Das frisch zementierte System
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Deutschen haben ihren Bundestag gewählt. Klare Entscheidungen über die künftigen Wege dieser Republik haben sie aber – wieder einmal – nicht getroffen. Einem zwar gottlob kurzen, aber ziemlich verworrenen und besonders in den letzten Tagen sehr unsachlich geführten Wahlkampf folgte ein selbst für die professionellen Auguren überraschendes Ergebnis: Wählerfrust mit Quittung für die großen Volksparteien sowie den Regierungsbänklern Bündnis 90/Die Grünen durch Abwanderungen Richtung FDP und Linksfraktion.
Und all dem setzte der am Wahlabend noch amtierende Regierungschef Schröder wie gedopt die Spitze auf: Er beanspruchte am 18. September für sich, weiterhin Kanzler zu bleiben – trotz der Bürgerentscheidung gegen die SPD als jetzt nur noch zweitstärkste Partei. Macht macht hungrig auf mehr. Deshalb wohl die demokratischen Tricksereien – vor wie auch nach der Wahl. Die Deutschen – so hat es den Anschein – sind das ganze Politik-Spektakel zunehmend leid. Der Bürger wird „vernatzt“. Aber er weiß es inzwischen.
Doch Frust hin oder her, wir müssen feststellen: Auch in den nächsten vier Jahren sind die Regierenden nicht mit den Mehrheiten ausgestattet, die Mut zu großen Reformen machen – sofern man den Mut überhaupt hätte. Der Tritt auf die Nachhaltigkeitsbremse in der Sozial- und Gesundheitspolitik bleibt, ein Systemwechsel ist, selbst mit einer so pyrrhussiegreichen FDP, wohin man auch schaut, nicht in Sicht.
Für die Zahnärzteschaft bedeutet das weitere Jahre unter dem Pragmat einer Politik kleiner Schritte. Die Einführung der Festzuschüsse ist angesichts des wieder einmal frisch zementierten Systems der Kardinalweg, wenn wir das wahren wollen, was uns lieb und teuer ist: Freiberufliche Strukturen und eine am medizinischen Fortschritt orientierte, qualitativ hochwertige zahnmedizinische Versorgung – bei freier Arztwahl des Patienten.
Es wird weiterhin darum gehen, in mühsamer Arbeit die vielen externen Einflüsse auf das Zahnarzt-Patienten-Verhältnis weiter zu reduzieren und die Dinge des Berufsstandes in Eigenverantwortung selbst zu ordnen. Wir dürfen nicht in unseren Anstrengungen nachlassen, eine nachhaltige Finanzierung zu schaffen, die sowohl am medizinischen Bedarf wie auch am Leistungskatalog orientiert ist. Auch künftig wird sich zahnärztliches Wirken im Rahmen eines individuell zu gestaltenden Mix aus gesetzlicher und privater Struktur vollziehen.
Die Organisationen der deutschen Zahnärzteschaft – Kammern wie KZVen – gehen gemeinsam diesen Weg. Wir Zahnärzte haben immer wieder bewiesen, dass wir auch beharrlich bleiben, wenn der großen Politik der Mut zum Denken und Handeln augenscheinlich fehlt. Nebenbei: Nur dieser Beharrlichkeit, dieser oftmaligen Politik der kleinen Schritte in dem zementierten , ja eher „zubetonierten“ System ist es übrigens zu verdanken, dass Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung nach wie vor ihren Platz in unserem Berufstand haben – und vor allem in unserem Berufsbild.
Festzuschüsse – auch gerade in anderen Bereichen der Zahnmedizin – und eine Form praktikabler Kostenerstattung sind die Ansätze, in einem auch nach der Wahl kaum stark veränderbaren System die Versorgung eigenständig zu händeln. Dass das auch von Krankenkassenseite so gesehen wird, zeigt schon das stetig stärker werdende Unterfangen, in diese Phalanx der Freiberuflichkeit Keile zu treiben. Das System stört gewisse Kreise; das gilt es schlecht, noch besser, kaputt zu machen. Dabei wissen die großen Volksparteien doch, dass sie der unabänderlichen Leistungsspirale des medizinischem Fortschritts und der daraus resultierenden Finanzierungsfrage innerhalb des Solidarsystems nicht Herr werden können, wenn alles beim Alten bleibt.
Schon deshalb wird der von uns aufgezeigte Weg der Festzuschüsse bisher von ihnen akzeptiert. Hier müssen wir uns in den kommenden Monaten, in den nächsten Jahren beweisen. Hier müssen wir aufzeigen, dass Zahnmedizin auf diese Weise „funktioniert“. Hier ist die Zahnärzteschaft und besonders die KZBV gerade auch den Kollegen verpflichtet, die Tag für Tag in diesem – von uns allen so nicht geliebten – System leben müssen und wohl auch wollen.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV