Das Gesundheitswesen von Fesseln befreien
„Die Bundeszahnärztekammer ist gut beraten, wenn sie sich gut beraten lässt.“ So resümierte Dr. Dr. Jürgen Weitkamp die bisherige Zusammenarbeit der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) mit dem 2001 gegründeten unabhängigen Consilium. Auf Basis dieser Erfahrung appellierte der BZÄKPräsident ausdrücklich an den Gesetzgeber, den Protagonisten des Gesundheitswesens zum Wohle der Patienten statt mit „Kontrolle und Misstrauen“ endlich mit mehr Vertrauen zu begegnen.
Erfolgreicher Braintrust
Als maßgeblichen Erfolgsfaktor der bisherigen Tätigkeit reklamierte der Koordinator des Consiliums, Prof. Burkhard Tiemann, ausdrücklich die Unabhängigkeit des Gremiums, das sich aus den renommierten Wissenschaftlern Professores Winfried Boecken (Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit), Johann Eekhoff (Wirtschaftspolitik), Burkhard Tiemann (Verwaltungs- und Sozialrecht, Sozialmanagement), Wilfried Wagner (Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie), Eberhard Wille (Vorsitz des Sachverständigenrates, Volkswirtschaftslehre) sowie dem im vergangenen Jahr verstorbenen Verfassungsrechtler Peter Tettinger zusammensetzt.
Mit ausgesuchten Ergebnissen aus der fünfjährigen Arbeit als „Braintrust“ präsentierte sich das Consilium, das sich als „Instrument zur Selbstprofessionalisierung des zahnärztlichen Berufsstandes“ versteht, jetzt der Fachöffentlichkeit. „Dabei geht es“, so Tiemann, „nicht nur um Reformvorschläge zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern auch um die erforderliche Vereinfachung der Organisationsstrukturen sowie des Leistungsrechts im Versicherungssystem oder die Zukunftsperspektiven freiberuflicher Selbstverwaltung unter Berücksichtigung der europäischen Dimension.“
Akut droht der Bundesregierung, so die Einschätzung von Prof. Boecken, bereits zum Dezember dieses Jahres Regress: Die Altersgrenze für Vertragsärzte von 68 Jahren dürfte, so sie nicht bis zum 2. Dezember dieses Jahres außer Kraft gesetzt wird, wegen der Richtlinie zum Verbot der Altersdiskriminierung Ansprüche der betroffenen Ärzte und Zahnärzte nach sich ziehen.
Das Consilium erwartet ohnehin, dass die Bundesregierung durch die aktuellen Urteile des Europäischen Gerichtshofs für den freien Zugang der Patienten zu den Gesundheitsmärkten mit einem zunehmend „verengten nationalen Gestaltungsrahmen“ rechnen muss. Um so wichtiger sei es, so betonte Tiemann, „bei den Reformen in Deutschland nicht die Vorgaben außer acht zu lassen, die in Brüssel gemacht werden“. Vorbildcharakter habe das deutsche Gesundheitswesen in der EU „wegen seines Subsidiaritätsprinzips und den staatsentlastenden Synergien einer funktionalen Selbstverwaltung bei gleichzeitiger Bürgerbeteiligung“. Das gelte es bei einer nationalen Neuordnung des Gesundheitswesens zu berücksichtigen.
Balance gewährleisten
Bewährt habe sich hingegen laut Einschätzung des Consiliums das seit eineinhalb Jahren gültige System der befundorientierten Festzuschüsse. Nach Auffassung des Zahnmediziners Wilfried Wagner wäre es sinnvoll, diese „ideale Verknüpfung sozialer und solidarischer Versorgung und Finanzierung“ bei eingebundener Möglichkeit zu individueller Einzelleistung auch auf die restaurative Zahnheilkunde und die Parodontologie auszuweiten. Ein Vorteil sei dabei, dass die Festzuschüsse die Balance zwischen drohender Unter- oder Überversorgung gewährleisteten. Weit weniger Erfolgschancen attestierte der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen den gegenwärtig in der Politik diskutierten Reformansätzen. Wille betonte aber auch, dass es trotz der Vielfalt der Reformoptionen der Koalitionäre einen „großen Fundus von Gemeinsamkeiten“ gebe. Alle konstruktiven Reformansätze zeigten das Bemühen, „die fiskalische Stärkung der Finanzierungsbasis mit dem Ziel einer stärkeren Nachhaltigkeit zu verbinden“. Gemeinsam sei fast allen Vorschlägen auch die Forderung, den Wettbewerb von Krankenkassen wie auch Leistungsträgern zu intensivieren. Und: „Nahezu alle Konzepte sehen eine Beteiligung der PKV-Versicherten an der solidarischen Finanzierung der GKV vor.“ Ein Wandel vom bisherigen Umlageverfahren zur Kapitaldeckung habe, so Wille in seiner Analyse, zwar Vorteile, weil es demographieresistenter sei. Aber auch dieses Verfahren könne „einer verlängerten Lebenszeit nur mit entsprechender Anpassung der Prämien Rechnung tragen“.
Kein soziales System
Einen Ausweg aus dem Dilemma präsentierte der ehemalige Staatssekretär Prof. Eekhoff, der die soziale Komponente des gegenwärtigen Systems provokant in Abrede stellt. Eekhoffs Vorschlag: Versicherungsprämien im Gesundheitswesen sollten künftig wie in anderen Wirtschaftsbereichen den Preis für die Versicherungsleistung abbilden. Die in diesem Rahmen erforderliche soziale Absicherung sieht Eekhoff hingegen als von den Prämien gelöst und über das Steuerund Transfersystem leistbar. Basis des Eekhoff- Konzeptes ist „eine Versicherungspflicht für alle Bürger einschließlich der Kinder, „für die eine an der Versicherungsleistung orientierte feste Prämie gezahlt werden müsse.
Auch Eekhoffs Konzept beinhaltet eine Sozialklausel: Wer eine Prämie oder die Belastungen aus Selbstbehalten nicht tragen könne, müsse aus allgemeinen Steuermitteln unterstützt werden. Eine Unterscheidung zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherern schließt Eekhoff aber aus: „Sie arbeiten unter gleichen rechtlichen und wirtschaftlichen Bedingungen im Rahmen des freien Wettbewerbs.“ Im Unterschied zu den die GKV präferierenden Modellen fordert Eekhoff für die bisherigen gesetzlichen Krankenversicherungen im Vorfeld der Startphase Altersrückstellungen aufzubauen, um die erforderliche Wettbewerbsgleichheit herstellen zu können.
Letztlich stehe jeder Versicherte durch die Individualisierung der Verantwortung in der Privatversicherung für die Zahlung seiner Prämien über den gesamten Lebensraum selbst in der Pflicht. Eekhoffs Vorstellung: Der Versicherte zahlt in jüngeren Lebensjahren mehr ein, als zur Deckung der Gesundheitsleistungen nötig wäre. mn
• Bundeszahnärztekammer (Hrsg.): Das Gesundheitswesen im Umbruch? Reformansätze aus Sicht des Consiliums der Bundeszahnärztekammer, Berlin 2006, Quintessenz-Verlag, ISBN 3-938947-30-6