Ossifizierendes Fibrom im Unterkiefer
Bei einer 40-jährigen Patientin wurde im Juli 2005 der tief kariös zerstörte Zahn 46 vom betreuenden Zahnarzt extrahiert. Postoperativ entwickelte sich eine Alveolitis sicca, die eine Wundrevision mit Kürettage erforderte. Zur Verlaufskontrolle wurde ein Orthopantomogramm angefertigt. Hier imponierte eine scharf begrenzte Aufhellung im apikalen Bereich regio 46 mit deutlicher Nähe zum Nervus alveolaris inferior (Abbildung 1). Die Patientin wurde daraufhin bei einem niedergelassenen MKG-Chirurgen zur weiteren Abklärung dieses Befundes vorstellig, der eine Probeexzision (PE) durchführte. Die histopathologische Begutachtung ergab Anteile eines ossifizierenden Fibroms. Daraufhin wurde die Patientin zur weiteren Diagnostik und Therapie in die hiesige Klinik und Poliklinik für MKG-Chirurgie überwiesen.
Bei der klinischen Untersuchung zeigten sich nun das Vestibulum und die Schleimhaut in dem entsprechenden Areal visuell und palpatorisch unauffällig (Abbildungen 2a und b). Die an den Befund angrenzenden Zähne 47, 45, 44, 43 und 42 reagierten kältesensibel und waren weder perkussionsempfindlich noch gelockert. Die Patientin war beschwerdefrei.
Nach Abschluss der präoperativen Diagnostik wurde der alio loco biopsierte Bereich vollständig reseziert. Intraoperativ stellte sich die 2 x 1,5 x 1 Zentimeter messende Läsion als ein derber, teils verknöcherter Tumor dar, der sich gegen den umgebenden Knochen schwierig abgrenzen ließ und nur mit Hilfe rotierender Instrumente entfernt werden konnte (Abbildung 3).
Die histopathologische Untersuchung , Dr. Frauke Bataille, Institut für Pathologie der Universität Regensburg, bestätigte die auswärts gestellte Diagnose eines narbig umgebenden ossifizierenden Fibroms, welches nun vollständig entfernt werden konnte (Abbildungen 4 und 5).
Diskussion
Das ossifizierende Fibrom (ZOF; WHO-Tumorhistologieschlüssel ICD- O 9262/0) bezeichnet eine gutartige, scharf abgegrenzte, selten auch abgekapselte neoplastische Läsion aus zellreichem, fibrösen Stroma und mineralisiertem Material (Zement und/oder Knochen) [Borchert et al. 2000].
In der aktuellen WHO-Klassifikation der Tumoren des Kopfes und des Halses wurde der ehemals verwendete Begriff „zementifizierendes ossifizierendes Fibrom“ auf die Bezeichnung „ossifizierendes Fibrom“ reduziert. Damit wurde wie bei der ossären Dysplasie, die jahrelange Diskussion zur Frage, ob in diesen Fällen Zement vorliegt oder nicht, in vereinfachender Weise geklärt [Reichart et al. 2006, Buch et al. 2006].
Das ossifizierende Fibrom betrifft, wie im vorliegenden Fall, häufig Frauen zwischen dem dreißigsten und vierzigsten Lebensjahr. Hauptlokalisation ist – wie auch hier – die prämolare und molare Region des Unterkiefers. Der Oberkiefer wird als Lokalisation äußerst selten beschrieben [Civelek et al. 2005].
Tumoren des Kieferknochens bieten eine Vielfalt von Klassifikationen, Diagnoseverfahren und Behandlungsmöglichkeiten [Klein, M 2004]. Differentialdiagnostisch müssen andere gutartige Knochentumoren wie die fibröse Dysplasie, die (zemento-) ossäre Dysplasie sowie das juvenile ossifizierende Fibrom abgegrenzt werden. In Bezug auf Wachstumsverhalten, dem Auftreten von Lokalrezidiven, sowie potentieller maligner Transformation ist die Prognose der ossifizierenden Fibrome als am günstigsten zu werten [Klein et al. 2004].
Die fibröse Dysplasie ist eine gutartige, selbstlimitierende, nicht abgekapselte Veränderung, findet sich meist bei Jugendlichen und verlangsamt oder stoppt ihr Wachstum nach der Pubertät. Eine Untergruppe der ossifizierenden Fibrome zeichnet sich durch eine erhöhte Wachstumstendenz aus und wird deshalb als „aggressives“, „juveniles“ oder aktives (zemento-)ossifizierendes Fibrom klassifiziert [Eversole et al. 1985, Su et al. 1997 a und b, Zupi et al. 2000, Sanchis et al. 2003, Reichart et al. 2004].
Therapeutisch sollte das ossifizierende Fibrom, wie im aktuellen klinischen Fall durchgeführt, wegen der langsamen Größenprogredienz stets vollständig chirurgisch entfernt werden. Dabei kann es bei ausgedehnteren Befunden nicht nur zu funktionellen, sondern auch zu ästhetischen Einschränkungen kommen [Zupi et al. 2000].
Für die zahnärztliche Praxis soll dieser Fall an den echten neoplastischen Charakter zahlreicher odontogener und nicht odontogener Kieferläsionen erinnern. Eine „Wait and See“ -Strategie kann zu einem symptomarmen aber durchaus weit raumgreifenden Wachstum dieser Läsionen führen, die in der chirurgischen Sanierung dann, trotz schonender Entfernung, erhebliche Defekte bedingen [Kunkel und Reichert 2004].
Dr. Nina Maria RohrDr. Dr. Oliver DriemelProf. Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik und Poliklinik für Mund-, KieferundGesichtschirurgieFranz-Josef-Strauss-Allee 1193053 Regensburgoliver.driemel@klinik.uni-regensburg.de