Am Tropf des Staates
Dr. Dorothea Siems,
Wirtschaftskorrespondentin der Welt, Berlin
Um die Finanznot der Krankenkassen zu lindern, wollen SPD und Union in Zukunft schrittweise immer mehr Steuern ins Gesundheitssystem pumpen. Längerfristig soll der Bundesfinanzminister Jahr für Jahr 14 Milliarden Euro an AOK, Barmer und Co. überweisen. Dies sieht ein Passus in der Gesundheitsreform vor. Mit dem Betrag, so sagen die Koalitionäre, wären die Kosten für die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder abgedeckt.
Auf den ersten Blick hat eine stärkere Steuerfinanzierung Charme. Ein solcher Schritt würde die Lohnnebenkosten senken und könnte somit positive Beschäftigungseffekte haben. Befürworter verweisen auf die skandinavischen Länder, die ihre Sozialsysteme weitgehend über Steuern finanzieren und auch deshalb weniger von Arbeitslosigkeit geplagt sind als Deutschland. Überdies sei der Familienlastenausgleich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, argumentieren die Gesundheitspolitiker der Koalition in seltener Eintracht. Warum also sollten Privatversicherte von den Kosten verschont bleiben?
Der Jubel der Krankenkassen über die angekündigten Steuermilliarden hält sich indes in Grenzen. Und das hat gute Gründe. Die Erfahrung der vergangenen Jahre lehrt, dass auf den Staat als Finanzier wenig Verlass ist. Schließlich war bereits mit der Gesundheitsreform 2004 ein Bundeszuschuss eingeführt worden. Zu diesem Zweck wurde eigens die Tabaksteuer kräftig erhöht. Doch schon im Jahr darauf beschloss die große Koalition, den Kassen-Zuschuss von 4,2 Milliarden Euro im Jahr zur Sanierung des Bundeshaushaltes zu verwenden. Kein Wunder, dass die Kassenchefs fürchten, ein noch viel größerer Betrag würde ihnen nicht mehr finanzielle Sicherheit geben, sondern lediglich noch größere Begehrlichkeiten des Finanzministers wecken. Eine solche Gesundheitspolitik nach Kassenlage kann niemand wollen.
Hinzu kommt, dass die Gegenfinanzierung des neuen Bundeszuschusses nicht geklärt ist. SPD-Politiker plädieren für einen „Gesundheits-Soli“, einen Zuschlag auf die Einkommensteuer. Damit wäre jedoch nichts gewonnen, ist doch diese direkte Steuer ebenso leistungsfeindlich wie die Sozialabgaben. Denn auch mit einer steigenden Einkommensteuer geht die Schere zwischen Brutto und Netto weiter auseinander.
Positive Effekte für Standort und Beschäftigung sehen Ökonomen deshalb nur bei einer stärkeren Finanzierung der Soziallasten über indirekte Steuern. Hier allerdings hat die große Koalition gerade mit der massiven Anhebung der Mehrwertsteuer einen großen Schluck aus der Pulle genommen. Mehr scheint zumindest auf mittlere Sicht politisch nicht durchsetzbar. Das gleiche gilt für kleinere Geldquellen wie die Ökosteuer oder die Tabaksteuer.
In Wirklichkeit geht es den Sozialpolitikern bei der Umfinanzierung aber überhaupt nicht darum, die Lohnnebenkosten zu senken oder den Standort zu fördern. Vielmehr sollen mit den Steuergeldern die Finanzprobleme in den Sozialkassen kaschiert werden. Die wahren Kosten sollen vor der Bevölkerung verschleiert werden. In der Rentenversicherung finanzieren die Steuerzahler bereits ein Drittel der Ausgaben. Anders als von der Politik einst versprochen, sind die Beiträge auch nach der Einführung der Ökosteuer, deren Einnahmen in die Rentenkasse fließen, trotzdem weiter gestiegen. Dieser Irrweg soll nun auch in der gesetzlichen Krankenversicherung beschritten werden.
Eine Umfinanzierung kann ohnehin nie ein Ersatz sein für eine Reform, mit der die gesetzliche Krankenversicherung langfristig stabilisiert wird. Eine künftige Regierung wird nicht umhin kommen, die Krankheitskosten von den Arbeitskosten abzukoppeln. Denn in einer alternden Gesellschaft werden die Gesundheitsausgaben zwangsläufig steigen. Der beste Reformansatz wäre das ursprünglich von der Union favorisierte Modell einkommensunabhängiger Prämien. Der Sozialausgleich würde dann im Steuersystem erfolgen. In diesem Zusammenhang wären Steuererhöhungen zur Finanzierung gerechtfertigt. Wenn jedoch die Politik schon jetzt das Steuerrad überdreht, wird die Chance für einen solchen Systemwechsel endgültig verspielt.
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