Stopp für die Staatsmedizin
Auch Bayerns Gesundheitsministerin Christa Stevens gelang es nicht, die schonungslose Kritik an der rot-schwarzen Koalition abzuwehren: Sowohl Bayerns Kammerpräsident Michael Schwarz wie auch Bundeszahnärztekammerpräsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp ließen auf dem Festakt zum Zahnärztetag unter massivem Zuspruch des Plenums an den Versuchen des Bundes, die aktuellen Gesetzgebungsvorhaben als sinnvollerforderliche Maßnahme zu verkaufen, kein gutes Haar.
Michael Schwarz sprach von „faulen Kompromissen“ zu Lasten der Bürger: „Wenn niemand diese Reform versteht, niemand sie wirklich will, dann muss man den Marsch in die Staatsmedizin stoppen“, forderte Bayerns Zahnärztekammerpräsident und appellierte an die Betroffenen, die „Beratungsphase der Gesetzgebung“ für dringend erforderliche Korrekturen zu nutzen. Der vorgelegte Entwurf des „Wettbewerbsstärkungsgesetzes“ sei, so Schwarz, „in Wirklichkeit Etikettenschwindel“.
„Nie haben wir so viel Beratungsresistenz erlebt, wie in diesen Wochen“, kritisierte BZÄK-Präsident Weitkamp in seinem Grußwort an die bayerischen Zahnärzte die Regierungspolitik und bezweifelte, ob der Versuch von „drei Hände voll Politikern ..., uns zu kujonieren“ mit der Demokratie, „die wir in den letzten 60 Jahren erlebt haben, vereinbar“ sei. „Wenn alles umgesetzt wird“, was in den zurzeit geplanten Gesetzesvorhaben steht, „gibt es entweder das Chaos oder das Ende der freien Berufe“, warnte der BZÄK-Präsident. Die Politik laufe „mit offenen Augen in das Unglück der Staatsmedizin“.
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Prof. Dr. Dr. Georg Meyer (Greifswald), warnte angesichts der politisch bedingten Misere vor einem Exodus der Wissenschaft ins attraktivere Ausland, „weil dort weniger reguliert wird und auch die Rahmenbedingungen für die Ausübung des Berufes wesentlich günstiger sind als in Deutschland“.
Vernunft und Fachwissen
Auch Dr. Rüdiger Schott, Leiter des Bayerischen Zahnärztetages, sparte trotz traditionellen Schwergewichts auf die Fortbildung nicht an politischer Kritik: „Gesundheitsfonds, Zwangsfusionierung von Krankenkassen, Beitragsfestsetzung durch das Bundesgesundheitsministerium und die ‘Gleichschaltung’ der PKV sind Indizien dafür, dass diese Koalition das Ziel einer Staatsmedizin verfolgt.“ Im Rahmen der Pressekonferenz präsentierte die Bayerische Landeszahnärztekammer ihre Forderungen an die Politik: Die Aufhebung von Budgets, Leistungsrationierung und Degression, eine Anpassung der Vergütungssysteme unter Einbeziehung wissenschaftlichen Fortschritts und unternehmerischen Risikos, keine Pauschalvergütungen, eine schrittweise Einführung von Festzuschüssen für alle Bereiche der Medizin und Zahnmedizin, die Beendigung von Quersubventionierungen anderer Sozialversicherungszweige, die Einführung von Kostenerstattung, die Ablehnung der elektronischen Gesundheitskarte, Bürokratieabbau und freies Kassenwahlrecht für alle Patienten. Die Umsetzung dieser Forderungen wäre geeignet, so Schott vor den Medienvertretern, „zusammen mit den Leistungsträgern und deren Organisationen eine Reform der Vernunft und des Fachwissens zu realisieren, deren Halbwertzeit größer als wenige Monate ist und auch von der Bevölkerung mitgetragen werden kann“.
Schmälern konnten Bayerns Zahnärzte ihren Frust an der Politik durch ausgesuchte Fortbildung: Das Thema „Funktionsanalyse, Funktionstherapie und Kiefergelenk“, geplant und gemeinsam erarbeitet mit der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) und deren Präsidenten Prof. Dr. Wolfgang B. Freesmeyer, bot nicht nur dem Hauptplenum, sondern auch einem wegen Überbuchung per Video-Lifeschaltung angeschlossenen zweiten Saal über zwei Tage den durch national und international anerkannte Referenten vorgestellten aktuellen Stand der Funktionsanalyse und -therapie. Dieses fundierte Wissen, das die Teilnehmer sich vom Zahnärztetag in ihre Praxen holten, wird auch kontraproduktive Politik nicht nehmen können.