Gutes Benehmen macht immer Eindruck

Wenn Freiherr von Knigge in die Praxis kommt

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Darf man Kartoffeln mit dem Messer schneiden, hilft man auch dem Herrn oder nur der Dame in den Mantel und steht eine Frau zur Begrüßung auf? Diese oder ähnliche Fragen mögen abgedroschen klingen und werden von der „jungen Generation“ oft nicht so genau genommen. Doch sie gehören zum „guten Ton“ und prägen das Markenzeichen einer Praxis. Letztendlich sind auch sie mit verantwortlich für das Klientel, das hier behandelt werden will.

Adolph Freiherr von Knigge formulierte bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in seinem neuerdings eine Renaissance erfahrenden Werk „Über den Umgang mit Menschen“, wie es geht. Was früher noch Eltern – wenn sie nicht gerade zu den 68ern gehörten – vermittelten, oder spätestens in der Tanzschule gelehrt wurde, lag in den letzten Jahrzehnten großflächig brach. Nun kommt es wieder in die Kinderstube: das Benehmen, das Schule macht und vor der Zahnarztpraxis nicht halt.

„Guten Morgen Frau Meyer, schön, dass Sie da sind!“, ein fröhliches Gesicht versüßt bereits das Ankommen. Die Patientin lächelt entspannt zurück, man sieht ihr geradezu an, wie die Nervosität vor dem Zahnarztbesuch nachlässt.

Die Praxismitarbeiterin erhebt sich, geht auf die Patientin zu und reicht ihr zur Begrüßung die Hand. „Sie haben aber schon groß eingekauft! Warten Sie, ich nehme Ihnen die Taschen ab!“ So, oder ähnlich sollte eine freundliche Begrüßung in den heiligen Hallen der Zahnarztpraxis aussehen, verdeutlicht Jürgen Hallwass, Trainer für beste Dienstleistung, in einem Seminar während der Fortbildungstage in Braunlage. Wenn dann nicht noch ein breiter Tresen Anmeldung und Patient wie ein Bollwerk voneinander trennt und das Gefühl von einem Hauptpostschalter vermittelt, kann eigentlich nicht mehr viel schief gehen, so der Referent. Hallwass zeigt Negativbeispiele auf, wie sie aus dem stressigen Praxisalltag wohl jedem bekannt sind: Die Helferin telefoniert, blättert abgewendet von dem neuen Patienten in ihrem Terminkalender. Kein Signal, kein freundliches Lächeln, nicht einmal eine Geste, die signalisiert: „Hier sind Sie willkommen“. Eine andere Szene: Das Privatgespräch, oft minutenlang am Telefon mit dem Liebsten, der Freundin oder hinter dem Tresen der Schwatz mit der Kollegin. „So etwas darf nicht passieren! Denken Sie immer daran, der Patient hat die Wahl, ob er in diese oder eine andere Praxis geht. Wer kennt nicht die Boutique mit der Dauertelefonistin, die der Kunde mürrisch wieder verlässt, weil er nicht wahrgenommen wird. So hat auch der Patient das Anrecht darauf, mit Achtung empfangen zu werden. Und wenn das Telefongespräch wirklich wichtig ist ... signalisieren Sie mit einem freundlichen Lächeln und einer Handbewegung – Handfläche nach oben –, dass es gleich weitergeht.“ Hallwass gibt Tipps für den Umgang mit Stresssituationen, damit der Patient sie erst gar nicht spürt.

Die Mantelfrage

Dass eine junge Mitarbeiterin der betagten Patientin in den Mantel hilft und dabei die Ärmelöffnungen in eine für sie noch erreichbare Höhe hebt, sollte sich inzwischen durchgesetzt haben. Aber was ist, wenn ein Ehepaar kommt. „Wem helfe ich zuerst?“

Situationen aus dem Alltag – in jeder Praxis an der Tagesordnung, jedem Mitarbeiter bekannt. Aber wie geht’s wirklich? – Die Teilnehmerinnen des Kurses in Braunlage rätseln. Hallwass sammelt die Antworten. „Zuerst dem Älteren?“, „... erst der Dame, dann dem Herrn!“ Falsch! Der Ausbilder weiß es besser: „Sie reichen dem Herren den Mantel der Patientin, er hilft ihr in den wärmenden Überzieher, dann ist er dran. Sie halten ihm seinen Dufflecoat einsteigbereit hin.“ Wer hätte das gedacht.

Die Stimmung steigt, die Teilnehmerinnen sind gespannt, was nun kommt. Hallwass niest. Aus der hinteren Reihe ruft es freundlich: „Gesundheit!“ Der Trainer lacht: „... das hatte ich erwartet, aber das sagt man laut neuem Knigge nicht mehr.“ Schwer, wer Kinderstube hat, muss nun auch noch umlernen.

Wenn ein Patient das erste Mal in der Praxis ist, sollte man ihn bis ins Wartezimmer begleiten und ihm, wie eben beschrieben, aus dem Mantel helfen. Dabei kann dann gleich geprüft werden, ob das Wartezimmer gut gelüftet ist, ob es zieht oder die Heizung zu hoch gestellt ist. Denn, alte Menschen frieren gerne, junge haben es gerne kühler und sind oft allergisch gegen „Praxismief“. Zugluft wird gleichermaßen wenig toleriert. Gegen den oft Angst einflößenden Zahnarztpraxisgeruch hilft ein Luftbefeuchter, eventuell mit einem nicht zu aufdringlichen Duftöl, oder einfach nur eine Kerze mit Duftölspender. „Denken Sie an eine angenehme Beleuchtung und keine Fallstricke am Fußboden!“, lauten die Tipps weiter. „Toiletten sollten ab und an überprüft werden, nicht nur auf Sauberkeit (was bei sehr alten Patienten unbedingt erfolgen sollte), sondern auch, ob Toilettenpapier und Handtücher ausreichend vorhanden sind. „Stellen Sie sich die Pein vor, wenn das Papier ausgegangen ist, das sagt Ihnen kein Patient. Der Eindruck aber, dass hier etwas nicht stimmt, der bleibt haften.“ Die Seminarteilnehmerinnen schmunzeln, sicherlich hat die eine oder andere diese Situation schon erlebt.

Wenn der neue Patient an der Reihe ist, sollte ihm beim ersten Mal in den Behandlungsraum vorangegangen werden. Später dann, wenn er sich fast wie zuhause fühlt, reicht es, wenn ihm die Tür aufgehalten wird.

Hohe Kunst des Plauderns

Während ihm das „Lätzchen“ umgebunden wird, – manche Praxis hat sich dafür schon etwas Ansprechenderes einfallen lassen – sollte man sinnvoll und nicht zu persönlich plaudern. Stichwortvermerke in der Patientenakte helfen dabei: „Frau Meyer, haben Sie Ihren Urlaub genossen?“, „Wie macht sich Ihr Enkelkind in der Schule?“ oder „... geht es Ihrem Mann wieder besser?“ – Die persönliche Ansprache stimmt den Patienten positiv ein, zeigt, dass man an ihm interessiert ist, lassen sein Selbstwertgefühl steigen und machen letztendlich die Behandlungsatmosphäre angenehm. „Das ist schon die halbe Miete für die Behandlung“, formuliert Hallwass lässig aber voller Überzeugung.

„Stellen Sie aber keine Fragen, wenn der Patient liegt oder gar Geräte im Mund hat. Sprechen Sie ihn nur dann an, wenn er steht oder aufrecht sitzt! Legen Sie ihn nicht ‘flach’, wenn kein Behandler im Zimmer ist! Das sollte immer erst der Zahnarzt oder die Zahnärztin selber tun.“

Wartezeit versüßen

Tipps wie diese sind sicherlich angebracht, denn nicht selten wird ein Patient in die „Schlafstellung“ gebracht und muss bis zu einer Viertelstunde und mehr hilflos so verharren, bis der Zahnarzt ins Zimmer kommt. „Lassen Sie den Patienten nicht im Sprechzimmer, sondern im Wartezimmer warten!“ Und, wenn er schon warten muss, weil ein plötzlicher Notfall vorgeht oder eine Behandlung durch unplanbare Ereignisse länger dauert – kann man den Patienten nach einer freundlichen Entschuldigung mit einer anschaulichen Broschüre oder einer seinem Interessengebiet entsprechenden Zeitschrift, die man ihm persönlich zureicht, wieder versöhnlich stimmen. Wenn man das mit einem freundlichen Lächeln verstärkt, wird er sie mit Interesse lesen.

Für den pubertierenden Jungen die Sport- oder Autozeitung, für den weiblichen Teenie die Brigitte oder Ähnliches, der Banker liest gerne Wirtschaftszeitungen oder Automagazine im Hochglanzmantel, die Dame von Welt Mode- und Wohnungsmagazine. Aber auch die Senioren sollten etwas finden – hier bieten sich Zeitschriften mit größerer Schrift sowie spezielle Senioren-Broschüren an. Auch die lokale Tageszeitung wird gerne genommen.

Der erste Telefonkontakt

Wenn ein neuer Patient um einen Termin bittet, sollte ihm der Weg zur Praxis beschrieben werden. Erwähnung finden sollte zum Beispiel, ob es einen Fahrstuhl gibt, wo er sein Fahrzeug parken kann oder welche Haltestelle in der Nähe liegt. Gerade ältere Patienten sind oft unbeholfen, gerade dann, wenn sie nicht in der Nachbarschaft wohnen. Ihnen soll die „Anreise“ erleichtert werden, indem sie vorher ausreichende Informationen über die Praxis erhalten.

Einige Zahnarztpraxen, die auf ihr „Image“ großen Wert legen, haben bereits Merkblätter oder gar Broschüren entwickelt, die einem neuen Patienten nach der Terminabsprache ins Haus geschickt werden. Dann kann er in Ruhe, unter Umständen mit Lesehilfen, alles studieren und sich emotional auf die neue Situation einstimmen. Er kann sich die Namen der Mitarbeiterinnen und ihre Gesichter einprägen, weiß, dass er mit dem Fahrstuhl in die zweite Etage fahren muss und dass es auch eine Tiefgarage im Haus für sein Auto, einen Fahrradständer für das Velo oder im Flur der Praxis die Abstellmöglichkeit für seine Gehhilfe oder den mitgebrachten Kinderwagen gibt.

Und noch ein Tipp aus Hallwass Erfahrungsschatz: „Zeigen Sie sich bei der Terminvergabe flexibel! Lassen Sie den Patienten spüren, dass Sie seinen Wünschen mit dem Behandlungszeitpunkt entgegenkommen. Auch, wenn Sie hinterher genau das erreichen, was Ihr Praxisplan vorgibt. Der Patient aber denkt, Sie manövrieren alles um seinen Besuch herum. Das wirkt Wunder!“ Der Trainer schmunzelt und fügt hinzu: „Probieren Sie es gleich morgen früh, beim ersten Anruf!“

Auf guten Geruch achten

Wichtig für den ersten Eindruck ist nicht nur die ansprechende Einrichtung, die gute, nicht zu grelle Beleuchtung, sondern auch der die Propriorezeptoren euphorisierende erste Geruch der Räumlichkeiten, in die der Patient Einzug hält. Was früher nach Nelkenöl oder gar Äther roch, sollte heute nicht unbedingt Patschuli sein, aber ein angenehm frisches Lüftchen, das Sympathie und Sauberkeit signalisiert, wäre schon angebracht, rät der Trainer. Frische Blumen auf dem Empfangstisch und duftende Kirschblütenzweige in der Vase im Wartezimmer, das macht auch dem trübsinnigsten Wintermuffel Laune. Der staubige Kübel mit der Hydro-Palme, der seit Jahren den Anblick im Wartezimmer nicht verändert, ist damit nicht gemeint. Wenn man die Auswahl der Frischblumen geschickt wählt, sind auch sie relativ wartungsfrei, bieten einen hübschen Anblick und verströmen einen angenehmen Duft. Das hebt die Atmosphäre, wirkt gegen Behandlungsangst und belebt letztendlich auch die gute Laune des Praxisteams. Ich blicke neben das Rednerpult. Trainer Hallwass hat einen Blumenstrauß mitgebracht und ihn auf den Tisch gestellt, extra für seine Seminarteilnehmer. Ich fragte mich die ganze Zeit, was hier so angenehm duftet.

Freiherr von Knigge – Aufklärer und Freidenker

Adolph Friedrich Ludwig Freiherr von Knigge, der gemeinhin als Vater des guten Benehmens gilt, wurde am 16. Oktober 1752 in Bredenbeck am Deister in der Nähe von Hannover geboren. Er war der Sohn eines verarmten Adeligen. Knigge studierte von 1769 bis 1772 Jura in Göttingen, wo auch die Gebrüder Schlegel zu seinen Lehrern gehörten. Im Anschluss an sein Studium trat er eine Stelle als Hofjunker und Assessor in Kassel an, bevor er 1777 auf Vermittlung Goethes weimarischer Kammerherr in Hanau wurde. Freiherr von Knigge heiratete 1773 in Kassel die drei Jahre ältere Hofdame Henriette von Baumbach.

Knigge nahm regen Anteil am gesellschaftlichen und geistigen Leben seiner Zeit und wurde schon bald zum Freidenker. Er trat den Freimaurern bei und engagierte sich von 1780 bis 1784 im Illuminatenorden. Dieses Engagement und sein beherztes Auftreten für die Verwirklichung der Menschenrechte im Sinne der Aufklärung führten dazu, dass Freiherr Adolph von Knigge bei den Adeligen in Ungnade fiel. Er, der in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebte, wurde von seinen aristokratischen Gönnern fallengelassen und verarmte.

Da er seinen Lebensunterhalt nun wie ein Bürgerlicher selbst erarbeiten musste, begann Knigge mit dem Verfassen von Schriften zur Aufklärung, von teils satirischen Romanen und von politischen Essays. Seine damals bekanntesten Werke sind der „Roman meines Lebens“ (1778), „Sechs Predigten gegen Despotismus, Dummheit, Aberglauben, Ungerechtigkeit, Untreue und Müßiggang“ (1783), „Über den Umgang mit Menschen“ (1788) und „Die Reise nach Braunschweig“ (1792).

Knigge sympathisierte mit der Französischen Revolution und nannte sich gerne „freier Herr Knigge“. Wenn man sich dessen bewusst ist, wird klar, dass Knigge mit seinem Werk „Über den Umgang mit Menschen“ eben nicht ein Regelwerk zu Benehmen und Etikette schaffen wollte. Vielmehr sollte sein Werk dazu dienen, dass Menschen unterschiedlicher Stände, unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Gesinnung frei, gleichberechtigt und friedfertig miteinander umgehen können. Erst nachdem es mehrmals umgeschrieben wurde, wurde das Buch, das ihn auch heute noch in aller Munde sein lässt, zum Benimmbuch schlechthin. Der Freidenker verstarb am 6. Mai 1796 und fand im Dom zu Bremen seine letzte Ruhestätte.

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