Dritter Weg – wohin ?
Martin Eberspächer
Leiter der Abteilung Wirtschaft und Soziales des Bayerischen Rundfunks
Schon vor Beginn der Verhandlungen über eine große Koalition mit den Sozialdemokraten hat Edmund Stoiber das in der CSU ungeliebte Modell einer Gesundheitsprämie unaufgefordert zur Disposition gestellt. Andererseits darf Ulla Schmidt, so sie Gesundheitsministerin bleibt, die Bürgerversicherung nicht umsetzen. Deshalb müsse ein „dritter Weg” gesucht werden.
Mit dieser Aussage reagierte der CSU-Vorsitzende und künftige Wirtschaftsminister einer Regierung Merkel auf das Wahlergebnis seines Stellvertreters Horst Seehofer, der die Prämie immer konsequent abgelehnt hat. Das brachte Stimmen bei der Bundestagswahl. Der aufmüpfige Seehofer erzielte mit 65 Prozent in Ingolstadt gegen den Trend der Partei das zweitbeste Ergebnis. Deshalb kann er jetzt als starker Mann auftreten. Zumal er als Präsident des Rentnerverbands VdK eine halbe Million wahlberechtigte Mitglieder in Bayern vertritt. Diese haben wenig Verständnis für eine Gesundheitspolitik, wie sie im Wahlkampf von Angela Merkels Kompetenzfrau Ursula von der Leyen vertreten wurde.
Eine bundesweite Umfrage des Instituts dimap im Auftrag der privaten Krankenversicherungen bestätigt das Meinungsbild. Nur 30 Prozent glauben, dass Gesundheitsleistungen durch einen Wechsel des Systems – sei es zur Bürgerversicherung oder zur Pauschalprämie – auf Dauer besser zu finanzieren wären. Zwei Drittel sind für Reformen im bestehenden System.
Im Gegensatz zu den großen Parteien haben die Wähler eine andere Richtung ausdrücklich nicht gewünscht. Dagegen kann der von Fachleuten oft kritisierte Kompromiss von Ulla Schmidt und Horst Seehofer jetzt als Wegweiser für eine große Koalition gelten.
Also, weiter so, auf dem ausgetretenen Pfad der Kostendämpfung? Stoiber entwickelt daraus die Vision eines „dritten Weges”. In der Praxis hat sich die Suche nach einer Alternative zwischen Kapitalismus und Sozialismus meist als Holzweg erwiesen.
Die Politik hat einen Führungsauftrag und muss wirtschaftliche Argumente abwägen. Eine große Koalition kann unpopuläre Struktur- und Organisationsreformen durchziehen. Was die Vorgänger nicht gewagt haben, ist möglich, wenn auf spezielle Klientelinteressen angesichts breiter Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat keine Rücksicht genommen wird. Nach kurzer Atempause besteht bald wieder Handlungsbedarf. Die gesetzlichen Krankenkassen haben ihre Schulden stark reduziert und kommen mit der vorgezogenen Beitragszahlung über den Winter. Doch vor allem die Ausgaben für Arzneimittel und Krankenhäuser erzeugen schon wieder Druck auf die Beitragssätze. Die Pflegeversicherung muss saniert werden.
Mit Blick auf den Arbeitsmarkt will die neue Regierung Lohnnebenkosten abbauen. Es reicht nicht, den Beitragsanteil der Arbeitgeber zur Krankenversicherung einzufrieren. Der Staat soll 15 Milliarden Euro als Beiträge für Kinder und versicherungsfremde Leistungen überweisen, wünscht der neugewählte Abgeordnete Professor Karl Lauterbach. Damit könne der Beitragssatz um 1,5 Prozent sinken. Doch ohne zusätzliche Steuereinnahmen wäre das nicht zu finanzieren. Unter dem Druck aus Brüssel hat im Zweifel die Sanierung des Haushalts Vorrang. Wenn es dann noch Spielraum gibt, sind zuerst niedrigere Beiträge der Bundesagentur für Arbeit angesagt.
Eine große Koalition hat die Chance, Aufgaben von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung deutlich abzugrenzen. Wer Verantwortung für eine Sache trägt, der soll sie nicht auf Kosten anderer, sondern möglichst selbst – so günstig wie möglich – finanzieren. Damit wird der Missbrauch öffentlicher Mittel begrenzt. Die Aufgaben der Sozialversicherung müssen reduzierten Einnahmen auf Dauer angepasst werden. Das haben die meisten Bürger im Grundsatz besser verstanden, als manche Politiker. Solange aber keiner weiß, worauf er sich künftig verlassen kann, werden wirtschaftliche Entscheidungen zurückgestellt.
Die Nebel im Herbst schlagen aufs Gemüt. Im Winter sollte die neue Regierung klare Perspektiven vermitteln, damit mündige Bürger unter kalkulierbaren Bedingungen ihre Lebenspläne gestalten können.
Spielregeln zu schaffen, die über die eigene Amtszeit hinaus gültig bleiben – damit könnte die neue Regierung den Weg in die Zukunft frei machen.
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