Es ist Zeit, dass wieder regiert wird\r
Die neue Gesundheitsministerin ist die alte und heißt Ulla Schmidt. Das Gesundheitsressort bleibt ihr überlassen, Teile des Sozialressorts muss sie aber an den neuen Vizekanzler Franz Müntefering abgeben. Schmidts Nominierung ist sowohl von Ärzte- wie auch von Kassenseite nicht gerade auf großen Beifall gestoßen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung reagierte eher verhalten, wies aber darauf hin, dass durch die Fortsetzung der Amtsgeschäfte durch Schmidt zumindest Kontinuität in der Gesundheitspolitik gewährleistet sei. So sei zum Beispiel zu erwarten, dass das Vertragsarztrecht recht bald so geändert werde, wie Schmidt und die KBV-Führung es zur Bekämpfung des Ärztemangels gefordert hatten. Auch die Krankenkassen sind nicht unbedingt glücklich über die Nominierung. Die Privaten befürchten, dass sie den gesetzlichen Kassen gleichgeschaltet werden. Und die Gesetzlichen fürchten sich vor Änderungen im Wettbewerbsrecht durch kassenübergreifende Fusionen.
Eines ist jedoch vom Tisch: Die Diskussionen um das Bürgerversicherungsmodell der SPD einerseits und das Gesundheitsprämienmodell der CDU andererseits. Sie sind den Sondierungsgesprächen der Koalitionsbildung zum Opfer gefallen. Es hat sich in den letzten Wochen herauskristallisiert, dass beide Optionen kombinierbar sein könnten. Eine klare Linie lässt sich derzeit noch nicht feststellen, aber der nochbayerische Ministerpräsident und designierte Wirtschaftsminister Edmund Stoiber brachte einen „dritten Weg“ ins Gespräch. Und der könnte, so ist aus CSU-Äußerungen herauszulesen, in einer Verbesserung des Gesundheitswesens im Sinne der Reformen von Ulla Schmidt und Horst Seehofer liegen.
Doch wie könnte dieser dritte Weg zwischen Bürgerversicherung und Gesundheitsprämie aussehen? Darüber streiten sich unter den Sozialpolitikern beider Couleur die Geister. Seehofer schlägt vor, den Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung einfach einzufrieren. Wenn die Ausgaben künftig steigen, müssten das die Versicherten allein tragen und die Arbeitgeber wären nicht durch steigende Sozialabgaben belastet. Der frühere Berater Ulla Schmidts und neue SPD-Bundestagsabgeordnete Prof. Karl Lauterbach bringt dagegen eine abgespeckte Bürgerversicherung ins Gespräch. Er greift die Unionsidee auf, mehr Steuergelder ins System fließen zu lassen. Die beitragsfreie Mitversicherung für Kinder könne seiner Meinung nach über höhere Steuern für Topverdiener oder durch Zinsertragssteuern finanziert werden.
„Es wird Zeit, dass wieder regiert wird“, fordert der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, mit Hinweis auf die vielen unbewältigen Probleme auf dem Gesundheitssektor ein. Er warnt vor Schnellschüssen wie dem von Lauterbach: „Solche Vorschläge sind zurzeit überflüssig und führen in der Sache nicht weiter.“ Die gesetzliche Krankenversicherung müsse nicht nur auf der Einnahmenseite, sondern auch auf der Leistungsseite reformiert werden. Nur so könne das Gesundheitswesen tatsächlich gesunden. Weitkamp betont, dass die deutsche Zahnärzteschaft der neuen Regierung eine konstruktive Zusammenarbeit anbieten werde, um mit den zahnärztlichen Konzepten dazu beizutragen, einen Weg aus der Dauerkrise der vergangenen Jahre zu finden.
Stühlerücken
Doch inzwischen hat während der Regierungsbildung in Berlin erst einmal das große Stühlerücken begonnen, wie die Süddeutsche Zeitung spöttisch berichtet (15. 10. 2005). Stoiber und Müntefering bekommen ein eigenes Ressort, und das will natürlich organisiert sein. Es wird bald 14 statt 13 Ministerien geben. Stoiber bekommt das neue Wirtschafts- und Technologieministerium, Müntefering das neue Arbeits- und Sozialministerium. Das hat gewaltige Folgen: Drei Ministerien müssen zerstückelt oder neu geordnet werden, für Münterfering muss ein neues Haus her, hunderte von Mitarbeitern müssen – teils in Bonn, teils in Berlin – ihre Sachen packen und neue Büros beziehen.
Hält man sich vor Augen, dass gerade der CSU-Chef einmal Einschnitte in die „wuchernde Bürokratie“ als eine der wichtigsten Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit anmahnte, könne man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Stoiber mit seinem Fortgang nach Berlin auch ein paar Grundsätze in Bayern zurücklasse, unkt das Blatt.