durchschnittseinkommen errechnen. Schwanken die Einnahmen von Jahr zu Jahr, verfolgen die Experten vom Sozialamt die Einnahmen über mehrere – häufig drei – Jahre, bevor sie eine Unterhaltsberechnung festlegen. Zu den Einnahmen, die man für Unterhaltszwecke einsetzen muss, gehören:

• Einkommen aus selbständiger oder nicht selbständiger Arbeit

• Zins- und Mieterträge

• Arbeitslosengeld und -hilfe sowie Krankengeld

• geldwerte Leistungen des Arbeitgebers

• Wohnwert des Eigenheims oder der Eigentumswohnung.

Reicht das laufende Einkommen nicht aus, um die Kosten für die Pflege der Eltern zu decken, darf das Sozialamt sogar auf die Ersparnisse der Kinder zurückgreifen. Vom angesparten Vermögen bleiben auf Empfehlung des BGH 75 000 Euro außen vor. Nennt der Betroffene eine Wohnimmobilie sein eigen, sinkt der Vermögensanspruch auf 25 000 Euro. Festgeschrieben sind diese Daten aber nicht. Als gesetzliche Untergrenze gilt der Sozialhilfesatz von 3 000 Euro. Alle zwei Jahre darf die Behörde die Einkommens- und Vermögensverhältnisse erneut überprüfen.

Schonfrist

Viele Eltern übertragen Vermögen, für das sie jahrzehntelang gespart haben, auf ihre Kinder, bevor sie selbst in ein Pflegeheim gehen. Auf diese Weise hoffen sie, die Werte vor dem Zugriff des Sozialamtes zu schützen. Das gelingt aber nur dann, wenn die Schenkung mindestens zehn Jahre vor dem Eintritt des Pflegefalls vonstatten geht. Ist die Frist noch nicht abgelaufen, kann das Amt die Rückgabe verlangen.

Aber auch der Unterhaltspflichtige hat ein Recht auf Minderung seines Beitrags, wenn sich seine finanzielle Situation verschlechtert. Allerdings muss er sein Ansinnen schriftlich begründen. Für ihn ist es deshalb wichtig, Belege über seine zusätzlichen Aufwendungen zu sammeln. Für die Verhandlung mit der Behörde holt er sich am besten anwaltliche Hilfe. Denn die Unterhaltsbescheide sind häufig fehlerhaft. Zu den kritischen Punkten zählen Aufwendungen, die nicht genügend berücksichtigt sind, zu niedrig angesetzte Vermögensfreibeträge. Ein beliebter Diskussionspunkt ist der Lebensstandard der betroffenen Kinder. Hier gehen die Meinungen häufig auseinander.

Das Haar in der Suppe

Weitere Unklarheiten können sich aus den Kosten ergeben, die zum Beispiel ein Zahnarzt für seine Praxis geltend macht. Gibt sich die Behörde normalerweise mit den Daten zufrieden, die das Finanzamt abgesegnet hat, findet vielleicht ein engagierter Beamter doch ein Haar in der Suppe. Alle Ausgaben, die zum Beispiel für die Führung einer Zahnarztpraxis notwendig sind, stehen außerhalb jeder Diskussion. Denn die berufliche Existenz eines Unterhaltspflichtigen muss gesichert sein. Ein Auge werfen die Prüfer bestimmt auf das mit einem Kredit oder per Leasing finanzierte Auto. Angemessen darf es sein, ein getunter Porsche als Geschäftsauto aber würde die Gemüter erregen. Vielleicht steht ja noch die eine oder andere Anschaffung für die Praxis an? Der Kredit für einen neuen Behandlungsstuhl schmälert zum Beispiel das Einkommen.

Reicht die Summe nicht aus, die nach Abzug der Ausgaben vom Einkommen übrig bleibt, um die Ansprüche des Sozialamtes zu befriedigen, halten die Beamten Ausschau nach verwertbaren Besitztümern. Verfügt der Betroffene zum Beispiel über vermietete Immobilien, erwarten sie unter Umständen, dass der Zahnarzt eine Hypothek darauf aufnimmt, um die Kosten für Vater oder Mutter zu übernehmen.

Verfallsdatum

Senken lassen sich die Pflegekosten – in Grenzen – mithilfe des Finanzamtes. Denn Unterhaltspflichtige dürfen Kosten für den Unterhalt der Eltern steuerlich geltend machen. Ganz wegzaubern lassen sich die Unterhaltszahlungen im Ernstfall kaum. Gefährlich ist es, rechtskräftig festgestellte Ansprüche zu ignorieren. Denn die Sozialämter schicken dann den Gerichtsvollzieher ins Haus oder lassen Konten pfänden.

Glück haben Sohn oder Tochter, deren Unterlagen über Einkommen und Vermögen im Aktenberg der Behörde für mindestens ein Jahr verschwinden. Bleibt die Akte zwölf Monate unbearbeitet liegen, erlischt der Anspruch des Sozialamtes auf Unterhaltszahlung.

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