Zugespitzte Fragen zwischen Wirtschaft und Ethik
Das Referat von Bischof Dr. Martin Hein von der Evangelischen Kirche Kurhessen Waldeck in Kassel, sprach genau dieses Problem an. In Zeiten wachsender Diskussionen um Rationierung und Budgetierung im Gesundheitswesen bot sein Referat Denkanstöße weit über bloße juristische Fragestellungen hinaus.
Gerade im Gesundheitsbereich stoße man immer wieder an moralische und ökonomische Grenzen, erklärte Hein, der sowohl Theologe als auch Jurist ist. Für das Gesundheitswesen ergäben sich verschiedene Herausforderungen, bei denen ökonomische und ethische Faktoren einen Rolle spielten. Hein führte hier vor allem die medizinischtechnische Entwicklung an. Die Wissenschaft engagiert sich für die Humanisierung der Lebenswelt, jedoch existieren gerade bei Menschen mit schweren Leiden auch vielfach überzogene Erwartungen an Heilung. Forschung dürfe nicht um jeden Preis erfolgen, betonte Hein, sondern auch die ethische Rechtfertigung sei wichtig. „Der medizinische Fortschritt rührt an moralische Grenzen, die nach dem Maßstab eines christlichen Menschenbildes nicht überschritten werden sollten. Forschungsergebnisse und ihre Verwertung müssen am tatsächlichen medizinischen Bedarf orientiert bleiben und sollten sich davor hüten, unerfüllbare Heilserwartungen zu wecken.“ Eine weitere Herausforderung sieht Hein in der Überforderung des Gesundheitsbegriffs. „Gesundheit ist das höchste Gut, doch zum Leben gehören auch Alter und Tod“, sagte der Bischof. Gerade die Vergötterung des Gesundheitsbegriffs führe dazu, dass Gesundheit zu einer jederzeit verfügbaren Ware werden könne. Dadurch werde die sensible Beziehung zwischen Arzt und Patient gefährdet.
Die demographische Entwicklung, nach der immer mehr Menschen immer älter werden, stellt die Gesundheitsversorgung vor immer größere Herausforderungen. Angesichts des wachsenden medizinischen Versorgungs- und Pflegebedarfs bei Älteren ergeben sich vermehrt Diskussionen unter ökonomischem Blickwinkel. „Eine ethisch zugespitzte Frage“, meint Hein. Unter dem Gesichtspunkt der Würde und nicht des Wertes eines Menschen müsse eine angemessene Versorgung im Blick bleiben. Menschliches Leben dürfe nicht verstärkt in den Blickwinkel von Kosten-Nutzen-Analysen geraten.
Von Rechten und Pflichten
Die Frage nach der Solidargemeinschaft impliziert auch die Frage nach der Bereitschaft des Einzelnen, sich gegenüber der Gemeinschaft solidarisch zu verhalten. Solidarität bedeute, dass es für den Einzelnen nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten gebe, sagte der Bischof. Er forderte ein, dass man bewusst eigene Risiken nicht einfach der Gemeinschaft aufbürden solle.
Letztlich war dem Bischof auch das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ein Anliegen. Er wehrte sich gegen die zunehmende Ökonomisierung des Arztbildes, nach dem der Arzt als Dienstleister, der Patient als Kunde zu verstehen sei. „Eine ungute Entwicklung“, wie Hein meinte. Das Arzt-Patienten- Verhältnis müsse von gegenseitigem Vertrauen geprägt sein. Die Debatten im Gesundheitswesen sollen auf einem breiten Konsens beruhen. Christliche Ethik könne ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs leisten.