Differentialdiagnose der Pathologien im Mundboden

Dermoidzyste des vorderen Mundbodens

201274-flexible-1900
Frank Schmidseder, Martin Kunkel

Ein 43-jähriger Patient wurde aufgrund einer Raumforderung im vorderen Mundboden in unsere Poliklinik überwiesen. In einer Routineuntersuchung war dem behandelnden Zahnarzt eine prall-elastische, annähernd kreisrunde Läsion in einer Ausdehnung von etwa 2,5 x 2,5 Zentimeter (cm) aufgefallen, die als Vorwölbung den Mundboden nach oben pelottierte (Abb.1). Die bedeckende Schleimhaut war vollständig intakt, ohne Zeichen einer dysplastischen Oberflächenveränderung. Die Carunculae sublinguales wiesen keine Entzündungszeichen auf, das Speicheldrüsensekret war klar.

Subjektiv hatte der Patient keinerlei Symptome bemerkt, insbesondere ergaben sich anamnestisch keine Zusammenhänge zur Nahrungsaufnahme im Sinne einer Okklusionssymptomatik. Klinisch fand sich keine Vergrößerung der regionären Lymphknoten oder der Speicheldrüsen. Der Befund konnte in kurzer Intubationsnarkose entfernt werden. Hierbei wurde der als hellgelbes, kugeliges, prall zystisches Gebilde imponierende Befund schrittweise umfahren und in toto ausgelöst (Abb. 2). Im Anschnitt des Präparates entleerte sich ein für Dermoidzysten typischer Inhalt aus Talg und Hornschuppen. Da der Zystenbalg im vorliegenden Fall auch Haarwurzeln aufwies, hatte sich im Zystenlumen auch ein größeres Haar-Knäuel gebildet (Abb. 3 a bis c). Histologisch bestätigte sich die Diagnose einer Dermoidzyste mit einem pathognomonischen Aufbau der Zystenwandung, die neben einem mehrschichtigen verhornenden Plattenepithel auch typische Hautanhangsgebilde aufwies (Abb. 4).

Diskussion

Die Erkennung pathologischer Veränderungen des vorderen Mundbodens hat eine ausgesprochen hohe Bedeutung in der oralen Medizin, da sich in dieser Region sehr häufig Vorläuferläsionen oder auch manifeste Plattenepithelkarzinome finden. Neben diesen wichtigen und häufigen Befunden, die vor allem durch Verhornungsstörungen (Leukoplakie, Erythroplakie), durch den Verlust der Oberflächenintegrität (Erosion, Ulceration) und durch eine tastbare Induration erkennbar werden (Abb. 5), gibt es aber auch zahlreiche pathologische Veränderungen, deren Ursprung nicht das Oberflächengewebe ist. Sie zeichnen sich daher typischerweise durch eine intakte Schleimhautbedeckung aus. Neben der klassischen Ranula, die als oberflächennahe, häufig bläulich-livide erscheinende, fluktuierende Schwellung imponiert (Abb. 6), sind Tumoren der Glandula sublingualis oder auch der kleinen Speicheldrüsen differentialdiagnostisch abzugrenzen. Obwohl Dermoidzysten oder Epidermoidzysten insgesamt recht selten sind, liegt ihre typische Lokalisation im Untersuchungsgebiet des Zahnarztes, nämlich in der Mittellinienzone des Mundbodens und der Submentalregion [King et al., 1994; Mahmood and Moody, 2003]. Sie stellen entwicklungsbedingte Malformationen dar, die heute überwiegend als eine benigne und zystische Abortivform eines Teratoms aufgefasst werden [Neville et al., 2002]. Therapeutisch ist eine schonende Enukleation anzustreben, wobei mitunter eine Fixierung median am anterioren Unterkiefer ein scharfes Ablösen erfordert. Die histopathologische Untersuchung ist obligat.

Für die zahnärztliche Praxis soll der Fall an die Bedeutung der Inspektion und vor allem auch die Palpation der Wandungen der Mundhöhle erinnern, da neben den Oberflächenläsionen auch relevante Pathologien unter intakter Schleimhautbedeckung vorliegen können.

Dr. Frank SchmidsederPriv.-Doz. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgieder Johannes Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 255131 Mainzkunkel@mkg.klinik.uni-mainz.de

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