Ulla olé \r
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Sie kennen politischen Triathlon noch nicht? – Abtauchen, auftauchen und laufen, was das Zeug hält. Die Power-Frauen im Bundeskabinett haben es jüngst vorgemacht: Angela Merkel tauchte – als die Gesundheitsreform Wellen schlug – ab in den Sommerurlaub. In sommerfrischer Umgebung übte sie in luftigen Berghöhen das Gratwandern – sozusagen über den Wolken, wo ja die Freiheit grenzenlos sein soll. Als sie wieder auftauchte im Berliner Politalltag, hatte die Sommer-Polit-Posse einen weiteren Mitspieler – und die Freiheit offensichtlich ihre Grenzen. So wurde sie aus Gründen der Parteiräson zu einer energischen Demarche und den Hinweis veranlasst, dass allein die Eckpunkte der Gesundheitsreform zählen, was als Rüffel gen BMG gewertet werden sollte; dann aber stärkte sie der Gesundheitsministerin „100-prozentig“ den Rücken. Zunehmend fragte sich die Berliner Szene: Was und wohin will Angela Merkel?
Diese Frage stellt sich bei Ulla Schmidt nicht. Meisterlich sind ihre Ergebnisse im politischen Triathlon. Ab- und Auftauchen beherrscht sie perfekt, die Kondition reicht für „3 000 Schritte extra“, so der kraftvolle Titel ihrer Werbetour durch die Provinz.
Als auf geheimnisvollen Wegen der 471 Seiten starke Entwurf eines „GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes“ aus dem BMG in deutsche Redaktionsstuben gelangte, urlaubte die Ministerin in Spanien. Perfektes Timing, denn durch ihr Abtauchen war dieser Entwurf „ohne Kenntnis der Amtsleitung“ (sic!). Er brachte die Ministerin nicht aus der Ruhe, dafür manchen Politiker in Rage und die Republik in Wallung. Aber auch das Auftauch-Timing war perfekt, schließlich sind die Kernpunkte noch umkämpft und beim Umsetzen sind die Schmidtschen Duftmarken unerlässlich.
längst keine große Unbekannte mehr ist. Der BMG-Entwurf ist ein frontaler Angriff auf das Gesundheitswesen. Ganz egal, ob es in Reinform oder abgespeckter Version kommt, es birgt die Gefahr des Einstiegs in die Verstaatlichung unseres Systems. 471 Seiten bieten Platz für einen Berg von Maßnahmen, die das Gesundheitswesen vollkommen verändern sollen. Dass darunter auch tatsächliche Glanzlichter wie die Ausweitung der Kostenerstattung geraten sind, dient wohl eher der Beschwichtigung. Für die Zahnärzteschaft ist wenigstens das erfreulich, darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Bigpoints in Richtung staatlicher Gesundheitsdienst zielen. Von Wettbewerbsstärkung jedenfalls keine Spur – im Gegenteil: wer mittels Rechtsverordnung den allgemeinen Beitragssatz der GKV festlegt und auch sonst Eingriffsmöglichkeiten wie nie anstrebt, hat mit Wettbewerb nicht viel am Hut.
Und Vorsicht ist geboten: Ulla Schmidt braucht nicht alles, was das Papier androht. Hier versteckt sich Dispositionsmasse zur Verhandlung mit den Koalitionspartnern. Für die SPD-gewollte Steuerung Richtung staatlicher Kontrolle braucht das BMG gar nicht einmal so große Spieße wie die angedrohte Vereinnahmung der privaten Kassen. Da reichen schon Vorschläge wie der Umbau des Gemeinsamen Bundesausschusses. Schon der brächte dem Ministerium die von Ulla Schmidt so sehnlichst gewünschte direkte Hoheit über die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen.
Wenn diese Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode durchhält und die nächste Bundesregierung von einer kleinen Koalition gebildet wird – und nur darauf scheinen, jeder für sich unter Ausblendung der anstehenden politischen Notwendigkeiten, die Koalitionäre hinzuarbeiten – dann werden die meisten dieser geplanten neuen gesetzlichen Regelungen gebraucht: von den einen für ihre Gesundheitsprämie, von den anderen für deren Bürgerversicherung.
So einfach ist das: Vereint laufen zu getrennten Zielen. Und dabei ab und zu abtauchen. Ulla olé und Angela über den Wolken!
Mit freundlichen, kollegialen Grüßen
Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV